Friday, April 26, 2024

Michael Verhoeven ist tot: Kluger Filmhandwerker – und manchmal auch Revolutionär

DER SPIEGEL Michael Verhoeven ist tot: Kluger Filmhandwerker – und manchmal auch Revolutionär Wolfgang Höbel • 5 Std. • 4 Minuten Lesezeit Als Regisseur war Michael Verhoeven ein vielseitiger, oft politisch engagierter Tausendsassa. Dass sein eigener Ruhm oft von dem seiner Frau Senta Berger überstrahlt wurde, schien er lässig in Kauf zu nehmen. Michael Verhoeven ist tot: Kluger Filmhandwerker – und manchmal auch Revolutionär Seinen vermutlich berühmtesten Film hat kaum jemand gesehen. Er heißt »o.k.« und war im Jahr 1970 der Anlass für den Abbruch der Berlinale. Junge, bayerisch sprechende Schauspieler stellen in dem Schwarz-Weiß-Film leicht laientheaterhaft eine historisch verbürgte Gräueltat aus dem Vietnamkrieg nach: eine Vietnamesin, gespielt von der damals 16-jährigen Eva Mattes, wird von US-Soldaten vergewaltigt und ermordet. Die Jury der Berlinale zerstritt sich über die Frage, ob der Film aus dem Wettbewerb fliegen sollte, die Filmfestspiele wurden zum bislang einzigen Mal in ihrer Geschichte abgebrochen. »Der Film sollte ein Statement sein«, hat der Regisseur Michael Verhoeven, der diese Woche im Alter von 85 Jahren gestorben ist, später über »o.k.« gesagt. Ein Teil der wenigen deutschen Zuschauer, die ihn sich ansahen, habe den Film damals regelrecht gehasst. »Es hieß immer, der Vietnamkrieg würde für die gesamte westliche Welt ausgefochten. Das wollte ich nicht akzeptieren.« In diesem Gestus, als engagierter Wahrheitssucher mit stolzem politischem Eigensinn, hat Michael Verhoeven viele seiner Filme gemacht. Einige davon hatten phänomenalen Zuschauererfolg. »Die weiße Rose« mit Lena Stolze in der Rolle der Widerstandskämpferin Sophie Scholl wurde der publikumsstärkste Film des Kinojahres 1982 und war lange weit oben in der Liste der erfolgreichsten deutschen Kinofilme überhaupt. Der Film sei nicht nur eine spannende Rekonstruktion des Widerstands junger Münchner Studenten gegen Hitler, »Verhoeven geht es um mehr«, hieß es vor 42 Jahren in der SPIEGEL-Kritik. »Er möchte zeigen, dass Einzelaktionen auch heute etwas bewirken können.« Verhoevens Beschäftigung mit Krieg und politischem Unrecht hatte auch biografische Gründe. Er stammte aus einer prominenten Künstlerfamilie, die es aus Berlin nach München verschlagen hatte. Sein Vater Paul Verhoeven war ein Star als Schauspieler und Regisseur – auch während der Zeit des Nationalsozialismus, in der er keineswegs aufbegehrt hatte. Immerhin waren es eher harmlose Unterhaltungs- und Musikfilme, die er drehte, und keine Propaganda. Auch Michael Verhoevens Mutter Doris Kiesow und seine Schwester Lis waren Schauspielerinnen. »Wir haben in der Familie ständig über die NS-Zeit gesprochen«, hat Verhoeven in einem Interview über seine Jugend erzählt. »Das ist etwas, wofür ich meinen Eltern sehr dankbar bin.« Er selbst spielte schon als Kind auf der Theaterbühne und vor der Kamera in den Erich-Kästner-Werken »Pünktchen und Anton« und »Das fliegende Klassenzimmer«. Er entschied sich dann vorübergehend gegen die Kunstarbeit und für ein Medizinstudium, das er mit einer Doktorarbeit abschloss, in der es um Gehirntumore ging. Er habe »das Familientheater« als eine »Falle, aus der ich raus musste«, empfunden, schrieb Verhoeven in seiner 2005 erschienenen Autobiografie »Paul, ich und wir. Die Zeit und die Verhoevens« und berichtet darin auch über einen Selbstmordversuch in jungen Jahren. Mit seiner Gefährtin, der Schauspielerin Senta Berger, die er 1963 bei Dreharbeiten kennenlernte und 1966 heiratete, gründete er selbst eine Künstlerfamilie, aus der unter anderem der Regisseur Simon Verhoeven stammt. Anfangs pendelte das Paar wegen Senta Bergers Ausflügen ins amerikanische Filmgeschäft zwischen Deutschland und Kalifornien. Für die gemeinsame Produktionsfirma Sentana produzierten Berger und Verhoeven über Jahrzehnte hinweg Kino- und Fernsehfilme. Einer der jüngeren Hits war im Jahr 2016 die Flüchtlingskomödie »Willkommen bei den Hartmanns«, in der Berger eine Hauptrolle spielte und Simon Verhoeven Regie führte. Er inszenierte auch Folgen von »Tatort« und »Der Kommissar« Dass der Glamour seiner Ehefrau mitunter seinen eigenen Ruhm überstrahlte, schien Michael Verhoeven eher ungerührt zu registrieren. Im Auftreten zeichnete er sich durch münchnerischen Charme, präzises Argumentieren und eine manchmal staubtrockene Unerbittlichkeit aus. Den Regieberuf verstand er offensichtlich als Handwerk. Er begann seine Regisseurskarriere mit einer modernen Version von Strindbergs »Totentanz« und drehte in den Siebzigern das kühle Sozialdrama mit dem bald sprichwörtlichen Titel »Ein unheimlich starker Abgang«. Er inszenierte Krimis für die Reihen »Der Kommissar«, »Tatort« und »Bloch« und arbeitete hin und wieder auch fürs Theater. Er bekam für sein Kinoporträt einer aufmüpfigen bayerischen Schülerin unter dem Titel »Das schreckliche Mädchen« 1990 ausgerechnet auf der Berlinale einen Silbernen Bären, 1991 wurde der Film auch für die Oscars nominiert. Die mauen Reaktionen auf seinen vielleicht ambitioniertesten Kinofilm »Mutters Courage« nach einer Vorlage von George Tabori, der 1995 herauskam, waren eine Enttäuschung, die er sich ausnahmsweise zu Herzen nahm. »Wir waren jung und wollten die Welt neu erschaffen«, hat Michael Verhoeven sich in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk einmal an die Sechziger erinnert. »Wir, meine Generation, Alexander Kluge und die anderen, alle so um die 30 Jahre alt, wurden unglaublich bekämpft von der etablierten Filmbranche. Die haben gesehen, dass das, was wir Burschen da wollen, etwas ganz anderes war.« Tatsächlich hat Verhoeven keineswegs die Welt neu erschaffen, aber eine sagenhaft umfangreiche, widersprüchliche, hochinteressante Werkbiografie zustande gebracht. »Viele aus jener Generation, die mit ihm als Filmemacher gestartet sind, haben die Bandbreite seiner Arbeiten nicht verstanden«, hieß es in der Laudatio, als der schon vielfach ausgezeichnete Verhoeven 2022 den Helmut-Käutner-Preis erhielt. Zeitlebens habe er es geschafft »offen zu sein für das Überraschende«. Das war, gerade für einen deutschen Filmkünstler, eine außergewöhnliche und bewundernswerte Gabe.