Thursday, November 14, 2024
Blues bei den Demokraten nach Trumps Wahlsieg: Die Bilanz eines glücklosen Wahlkampfs
Berliner Zeitung
Blues bei den Demokraten nach Trumps Wahlsieg: Die Bilanz eines glücklosen Wahlkampfs
Artikel von Frank Herrmann • 7 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Kaum war der Wahlsieger ausgerufen worden, hat bei den amerikanischen Demokraten auch schon die Fehlersuche begonnen, die Suche nach den Ursachen für Kamala Harris‘ Niederlage im Duell mit Donald Trump.
Da wäre zum einen das Hadern mit Joe Biden. Hätte der Präsident eher Platz gemacht für die nächste Generation, so der Tenor, wäre es vielleicht besser gelaufen. Hätte er, von Monat zu Monat greisenhafter wirkend, bereits zu Jahresbeginn seinen Verzicht auf eine nochmalige Kandidatur erklärt, hätte die Partei im robusten Wettstreit, im Härtetest interner Vorwahlen, ermitteln können, mit wem sie an den Start des Rennens ums Weiße Haus geht. So aber lief die Zeit davon, womit Biden auch Kamala Harris einen Bärendienst erwies, der Vizepräsidentin, die in ihrem undankbaren Amt kaum Chancen hatte, sich inhaltlich zu profilieren. In den dreieinhalb Monaten, die der Wahlkämpferin Harris nach Bidens Rückzug blieben, für die Verhältnisse amerikanischer Kampagnen eine ausgesprochen kurze Zeitspanne, leistete sie sich kaum einen Ausrutscher; das einzige Debattenduell mit Trump gewann sie souverän. Dennoch vermochte sie es offenbar nicht, Wechselwählern der Mitte die Zweifel an ihrer Eignung fürs höchste Staatsamt zu nehmen. Wären die Demokraten besser gefahren, hätten sie eine andere Kandidatin, einen anderen Kandidaten nominiert?
Nikki Budzinski gehört zu denen, die ihrer Partei raten, tiefer zu schürfen, statt es bei einer Personaldiskussion zu belassen. „Wir müssen in uns gehen und uns fragen, warum wir zu Menschen der Arbeiterklasse und den Themen, die sie bewegen, keine Tuchfühlung mehr bekommen“, sagt die wiedergewählte Kongressabgeordnete aus Illinois. Was Leute beschäftige, wenn sie sich am Küchentisch den Kopf darüber zerbrächen, wie sie finanziell über die Runden kommen, dazu müsse man wieder eine engere Verbindung herstellen. Die ökonomische Vision, die Kamala Harris zu skizzieren versucht habe, „trifft einfach nicht das, was diese Menschen an realer Ökonomie in ihrem Alltag spüren“. Harris, monieren Kritiker, habe sich zu sehr darauf konzentriert, vor Trump zu warnen, dem Möchtegern-Diktator, der die amerikanische Demokratie einem akuten Stresstest aussetzen würde. Ihre eigenen Programme dagegen seien zu kurz gekommen.
Tatsächlich blieb Harris seltsam vage bei Wirtschaftsthemen, statt überzeugende Antworten auf die Frage zu geben, was sie als Präsidentin tun würde, die in den Jahren zwischen 2021 und 2023 rasant gestiegenen und für viele noch immer schmerzhaft hohen Lebenshaltungskosten zu senken. Statt zumindest, über oft wie einstudiert wirkende Sätze hinaus, das Gefühl zu vermitteln, dass sie die Sorgen und Nöte der kleinen Leute versteht. Damit lieferte sie Trump mit seinen populistischen Versprechen auf dem wohl entscheidenden Feld der Auseinandersetzung eine Steilvorlage.
Warum identifizieren sich Amerikaner ohne Uni-Abschluss immer stärker mit den Republikanern, nachdem frühere Generationen ihre Interessenvertreterin in der Demokratischen Partei gesehen hatten? Es ist die Frage, um die sich bei den Debatten nach der Wahl vieles dreht. Die Absetzbewegung der Arbeiterschaft hin zu den Konservativen ist kein neues Phänomen. Schon 2016 hatte ihr Trump den Wahlsieg zu verdanken, ehe es Biden 2020 gelang, mit seinen familiären Wurzeln in der Industriestadt Scranton in Pennsylvania die Nähe zum Malocher-Milieu betonend, den Trend aufzuhalten. Diesmal vermitteln die „exit polls“ (dt. Nachwahlbefragung) ein Bild, das bei den Demokraten Alarm auslösen sollte. Es sind nicht mehr vor allem weiße Arbeiter, sondern zunehmend auch solche mit schwarzer und brauner Hautfarbe, die Trump den Zuschlag geben. Wobei die Hinwendung der Latinos zu dem Milliardär vielleicht die eigentliche Geschichte dieser Wahl ist.
Vor zwölf Jahren, nach der Niederlage Mitt Romneys im Präsidentschaftsduell gegen Barack Obama, waren es die Republikaner, die untersuchten, warum sie bei Latinos so schlecht abgeschnitten hatten. Das Wort vom Obduktionsbericht machte die Runde, als sie ihre Studie veröffentlichten. Finde man keinen besseren Zugang zu ethnischen Minderheiten, insbesondere zu Latinos, der am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppe des Landes, riskiere man eine politische „Todesspirale“, warnte der konservative Senator Lindsey Graham. Stimmten 2012 noch 71 Prozent der Hispanics für Obama, so waren es 2024, „exit polls“ zufolge, nur 53 Prozent, die sich für Kamala Harris entschieden. Bei Männern mit Wurzeln in Lateinamerika lag Trump sogar vorn: 54 Prozent gaben ihm den Vorzug vor Harris.
Der Journalist Tim Alberta hat in der Zeitschrift The Atlantic Gründe dafür genannt. Die Demokraten, schreibt er, konzentrierten sich auf die kulturellen Anliegen gebildeter weißer Wähler, denen es finanziell gut gehe, und zwar auf Kosten von Hispanics, deren wichtigstes Anliegen es sei, genug Geld zu verdienen, um nicht auf Almosen angewiesen zu sein. Hätten die Demokraten mit Obama an der Spitze noch die Möglichkeit des Aufstiegs aus einfachen Verhältnissen betont, das Kernversprechen des „American Dream“, so sei daraus ab 2016 die Anti-Trump-Partei geworden, die die eigene soziale Botschaft vernachlässigte. Progressive Politik – Klimaschutz, Waffenkontrolle, eine liberale Einwanderungspolitik – komme zwar bei gebildeten, weltoffenen Wählern gut an, verprelle aber die Arbeiterschaft, Latino-Arbeiter eingeschlossen, weil sie aus deren Sicht falsche Prioritäten setze
Nun sind Amerikaner, die nicht an Universitäten studiert haben, gegenüber denen mit College-Abschluss noch immer klar in der Mehrheit, auch wenn sich die Proportionen seit Jahrzehnten zu Gunsten der Uni-Absolventen verschieben. In Pennsylvania, dem so wichtigen Swing State im Rust Belt, liegt ihr Anteil an der Wählerschaft über dem Landesdurchschnitt, in Michigan und Wisconsin ist es ähnlich. Harris‘ Hoffnung, Verluste in diesem Milieu durch Zugewinne bei Wählern mit Hochschulabschluss auszugleichen, auch bei konservativ gesinnten, die Trumps rohe Sprache abstößt, insbesondere bei Frauen, hat sich nicht in dem Maße erfüllt, dass es zum Sieg gereicht hätte. Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont, mit ungeschminkter Rhetorik bei Gewerkschaften unverändert populär, hat das Dilemma am Tag nach der Wahl in einem Satz zusammengefasst. „Es sollte keinen überraschen, dass eine Demokratische Partei, die die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat, feststellen muss, dass sie von der Arbeiterklasse im Stich gelassen wurde.“