Monday, January 1, 2024
Debatte ums Bürgergeld: Es ist falsch, jedes Problem mit Geld zu bewerfen
Tagesspiegel
Debatte ums Bürgergeld: Es ist falsch, jedes Problem mit Geld zu bewerfen
Artikel von Karin Christmann •
16 Min.
Harte Sanktionen – oder noch härtere? Hubertus Heils Kurswechsel beim Bürgergeld ist richtig. Die ganz großen Aufgaben aber liegen anderswo.
Da ist das Geld hart erarbeitet: eine Reinigungskraft in einem Berliner Krankenhaus.
Der Minister gibt sich hart, die Opposition noch härter. Hubertus Heil will Job-Verweigerer mit einem Komplettentzug des Bürgergeld-Regelsatzes strafen, die CSU fordert mehr: Nicht nur für zwei Monate, sondern unbegrenzt soll die Sanktion gelten.
Dieses Spiel wird sich noch einige Runden spielen lassen. Was auch immer der Arbeitsminister vorschlägt, für die Union wird es ein Leichtes sein, noch eins draufzulegen.
Umso wichtiger ist es, aufs Grundsätzliche zu schauen, statt aufs Hin und Her der Ideen. Wenn ein Mensch in misslicher Lebenssituation um Hilfe bittet, welche Frage soll der Staat stellen? Lautet sie: Wie können wir helfen, was können wir zahlen? Oder lautet sie: Wie kannst Du Dir selbst helfen, und welche Unterstützung brauchst Du dafür?
Für Reizwörter nicht zu schade
Wo die einen fürchten, der Staat lasse sich ausnehmen, sehen die anderen die Menschenwürde in Gefahr, sobald von Kürzungen die Rede ist. Heils Vorschlag hat in Teilen seiner Regierungskoalition Empörung verursacht. Bundestagsabgeordnete aus dem linken Flügel der SPD widersprechen deutlich, die Grünen sind skeptisch. Die Reaktionen zeigen, wie selbstverständlich für manche Antwort eins geworden ist: die Idee, der Staat solle allzeit bereitwillig mit Geld aushelfen.
Der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer ist sich für Reizwörter nicht zu schade und sagt, es sei nicht vertretbar, „Menschen als Sanktion hungern zu lassen“. Dabei geht es doch um den Fall, dass Betroffene ganz konkret die Möglichkeit haben, ein Jobangebot anzunehmen und so für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Wann, wenn nicht dann, soll der Staat die Menschen auf deren eigene Gestaltungsmöglichkeiten verweisen.
Doch offensichtlich ist nicht einmal ein solcher Kernbereich der persönlichen Eigenverantwortung derzeit politisch konsensfähig. Wer die Menschen an gar keinem Punkt mehr darin ernst nehmen will, dass sie für ihr eigenes Leben selbst Verantwortung tragen, dem bleibt tatsächlich nur, jedes Problem mit Geld zu bewerfen. Ein moderner Sozialstaat, getragen von einer breiten Mehrheit der (arbeitenden) Bevölkerung, lässt sich so nicht bauen.
Anstrengung ist mehr als Erwerbsarbeit
Dabei gäbe es für Minister Heil immens viel zu tun, damit der Sozialstaat verlässlich leistet, was er leisten soll: Bedürftigen zu helfen und eigene Anstrengung zu belohnen.
Anstrengung ist übrigens unbedingt breiter zu definieren, als nur mit Blick auf Erwerbsarbeit. Wer als alleinerziehende Mutter für vier Kinder sorgt und nebenbei einige Stunden arbeitet, der verdient monetär nicht viel, ist aber eine Leistungsträgerin.
Bei den anderen hingegen, den Arbeitsunwilligen und Verweigerern, geht es am Ende nur um einen überschaubaren Personenkreis. Wie mit ihm umgegangen wird, ist auch aus Gründen der Signalwirkung wichtig. Trotzdem taugt das Thema eher zur Polarisierung der Debatte als zur Sanierung des Sozialhaushalts.
Mehr Brutto kann zu weniger Geld auf dem Konto führen
Die großen Aufgaben liegen woanders. Sie verbergen sich etwa hinter dem sperrigen Begriff der Transferentzugsrate. Es gibt für Menschen mit niedrigem Gehalt verschiedene Sozialleistungen: Sie können über das Bürgergeld aufstocken, Wohngeld oder Kinderzuschlag beziehen. Wie sich die Leistungen zueinander verhalten, ist schwer zu durchschauen.
Das führt in so einigen Konstellationen dazu, dass ein Mehr an Brutto nicht zu mehr Geld auf dem Konto führt. Weil die Sicherungssysteme nicht ineinandergreifen, kann es passieren, dass ein Gehaltsplus vom Abschmelzen der Sozialleistungen komplett zunichtegemacht wird. Dieses Problem in Angriff zu nehmen, ist bei weitem komplizierter, als das Sanktionsregime zu verschärfen. Der Effekt aber wäre unermesslich höher.
Und zwar nicht nur für die Frage, wie viel der Staat fürs Bürgergeld ausgeben muss. Hier tut sich beispielsweise auch die Möglichkeit auf, Menschen zum Wechsel von Teilzeit auf Vollzeit zu motivieren und so dem Arbeitskräftemangel etwas entgegen zu setzen.
Diese Aufgaben sollten Minister Heil und die ganze Bundesregierung in Angriff nehmen. Sie sind komplizierter, als so manche leidenschaftlich geführte Debatte ums Bürgergeld glauben lässt.