Monday, January 8, 2024
„Stoppt den Wahnsinn“: Die Ampel-Proteste in Miesbach und ihre Auswirkungen
Merkur
„Stoppt den Wahnsinn“: Die Ampel-Proteste in Miesbach und ihre Auswirkungen
Artikel von Stefanie Fischhaber •
1 Std.
Aktionen in Innenstadt und auf Bundesstraße
Stillstand im Berufsverkehr: Auf der Bayrischzeller Straße/B472 ging ab 7 Uhr morgens wegen der zahlreichen Protest-Teilnehmer in beiden Richtungen nichts mehr.
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„Stoppt den Wahnsinn“: Das war das Motto der Ampel-Proteste in Miesbach. Auswirkungen der Demonstrationen auf den Straßenverkehr und damit auch auf Schulen und Krankenhaus blieben nicht aus.
Miesbach – Ein (noch) überschaubares Grüppchen hat sich am frühen Montagmorgen am Miesbacher Volksfestplatz versammelt. Acht Traktoren und in etwa doppelt so viele Kleintransporter und Pkw – viele davon Firmenfahrzeuge von Handwerksbetrieben und mittelständischen Unternehmen – machen sich um Punkt 6 Uhr bei Dunkelheit und Schneetreiben im Konvoi auf den Weg durch die Innenstadt. Mit Bannern und Transparenten, eingeschalteter Warnblinkleuchten und rot-weißen Flatterbändern an den Außenspiegeln zeigen die Fahrer ihre Teilnahme an der angemeldeten Protest-Fahrt gegen die Politik der Ampel-Regierung. Zwei Polizeiautos begleiten die Gruppe.
Protest-Fahrt durch die Innenstadt
Der erste Eindruck: War das schon alles? Wie berichtet, hatten die Organisatoren am Wochenende über die sozialen Netzwerke zu einer großen Sternfahrt in die Kreisstadt aufgerufen. Doch am frühen Morgen wirkt es zunächst so, als wären die orangefarbenen Blinklichter der parallel im Winterdiensteinsatz befindlichen Traktoren sogar in der Überzahl. Die Motivation der Teilnehmer schmälert das nicht. Versammlungsleiter Franz Singer, Fliesenleger aus Bad Aibling, schwört sie – nach Verkündung der mit Polizei und Stadt vereinbarten Regeln – aufs Ziel der Veranstaltung ein: „Ab in die Autos, auf in den Kampf.“ Aufs Gaspedal drücken brauche man dafür aber nicht: „Fahrt langsam, wir haben bis 11 Uhr Zeit.“
Demo in der Innenstadt: einer der Traktoren am Miesbacher Stadtplatz.
So lange kreiselte der im Lauf des Tages auf laut Singer 60 Fahrzeuge (20 Traktoren, 40 Kleintransporter und Pkw) anwachsende Konvoi dann auch in Dauerschleife durch die Innenstadt. Immer zwischen den beiden Wendepunkten am Volksfestplatz und am Kreisel zwischen Aldi und Bayerischer Hof hin und her. Das aber immer flüssig, bis aufs eine oder andere Hupzeichen ruhig und ohne den Verkehr unnötig zu blockieren, betont Singer zufrieden. Warum er als Nicht-Landwirt die Demo organisiert hat, begründet der Fliesenleger mit einer generellen Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung. Der arbeitenden und steuerzahlenden Bevölkerung werde immer mehr genommen, während sich andere – vor allem auch im Ausland – daran bereichern würden. Ihm und seinen Handwerker-Kollegen gehe es daher nicht nur um Solidarität mit den Landwirten, sondern auch mit allen anderen erwerbstätigen Menschen im Land.
Demo-Stau auf der Bundesstraße
Dass von denen am Montagmorgen etliche zu spät in die Arbeit gekommen sind, damit hatte die Protest-Fahrt in der Innenstadt nichts zu tun. Vielmehr rollten pünktlich zum einsetzenden Berufsverkehr gegen 7 Uhr von Irschenberg, Weyarn und Hausham kommend viele weitere Autos, Traktoren und sogar Lastwagen heran, um die B472 in eine Demo-Meile zu verwandeln. Über Stunden kam hier der Verkehr fast gänzlich zum erliegen. Augenscheinlich nahmen die meisten Unbeteiligten dies nicht nur geduldig hin, sondern bekundeten den Demonstranten mit Warnblinklicht ihre Solidarität. Der eine oder andere Passant reckte gar den Daumen nach oben, um seine Zustimmung zu den Aufschriften auf den Transparenten zu signalisieren. Und das, obwohl sich der Stau bis in den Nachmittag hineinzog.
Stau bis in den Nachmittag: die Lage auf der B472 bei Agatharied.
Auswirkungen auf Schulen und Klinikum
Davon beeinträchtigt war nicht nur der Berufs-, sondern auch der Schülerverkehr. Laut Schulamtsdirektor Jürgen Heiß war besonders die Tangente Hausham-Miesbach-Irschenberg von Verzögerungen und Staus betroffen. „In der ersten Stunde waren viele Plätze leer“, berichtet Claudia Reiserer, Schulleiterin des Gymnasiums Miesbach. Einige Schüler seien vom Bus auf den Zug umgestiegen. „Wer keine Beförderungsmöglichkeit hatte, konnte daheim bleiben“, erklärt Thomas Kaspar, Schulleiter der Realschule Miesbach. Aber auch viele Lehrkräfte seien zu spät gekommen. „Die Mehrzahl der Schulleitungen hat uns aber bestätigt, dass die Situation für alle Beteiligten noch gut aufzufangen war“, sagt Heiß. Die Schulen hätten in den vergangenen Jahren gelernt, mit außergewöhnlichen und krisenhaften Situationen umzugehen.
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Das ist man auch im Krankenhaus Agatharied gewohnt. Dennoch habe man die Auswirkungen der Protestaktion vor der Haustür gespürt, berichtet Dr. Steffen Herdtle, Chefarzt der Notfallmedizin im Klinikum. Die Frühdienste seien von den Behinderungen noch nicht betroffen gewesen. Dafür seien zahlreiche Kollegen am Morgen mit zwei bis drei Stunden Verspätung oder gar nicht gekommen. Das Krankenhaus konnte am Vormittag weniger als die Hälfte der OP-Säle verwenden, da rund ein Drittel der Mitarbeiter verspätet eintraf. Auch einige geplante Operationen mussten laut Herdtle verschoben werden, weil Mitarbeiter oder Patienten im Stau standen. Seine Kollegen im Rettungsdienst berichteten hingegen wenig Negatives. „Teilweise wurden Rettungsgassen vorbereitet, dafür ein großes Lob an die Organisatoren.“ Im Krankenhaus bemerkte Herdtle, dass weniger Patienten in die Notaufnahme kamen. Dafür hätten mehr Personen den Rettungswagen gerufen, weil sie befürchteten, sonst nicht am Stau vorbeizukommen. Um größere Einschränkungen im Betrieb abzuwenden, hätten einige Mitarbeiter ihren Dienst schon um 6 Uhr begonnen. Für Mitarbeiter, die nach dem Frühdienst nicht mehr nach Hause kamen, hatte die Klinik Schlafmöglichkeiten vorbereitet. „Keiner der Patienten ist zu Schaden gekommen“, lautet die positive Bilanz.
Kamen durch: Rettungswagen des BRK.
Viel positive Reaktionen haben derweil die Teilnehmer bei der Innenstadt-Demo erfahren, berichtet Singer erfreut. Autofahrer hätten ihnen Vorfahrt gewährt, obwohl sie das gar nicht hätten tun müssen. Zahlreiche Geschäfte spendierten Kaffee, Tee, Brezen oder Leberkässemmeln als Pausenverpflegung und stellten ihre Toiletten zur Verfügung. Singer wertet dies auch als Folge der auf Empfehlung der Polizei rücksichtsvoll ausgewählten Protest-Route, die Schulen und Krankenhaus bewusst ausgespart habe. Überhaupt habe die Zusammenarbeit mit den Beamten gut funktioniert, bedankt sich Singer.
Ob er zeitnah zu einer weiteren Protest-Fahrt aufruft, kann er noch nicht sagen. „Jetzt muss ich mich erst mal wieder um meine Kunden kümmern – und um meine Familie.“
sg/sf