Tuesday, January 9, 2024

Neue Randparteien sind demokratisch legitim – aber sie schaden der bürgerlichen Mitte

WELT Neue Randparteien sind demokratisch legitim – aber sie schaden der bürgerlichen Mitte Artikel von Hannah Bethke • 1 Std. Erst Sahra Wagenknecht, jetzt Hans-Georg Maaßen: Das Bestreben, neue Parteien zu gründen, ist eine Reaktion auf wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Die Demokratie hält das aus – die Stimmungslage hierzulande aber wird sich dadurch weiter verschärfen. Und der politische Schaden ist groß. In Zeiten, da nahezu jeder politische Dissens in öffentlichen Protest zu münden droht, ist der alternative Weg einer Parteigründung fast schon beruhigend. Immerhin formieren sich die politischen Kräfte hier mit bewährten Mitteln des demokratischen Systems und sind im Idealfall sogar in der Lage, die Wut der Straße einzuhegen und einer weiteren Radikalisierung vorzubeugen. In der politischen Praxis allerdings stößt diese schöne Theorie des demokratischen Miteinanders auf harte Grenzen. Zwei neue Parteien erscheinen am Horizont der deutschen Parteienlandschaft: Gerade hat Sahra Wagenknecht die Gründung ihrer Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) offiziell gemacht. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, erwägt derweil, gemeinsam mit der Werte-Union eine neue Partei zu gründen. An der Legitimität dieser Bestrebungen ist nichts zu beanstanden. Demokratie lebt von Vielfalt, solange sich alle an die Verfassung halten. Nicht ohne Grund spricht Wagenknecht immer wieder von einer „Repräsentationslücke“: Etablierte Parteien haben zu lange über die Köpfe der Bürger hinwegregiert. Abgehobene Debatten zur Identitätspolitik, systematisches Ausblenden großer Probleme in der Migrationspolitik, fehlende Präsenz in einer sich wandelnden Arbeiterschaft – all das hat dazu beigetragen, dass sich viele Bürger vom Staat abgewendet haben. Nun ist die politische Krise da, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung so ausgeprägt wie lange nicht und das Bedürfnis nach einer besseren Vertretung ihrer Interessen groß. Wachsende Feindschaft gegenüber dem Bürgerlichen Für die bürgerliche Mitte aber sind das keine guten Entwicklungen. Maaßen hat bereits signalisiert, dass die von ihm angestrebte Partei bereit wäre, mit der AfD zusammenzuarbeiten – die vom Verfassungsschutz zuletzt in Sachsen als gesichert rechtsextremistisch eingestuft worden ist. Wagenknecht bedient hingegen gekonnt einen Populismus von links und übt sich weiterhin in Strategien der Verharmlosung, wenn es um Kreml-Chef Wladimir Putin und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geht. In ihrer ideologischen Ausrichtung erzeugen beide eine weitere Anspannung der Demokratie und verschärfen die allgemeine Stimmungslage. Wenn die politischen Ränder erstarken, befeuert das die wachsende Feindschaft gegen bürgerliche Institutionen, Presse, Staat, Wissenschaft. Wir haben gottlob eine wehrhafte Demokratie, deren Verfassungsgerichtsbarkeit verhindert, dass sie sich selbst abschaffen kann. Die radikalen Randparteien verstärken dennoch einen gefährlichen Trend: Die gesellschaftliche Mitte wird weiter geschwächt.