Saturday, April 12, 2025

Für Deutschland relevant? - „Schweden ist mit einer Raucherquote von fünf Prozent ein Vorbild“

Für Deutschland relevant? - „Schweden ist mit einer Raucherquote von fünf Prozent ein Vorbild“ Artikel von Von FOCUS-online-Redakteur Volker Tietz • 11 Std. • 5 Minuten Lesezeit Im Interview mit FOCUS online erklärt Dr. Alexander Nussbaum, Head of Scientific & Medical Affairs von Philip Morris Deutschland, wie Schweden mit innovativen und historischen Methoden die Raucherquote drastisch senken konnte. Er erklärt, warum Snus in der EU verboten ist und welche Alternativen es in Deutschland gibt. Dabei geht Nussbaum auch auf die Vorteile von Nikotinprodukten ohne Verbrennung ein und diskutiert mögliche Maßnahmen, die Deutschland von Schweden übernehmen könnte. FOCUS online: Was sind die Gründe für die niedrige Raucherquote in Schweden? Alexander Nussbaum: Schweden hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Maßnahmen zur Tabakkontrolle und -prävention umgesetzt. Es ist aber wichtig zu wissen, dass Schweden trotz all dieser Maßnahmen auf der internationalen Tabakkontrollskala nur im Mittelfeld liegt. Ein mitentscheidender Faktor für die Entwicklung ist Snus, ein Oraltabak. Dieses skandinavische Produkt wurde ab den 1970er Jahren in praktischen Minitütchen angeboten und veranlasste viele Raucher, von Zigaretten auf Snus umzusteigen. Welche gesundheitlichen Folgen hat dies? Nussbaum: Schweden hat nicht nur die niedrigste Raucherquote in der EU, sondern auch die niedrigste rauchbedingte Sterblichkeitsrate. Die Nikotinkonsumrate in Schweden ist mit dem europäischen Durchschnitt vergleichbar. Nicht das Nikotin an sich ist gefährlich, sondern die Art und Weise, wie es konsumiert wird. Schweden hat relativ zu Deutschland 36 % weniger Todesfälle durch Lungenkrebs und knapp 10 % weniger Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Modellrechnungen zeigen, dass zwischen 2000 und 2019 in Deutschland möglicherweise 450.000 vorzeitige Todesfälle hätten vermieden werden können, wenn Nikotin und Tabak wie in Schweden konsumiert worden wären. Wie sehen die gesundheitlichen Langzeitwirkungen von Snus im Vergleich zur normalen Zigarette aus? Nussbaum: Die gesundheitlichen Langzeitwirkungen von Snus sind weniger gravierend als die von Zigaretten, die durch den Verbrennungsprozess viele Schadstoffe freisetzen. Natürlich ist es immer besser, ganz auf Nikotinprodukte zu verzichten. Snus ist im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten aber das deutlich kleinere Übel. Warum sind sich die Wissenschaftler so sicher, dass der Umstieg von Zigaretten auf Snus in Schweden für die geringere Sterblichkeit verantwortlich ist? Nussbaum: Ein Indiz dafür ist, dass die schwedischen Männer, die überwiegend auf Snus umgestiegen sind, eine besonders niedrige Raucherquote und eine geringere Sterblichkeit haben. Die schwedischen Frauen hinken hier etwas hinterher. Diese Unterschiede lassen sich nicht durch genetische Faktoren oder die saubere Luft in Schweden erklären, sondern durch die Art des Tabakkonsums. Gibt es in Deutschland nun einen ähnlichen Ansatz, um die Raucherquote zu senken? Nussbaum: Schweden hat mit Snus ein Traditionsprodukt, das Deutschland nicht hat. Aber Deutschland kann sich ein Beispiel nehmen und alles dafür tun, dass die heutigen Raucher alle Alternativen zur Zigarette haben. Dazu gehören die E-Zigarette, der Tabakerhitzer und der Nikotinbeutel. Wenn diese drei Alternativen in einem vernünftigen regulatorischen Rahmen zur Verfügung stehen, könnten ähnliche Effekte wie in Schweden erzielt werden. Länder wie die USA, Großbritannien, Japan und Neuseeland zeigen, dass die Verfügbarkeit solcher Produkte den Rückgang der Raucherquote zum Teil dramatisch beschleunigt. Wenn Snus das Zigarettenrauchen zurückdrängen könnte, warum sind die dann in der EU verboten? Nussbaum: Das Verbot von Snus in der EU ist eine rein politische Frage. Schweden hat eine Ausnahmegenehmigung erhalten, als es Mitglied der EU wurde. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Verbot eine verpasste Chance und ein gesundheitspolitischer Fehler. Zigarettenrauchen mit seinen Schadstoffen aus der Verbrennung ist nach heutigem Kenntnisstand die schädlichste Form des Nikotin- und Tabakkonsums. Alle Alternativen ohne Verbrennung, wie E-Zigaretten, Tabakerhitzer und orale Produkte wie Snus und Nikotinbeutel sind nach aktueller wissenschaftlicher Evidenz als potenziell weniger schädlich einzustufen. Warum sind Zigaretten relativ leicht erhältlich, während weniger schädliche Alternativen, wie Nikotinbeutel, in Deutschland verboten sind? Nussbaum: Der hohe Schadstoffgehalt von Zigarettenrauch im Vergleich zu alternativen Produkten wie E-Zigaretten und Nikotinbeuteln, die 95 bis 99 Prozent weniger Schadstoffe – gemessen zum Beispiel an neun von der WHO definierten Referenzschadstoffen – freisetzen, wirft diese Frage auf. Aus wissenschaftlicher Sicht macht es wenig Sinn, dass Zigaretten weiterhin relativ leicht erhältlich sind, während weniger schädliche Alternativen verboten bleiben. Das ist aber eine Frage der Regulierung und der Politik. Wie schätzen Sie die potenzielle Gefahr ein, dass neue Nikotinprodukte als Einstiegsdrogen für Minderjährige dienen könnten? Nussbaum: Diese Befürchtung wird oft geäußert, aber weltweit ist nicht zu beobachten, dass die Verfügbarkeit von Alternativen wie E-Zigaretten oder Nikotinbeutel zu einem Anstieg des Zigarettenrauchens führt. In Schweden, wie schon erwähnt, ist das Zigarettenrauchen trotz der Verfügbarkeit dieser Produkte fast verschwunden. Die Raucherquote, insbesondere bei jungen Erwachsenen und Minderjährigen, ist sogar rückläufig. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA berichtete im vergangenen Jahr über einen historischen Tiefststand des Zigarettenrauchens bei Minderjährigen– dieser beträgt 1,4 Prozent. Für Deutschland gibt es noch keine repräsentativen Erhebungen zur Nutzung von Nikotinbeuteln bei Minderjährigen, so dass hier noch keine genauen Aussagen getroffen werden können. Gibt es Langzeitstudien oder belastbare Ergebnisse über die Wirkung von Tabakerhitzern wie IQOS? Nussbaum: Die ersten Tabakerhitzer kamen vor etwa zehn Jahren in Japan auf den Markt. Zehn Jahre reichen aber nicht aus, um von einer Langzeitstudie zu sprechen. Eine wissenschaftliche Schwierigkeit besteht darin, dass die meisten Nutzer von Tabakerhitzern früher Zigaretten geraucht haben und somit vorbelastet sind. Diese Faktoren erschweren es, zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen. Wir wissen aber bereits, dass diese Produkte 95 Prozent weniger Schadstoffe enthalten, gemessen zum Beispiel an neun von der WHO definierten Referenzschadstoffen. Vor diesem Hintergrund ist das Weiterrauchen die schlechtere Option. Gibt es neue Studien, die Tabakerhitzer mit Zigaretten vergleichen? Nussbaum: Ja, es gibt eine spannende neue klinische Studie aus unserem Hause zu Tabakerhitzern. Es ist wichtig, sowohl das zu betrachten, was in klinischen Studien gemessen wird, als auch das, was in der realen Welt passiert. In Japan, wo Tabakerhitzer zuerst auf den Markt kamen, berichtete das Gesundheitsministerium, dass die Raucherquote in den letzten acht Jahren um mehr als 40 Prozent zurückgegangen ist. Dies ist zum Teil auf den Wechsel von Zigaretten auf Tabakerhitzer zurückzuführen. Der Anteil der Zigarettenraucher ist um 40 Prozent gesunken, während die Raucherquote in Deutschland seit 2016 nahezu konstant geblieben ist. Dies zeigt den Effekt, den solche Produkte auf die Raucherquote haben können. Welche weiteren Studienergebnisse gibt es zur Gesundheit von Tabakerhitzer-Nutzern im Vergleich zu Zigarettenrauchern? Nussbaum: Wir wissen bereits, dass beim Umstieg auf den Tabakerhitzer die typischen Rauchschadstoffe im Körper drastisch sinken. Beobachtungen über ein Jahr zeigen, dass sich physiologische Parameter, die mit den Gesundheitsrisiken des Rauchens in Zusammenhang stehen, im Vergleich zum Weiterrauchen verbessern. Eine neue Studie, die auch in Deutschland durchgeführt und Anfang des Jahres veröffentlicht wurde, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Obwohl der vollständige Verzicht auf Tabak und Nikotin immer die beste Option darstellt, ist leider nur eine Minderheit der Raucherinnen und Raucher bereit, vollständig mit dem Rauchen aufzuhören.