Friday, January 12, 2024

Aufgeheizte Stimmung, angeschlagener Kanzler – und wenig Spielraum

RP ONLINE Aufgeheizte Stimmung, angeschlagener Kanzler – und wenig Spielraum Artikel von RP ONLINE • 3 Std. Berlin . Bauernproteste, Bahnstreik, Gefahr von Rechts – die Stimmung ist aufgeladen, die Regierung verunsichert. Jede nächste Regierung wird versuchen, sich mehr finanziellen Spielraum zu verschaffen: durch kreditfinanzierte Sondervermögen oder die Reform der Schuldenbremse. Auf wundersame Weise haben sich im Bundeshaushalt noch einige Milliarden gefunden. Mit diesem Geld, das 2023 übrig geblieben ist, kann der Bund nun im laufenden Jahr – hoffentlich ohne neue rechtliche Probleme auszulösen - die Hilfen für die Flutopfer im Ahrtal bezahlen. Der Plan von SPD und Grünen, für die 2,7 Milliarden Euro Ahrtal-Hilfe eine Notlage zu erklären und auch 2024 die Schuldenbremse auszusetzen, hat sich damit erübrigt. Die in der Relation geringe Summe wäre ohnehin im 470-Milliarden-Etat nicht erheblich gewesen. Das Aussetzen der Schuldenregel hätte nicht verfassungsrechtlich sauber begründet werden können. Das Verfassungsurteil von Mitte November war ein Schock für die Ampel-Regierung von Kanzler Olaf Scholz, weil es ihr gesamtes finanzielles Fundament erschütterte. Dass die angeschlagene Koalition noch die Kraft für einen Haushaltskompromiss hatte, ist ihr anzurechnen: Es war ihr mit einem Kraftakt möglich, im Etat kurzfristig 17 Milliarden Euro zu finden, ohne neue Schulden aufzunehmen. Allerdings war der Kompromiss schlecht gemacht. Dass die Landwirte als einzige gleich an zwei Stellen Sparbeiträge leisten sollten, traf sie überproportional. Wäre der Agrarminister von Anfang an eingebunden gewesen, hätte er die Schieflage vermutlich vermieden. Die Regierung ruderte zurück, was die Sache nicht mehr besser machte. Die Folge dieser Regierungsfehler sind massive Proteste der Bauern, denen sich immer mehr Berufsgruppen und rechte Fanatiker anschließen. Die Stimmung ist aufgeheizt, der Kanzler angezählt. Was Deutschland gerade jetzt nicht braucht, wären eine Regierungskrise und weitere Destabilisierung. Die Ampel muss die Legislaturperiode unbedingt zu Ende bringen und wieder für Ruhe sorgen. Da sind Papiere, wie sie die SPD-Bundestagsfraktion zur mittelfristigen Reform der Schuldenbremse verabschiedet hat, gerade in diesem Moment kontraproduktiv, weil sie neuen Streit in der Ampel auslösen können. Die FDP wird die Schuldenbremse so lange verteidigen, wie es eben geht, möglichst aber bis nach den Landtagswahlen. Eine Reform der Schuldenbremse wird es in dieser Periode nicht geben, weil Union und FDP dabei nicht mitmachen. Aber in der kommenden Wahlperiode wird eine jede Regierung das Thema Schuldenbremse auf die Agenda nehmen müssen. Der Bundeshaushalt ist zu über 90 Prozent an rechtliche Versprechen für staatliche Leistungen gebunden, der tatsächliche Handlungsspielraum in der alternden Gesellschaft damit zu gering, um alle Zukunftsaufgaben zu meistern und zugleich den komfortablen Sozialstaat weiter zu finanzieren. Wie sehr schon kleinste Kürzungen Widerstand provozieren, lässt sich gerade beobachten. Entweder also findet sich in der nächsten Periode eine Zwei-Drittel-Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes für eine vernünftige und maßvolle Reform der Schuldenbremse, etwa nach dem Vorbild des neuen EU-Stabilitätspakts. Oder die Regierung bildet neue verfassungsfeste, kreditfinanzierte Sondervermögen wie das für die Bundeswehr – für den Klimaschutz und den Ausbau der Infrastruktur.