Sunday, November 10, 2024

Union will Bundeswahlleiterin in den Innenausschuss vorladen

WELT Union will Bundeswahlleiterin in den Innenausschuss vorladen Artikel von Kristian Frigelj • 32 Mio. • 4 Minuten Lesezeit „Unabwägbare Risiken“: In einem öffentlich gewordenen Brief warnt Bundeswahlleiterin Ruth Brand vor zu frühen Neuwahlen, was unausgesprochen den Plan des Kanzlers stützt. Die Union will den Vorgang nun im Bundestag zum Thema machen. Die Grünen werfen CDU und CSU vor, sich „schäbig“ zu verhalten. Bis vor einigen Tagen war Ruth Brand kaum jemandem bekannt. Ihre Aufgabe als Bundeswahlleiterin ist schon weitaus geläufiger, wobei sie mehr als Institution denn als Person wahrgenommen wird. Inzwischen kennen sehr viel mehr Menschen den Namen der Sozialdemokratin Brand, nachdem ein politisch brisantes Schreiben von ihr an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag öffentlich geworden ist. Darin warnt die vom SPD-geführten Innenministerium berufene Wahlleiterin vor zu frühen Neuwahlen, betont „unabwägbare Risiken“ bei der Vorbereitung und Durchführung einer rechtssicheren Bundestagswahl. Dies stützt unausgesprochen Scholz‘ Zeitplan, denn der Kanzler will nach ursprünglicher Ankündigung erst am 15. Januar 2024 die Vertrauensfrage im Parlament stellen und damit die Auflösung des Bundestages hin zu vorzeitigen Neuwahlen etwa Ende März einleiten. Mittlerweile deutete Scholz zwar eine Offenheit an für einen früheren Termin, verbindet dieses jedoch mit Bedingungen an eine Zusammenarbeit der Opposition bei Gesetzesvorhaben. Wenige Tage nach dem spektakulären Aus der Ampel-Regierung sorgt der Brief der Bundeswahlleiterin für zusätzliche politische Turbulenzen: Union, FDP, AfD und BSW fordern die Vertrauensfrage bereits in den kommenden Tagen, etwa wenn Scholz am kommenden Mittwoch eine Regierungserklärung im Bundestag hält. Sie argwöhnen ein politisches Manöver der Bundeswahlleiterin zugunsten des Kanzlers. Die Unionsfraktion verlangt deshalb Aufklärung im Bundestag. Deren innenpolitischer Sprecher Alexander Throm (CDU) hält das Schreiben von Brand für „höchst irritierend“ und sieht darin einen Widerspruch zu früheren Aussagen ihrer Behörde. Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Schreiben auf eigene Initiative hin verfasst wurde oder ob das Bundeskanzleramt oder das SPD-geführte Innenministerium Einfluss darauf genommen haben“, so Throm. „Deshalb wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragen, dass die Bundeswahlleiterin am nächsten Mittwoch in den Innenausschuss kommt, um für Aufklärung zu sorgen. Ich erwarte, dass die Bundesregierung das Erscheinen der Bundeswahlleiterin nicht blockiert.“ Bei der sensiblen Frage einer möglichen Einflussnahme auf eine faire und unabhängige Wahlleitung sei „höchste Transparenz geboten“. Brand spricht in dem Brief wegen des begrenzten Zeitrahmens bis zur Neuwahl von einer „großen organisatorischen Herausforderung“ und mahnt: „Soweit Termine und Fristen in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen würden, wäre der nur sehr knappe Zeitraum von 60 Tagen maßgeblich verkürzt.“ Dies könnte, so Brand, „zu unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen, insbesondere auf Gemeindeebene, führen und Beschaffungsmaßnahmen faktisch kaum realisierbar machen“. Die Beschaffung von Papier und Beauftragung von Druckdienstleistern für die Wahlunterlagen seien erschwert und „mit längerem Vorlauf verbunden“. Sie erwähnt auch „die zunehmenden hybriden Bedrohungen“ für die IT-Infrastruktur von Kommunen, Ländern und Bund, die deshalb einer sorgfältigen Prüfung bedürfen. Diese Bedenken werden als verheerendes Signal aufgefasst und sorgen für allerhand Kritik und Häme in den sozialen Medien. Für AfD-Fraktionschefin Alice Weidel klingen die Gründe von Brand gegen eine frühe Neuwahl „vorgeschoben“, die Argumentation mit angeblichem Papiermangel sei „geradezu absurd“. Sogar die Papierindustrie meldete sich öffentlich zu Wort und versicherte, dass eine vorgezogene Neuwahl nicht an Papiermangel scheitern werde. Bei rechtzeitiger Bestellung könne man das benötigte Papier für eine vorgezogene Bundestagswahl liefern, sagte Alexander von Reibnitz, Hauptgeschäftsführer des Verbands Die Papierindustrie, dem ZDF. Die Bundeswahlleiterin selbst versuchte, den düsteren Tenor ihres Schreibens zu mildern und betonte auf X: „Wir haben selbstverständlich mit den Vorbereitungen für eine mögliche #Neuwahl begonnen, um die Herausforderungen durch die verkürzten Fristen gemeinsam mit allen Beteiligten bewältigen zu können. Wir müssen alle Vorbereitungen wie bei einer regulären Bundestagswahl treffen.“ Ein Sprecher der Bundeswahlleiterin wies zudem die Kritik aus der Opposition gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters zurück und erklärte, es habe „keine Weisung oder Einflussnahme auf die Position der Bundeswahlleiterin im Zusammenhang mit Neuwahlen“ gegeben. Es sei die Aufgabe der Bundeswahlleiterin, die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung bundesweiter Wahlen sicherzustellen „und hier auch auf Risiken hinzuweisen“. Brand plant am Montag eine Besprechung mit den Landeswahlleitern. „Schäbig von der Union“, finden die Grünen Die Koalitionsfraktionen von Grünen und SPD nehmen die Bundeswahlleiterin in Schutz. „Es ist schäbig von der Union, eine Behördenleiterin dafür zu kritisieren, dass sie angemessene Verfahrensweisen anmahnt, um eine faire und ordnungsgemäße Wahl sicherzustellen, denn das ist schlicht ihre Aufgabe“, betont Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, gegenüber WELT. Ein geordnetes Verfahren sei wichtig, um eine reibungslose Neuwahl zu gewährleisten. „Das geht nicht über Nacht. Denn die Vorbereitungen, die in den Parteien und Kommunen zu treffen sind, um eine faire und ordnungsgemäße Wahl zu gewährleisten, sind ja sehr umfangreich“. Darauf habe die Bundeswahlleiterin zu Recht hingewiesen. Mihalic weist darauf hin, dass allein der Kanzler bestimme, wann die Vertrauensfrage gestellt werde. „Für uns muss das nicht zwingend am 15. Januar sein. Wir streben zügige Neuwahlen an, aber es ist verantwortungslos, wie die Union in dieser Frage zündelt.“ Eine Vertrauensfrage schon in der nächsten Woche, wie von Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) vorgeschlagen, sei „unseriös“. Ähnlich wie zuvor Scholz signalisiert SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ein Entgegenkommen beim Wahltermin, fordert aber Vereinbarungen dazu, welche Projekte mit der Union gemeinsam umgesetzt werden können. „Beide Herausforderungen kann man zusammen und gemeinsam angehen“, sagte Mützenich der „Süddeutschen Zeitung“. Die Union wiederum will sich ein solches Junktim so nicht diktieren lassen und fordert das Prozedere in umgekehrter Reihenfolge. „Es ist höchste Zeit, dass der Kanzler angesichts seiner zerbrochenen Koalition die Vertrauensfrage stellt. Das ist eine Selbstverständlichkeit und wird von den Bürgern auch so erwartet“, sagte der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), WELT AM SONNTAG. Anschließend könnten die anstehenden Gesetzesvorhaben unverzüglich weiter beraten und beschlossen werden. Politikredakteur Kristian Frigelj ist bei WELT zuständig für landespolitische Themen, vor allem in Nordrhein-Westfalen.