Tuesday, April 15, 2025
Seine Helden waren Sonntagskinder: Zum Tod von Peter Seiffert
Merkur
Seine Helden waren Sonntagskinder: Zum Tod von Peter Seiffert
Markus Thiel • 12 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Nachruf
Eine einzigartige Stimme, musterhaft entwickelt und pures Gold: Peter Seiffert war Klang gewordene Grandezza. Ein Nachruf auf den Tenor.
„Circe! Circe!“ Die ersten Rufe sind das für Bacchus, ekelhaft hoch gelagert und noch hinter der Bühne gesungen, da geraten die meisten Tenöre schon an den Anschlag. Doch hier, im Herbst 2015 an der Bayerischen Staatsoper, bekam man das Gefühl: Der Mann fängt erst an. Und: Er hat Spaß daran. Es war einer der letzten Münchner Opernauftritte von Peter Seiffert. Da war er bereits im Frührentenalter, und Kirill Petrenko musste den Star gelegentlich zurück in die Spur dirigieren. Egal, Seiffert war vielleicht nicht der Genaueste, Textsicherste seiner Zunft. Aber wer über eine solche Stimme, über solch helles Gold verfügte, dem verzieh man alles.
Am Montag ist Seiffert an seinem Wohnort in der Nähe von Salzburg gestorben. 71 Jahre alt wurde er, und man darf davon ausgehen: Wäre nicht diese schwere Krankheit gewesen, er würde noch immer auf der Bühne stehen. Weil er Singen, das hörte man jeder seiner Partien an, als Genuss empfand. Und weil sich seine Stimme musterhaft entwickeln durfte: vom zart besaiteten Fenton in Otto Nicolais „Lustigen Weibern von Windsor“, den er unter Wolfgang Sawallisch an der Bayerischen Staatsoper sang, bis zum schweren Tannhäuser-Helden.
Instinktsänger im besten Sinne
Auch wenn sich diese einzigartige Stimme dehnte und weitete: Peter Seiffert klang im Grunde immer gleich. Seine Helden waren Klang gewordene Sonntagskinder. Und später, wenn es auch an die dunklen Rollen ging, Männer, die durch einen Lustgarten wandelten – wobei man das durchaus doppelbödig verstehen darf. Den Bacchus lebte Seiffert auch im Privatleben aus. Der gebürtige Düsseldorfer konnte das Leben genießen. Mit einer Grandezza, einem Was-kostet-die-Welt-Charme, der sich in seinen Interpretationen widerspiegelte. Abseits der Bühne war Seiffert Sonnyboy und Alleinunterhalter: Selbstironie, ein nie verletzender Humor, vor Pointen berstende Anekdoten. Auf einem Gastspiel der Bayerischen Staatsoper in Tokio parlierte Seiffert à la Hape Kerkeling minutenlang in einem Fantasie-Japanisch, zur Überraschung und Amüsement der Einheimischen. Diesem Mann hätte man auch eine Fernsehshow gegönnt.
Seiffert, aber das wusste er selbst, war gewiss kein Grübler, kein Intellektueller. Keiner, der seine Kunst auf die Goldwaage legte – und trotzdem produzierte er an jedem Abend genau jenes Edelmetall. Er war das typische Beispiel eines Instinktsängers, Fritz Wunderlich war ihm da vielleicht verwandt, der einfach alles richtig machte und damit überzeugte. Und der Instinkt führte ihn auch durch seine Karriere. Vom Ensemble der Deutschen Oper am Rhein zur Deutschen Oper Berlin, bis er die einengende Festanstellung nicht mehr brauchte. Die Bühnen rissen sich um ihn. Erst um den Mozart-Sänger Seiffert, dann um den jugendlichen Helden (Erik, Max, Florestan), schließlich um das vokale Schwergewicht, dem Siegmund, Tristan oder Tannhäuser keinerlei Probleme bereiteten.
Letzter Münchner Auftritt mit Mahler
Eine seiner Lebensrollen war der Lohengrin. Den sang er erstmals und frisch nach dem Fachwechsel in München, wieder unter Sawallisch und in einer Wiederaufnahme der Inszenierung von August Everding, später auch, deutlich gereifter, bei den Bayreuther Festspielen. Ein Ritter, dem man die Herkunft aus der enthaltsamen Gralswelt nie ganz abnahm – dafür aber die Liebe zu Elsa. Die verkörperte in Bayreuth Seifferts zweite Frau, die Sopranistin Petra-Maria Schnitzer. Zuvor war er mit der Sängerin Lucia Popp verheiratet. Beide fanden zueinander über die Münchner Produktion der „Lustigen Weiber“, den frühen Krebstod von Lucia Popp im Jahr 1993 hatte Seiffert lange nicht verwunden.
Diesen Ausnahmetenor darf man dabei nicht aufs deutsche Fach verengen, obgleich er es jahrzehntelang dominierte. Auch in München riskierte Seiffert die Titelrolle von Verdis „Otello“ – und absolvierte die Killerpartie mit links. Oder er ließ sich ab und zu für Verdis Messa da Requiem verpflichten und beschämte mit seinem herzinniglichen „Ingemisco“-Solo viele Kollegen. 2021 wollte er sich mit dem Siegmund ausgerechnet im Festspielhaus Füssen von der Bühne verabschieden, Corona verhinderte diese „Walküre“.
Nur natürlich, dass Seiffert auch der ideale Interpret für Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ war. Bei seinem letzten Münchner Auftritt im März 2016 prallten in diesem Konzert Welten aufeinander. Hier Bariton Christian Gerhaher, der jede Silbe, jedes Intervall auf Bedeutung abklopfte. Und dort Seiffert, der das Bacchantische seiner Stücke singend auslebte. „Jetzt nehmt den Wein! Jetzt ist es Zeit, Genossen!“, schleuderte er dem begeisterten Publikum im Nationaltheater entgegen. „Leert eure goldnen Becher zu Grund! Dunkel ist das Leben, ist der Tod!“