Friday, November 8, 2024
Sind alle Tesla-Fahrer Spinner?
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Sind alle Tesla-Fahrer Spinner?
Simon Strauss • 9 Std. • 4 Minuten Lesezeit
In dies
Ziemlich beste Freunde: Trump und Musk
Seit einiger Zeit kursiert in Kindergärten und auf besser erzogenen Schulhöfen eine leicht modifizierte Form der alten Prinzen-Hymne „Mein Fahrrad“. Fast unmerklich ist dabei der Name einer einzelnen Automarke ausgetauscht worden: „Jeder Popel fährt ’nen Opel/ Jeder Affe fährt ’nen Ford/ Jeder Blödmann fährt ’nen Porsche/ Jeder Arsch ’nen Audi Sport/ Jeder Spinner fährt ’nen Tesla/ Jeder Dödel Jaguar/ Nur Genießer fahren Fahrrad/ Und sind immer schneller da.“ Dass Manta-Fahrer die größeren Spinner als Jaguar-Raser sein sollen, war schon im Erscheinungsjahr des Songs 1991 zweifelhaft – auch wenn Til Schweiger mit seinem im gleichen Jahr herausgekommenen Blödfilm einiges zu der Wertung beigetragen haben wird. Dass hingegen Tesla-Fahrer im Jahr 2024 und spätestens nach dem Ausgang der amerikanischen Wahlen als Spinner benannt werden, hätte durchaus seine Berechtigung. Die Frage ist nur: Werden sie es wirklich? Beziehungsweise: Fühlen sie sich als solche?
Die Spinner-Frage
Als 2008 der erste Tesla Roadster mit einem Akku aus Lithium-Ionen-Batteriezellen auf den Markt kam, hätte wohl niemand ernsthaft damit gerechnet, dass nur wenige Jahre später keine andere Automarke der Welt enger mit dem Wort „Zukunft“ assoziiert werden würde als diese. Der rasante Aufstieg der kalifornischen Garagenfirma zum weltweiten Gigaunternehmen hat viel mit Paypal-Gründer und Tesla-Hauptinvestor Elon Musk zu tun. Mit ihm hängt auch die Spinner-Frage unmittelbar zusammen. Die entscheidende Frage ist ja: In was für ein Auto steige ich, wenn ich heute, im November 2024, in einen Tesla steige? Anders als bei BMW, Mercedes oder Dacia, wo die Namen und Weltanschauungen der Chefs einer breiteren Weltbevölkerung weitgehend unbekannt sind, hat Elon Musk in den vergangenen Jahren einiges dafür getan, dass man ihn eindeutig mit bestimmten Werturteilen und politischen Haltungen assoziiert. Damit ist nicht nur sein handfestes Eintreten, Werben, ja zuletzt sogar zweifelhaftes Geldausgeben für Donald Trump gemeint, dem er unmittelbar nach dem gescheiterten Mordanschlag am 13. Juli 2024 seine gewinnbringende Unterstützung zusicherte. Und neben dem er nun auf dessen Siegesparty in Florida saß.
In Stahlgewittern
Früh schon hat sich Musk an seinem ehemaligen Paypal-Kollegen Peter Thiel orientiert. Insbesondere was seine gesellschaftspolitischen Grundannahmen und intellektuellen Einflussquellen angeht. Unvergessen die im November 2021 Wellen schlagende Nachricht, dass Elon Musk sich als ein begeisterter Ernst-Jünger-Leser zu erkennen gab. In einem Tweet, der an den militärhistorisch ambitionierten Podcaster Dan Carlin gerichtet war, lobte Musk vor seinen 62 Millionen Anhängern damals Jüngers „In Stahlgewittern“ enthusiastisch als „großartiges Buch“. Das war für all jene, die in Musk bisher den grünen Weltenretter mit aufgeklärtem Gewissen gesehen hatten, eine Überraschung. Als Musk wenig später dann Twitter kaufte, um die aus seiner Sicht in Gefahr geratene freie Meinungsäußerung zu schützen, und als Erstes wieder Verschwörungshetzer und strategische Lügner zuließ, begann sich das Bild von Musk endgültig zu wandeln.
Heute, zwei Jahre später, kann es eigentlich keinen Zweifel mehr geben, dass sich in dem schillernden Aurakostüm des südafrikanischen Studienabbrechers, der inzwischen zum welterobernden Re-volutionär der Autoindustrie, Erfinder eines eigenen Raumschiffprogramms und neurotechnologischen Pionier einer zukünftigen Lebenswelt aufgestiegen ist, ein hartgesottener Libertärer mit rechtskonservativer Teilidentität steckt. Musks intellektuelle Triebstruktur zeichnet sich eben nicht nur durch jenen futuristischen Erfindergeist aus, dem man ihm, dem „neuen Leonardo“, so oft zugeschrieben hat. Er ist auch von jenem wahrnehmungsverändernden Hassgift infiziert, das ihn in der „woken Linken“ den Teufel auf Erden erkennen lässt. Gerade weil Musk eben nicht nur in progressiven, sondern auch in erzmetaphysischen Kategorien denkt und das „Woke“ im alttestamentarischen Sinne als Plage kategorisiert, die Unheil über die Menschheit bringt, ist er auch ein neorechter Revolutionär. Einer, der deshalb plötzlich breitbeinig unter einer Autobahnbrücke an der mexikanischen Grenze steht und einem Sheriff vor Ort das Mikrofon hinhält, damit der über Kontrollverlust und massenhafte Einwanderung von Kriminellen berichten kann.
Wirkung der Weltanschauung
Das alles sei nur noch einmal in Erinnerung gerufen, um auf die Frage zu antworten: In was für ein Auto steige ich, wenn ich in einen Tesla steige? Bisher ist interessanterweise von ideologisch motivierten Anti-Tesla-Kampagnen oder gar Boykottaufrufen nichts zu hören gewesen. Noch wird offensichtlich niemand mit reaktionärem Gedankengut assoziiert, der mit einem Model S vorfährt. Das ist in unserer sonst so zensurbereiten Moralgesellschaft erstaunlich. Und kann am Ende nur mit einer strategischen Ausgleichlogik erklärt werden, nach der die umweltschonende Kraft des Elektroautos die giftige Wirkung der Weltanschauung aufwiegt.
Bisher keine Boykottaufrufe
Der Protest gegen Tesla beschränkt sich auf ein paar machtlose Naturschützer, die den gigantischen Wasserverbrauch und sonstigen Ressourcenumgang anprangern. Aber seine eindeutigen politischen Ansichten, die bis in die Bereiche der Falschinformation und halben Hetzabsicht hinabreichen, haben Musk und seiner Starmarke Tesla bislang nicht zum Schaden gereicht. Dabei wäre doch beispielsweise umgehend mit einem Boykottaufruf zu rechnen, wenn hierzulande ein BMW-Chef sich auf die Seite von Pegida geschlagen hätte.
Bei Elon Musk zögert unsere Gesellschaft noch. Zu bequem lässt sich mit dem Kauf eines Teslas sein klimabewusstes Gewissen ausstellen. „Natürlich Elektro“, damit ist der zukunftszugewandte Status markiert und alle sonstige politische Meinung etwa in Sachen Flüchtlinge oder Russland erst einmal abgesichert. Es ist ein bisschen so wie mit der neuen konservativen Parteichefin in Großbritannien: Ihre dunkle Hautfarbe, so geben die Parteistrategen ganz unumwunden zu, erlaube es der rechtskonservativen Politikerin, besonders hart in Sachen Migration und Sozialpolitik aufzutreten. Denn: Eine Rassistin wird man sie ja wohl nicht nennen wollen. So scheint auch der Tesla-Fahrer bis auf Weiteres ideologisch geschützt – wer einen Tesla fährt, kann ja wohl kein Rechter sein. Oder doch? Zumindest als Steigbügelhalter von Donald Trump wird man ihn in Zukunft jedenfalls ansprechen dürfen. Und als Spinner sowieso.