Tuesday, April 15, 2025
Frankreich am Finanzscheideweg: Milliarden sparen, um zu überleben
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankreich am Finanzscheideweg: Milliarden sparen, um zu überleben
Niklas Záboji • 7 Std. •
3 Minuten Lesezeit
Frankreichs Premierminister François Bayrou und Mitglieder seiner Regierung auf einer Pressekonferenz in Paris.
Während Deutschland neue Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe plant, ist Frankreich verstärkt um Haushaltskonsolidierung bemüht. Auf einer „Konferenz über die öffentlichen Finanzen“ schwor Premierminister François Bayrou seine Landsleute am Dienstag auf die Notwendigkeit eines Sparkurses ein. Dabei sparte er nicht mit drastischen Worten. „Wir stehen heute am Rande einer untragbaren Überschuldungssituation“, sagte Bayrou. Im Jahr 2020 habe Frankreichs und Deutschlands Staatsverschuldung mit rund 60 Prozent der Wirtschaftsleistung noch gleichauf gelegen. Heute stehe Deutschland immer noch bei rund 60 Prozent, Frankreich hingegen bei mehr als 110 Prozent.
Bayrou mahnte, dass ein weiteres Anwachsen dieser Last nicht nur in puncto Generationengerechtigkeit inakzeptabel sei. Er wies auf den gefährlich steigenden Schuldendienst im Staatshaushalt hin, der die politische Handlungsfähigkeit immer weiter einengt – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der nicht zuletzt deutlich höhere Rüstungsanstrengungen erforderlich seien. Schon jetzt gingen Jahr für Jahr mehr als 62 Milliarden Euro für Zins und Tilgung drauf, in etwa so viel in die Verteidigung und Bildung fließen. Bis Ende dieses Jahrzehnts sei gar ein Anstieg des Schuldendiensts auf 100 Milliarden Euro zu erwarten. Das bedrohe die Unabhängigkeit des Landes.
Spar-Appell richtet sich auch an die Finanzmärkte
Bayrou lud Vertreter aus Politik, Gewerkschaften und Sozialkassen zu der Konferenz ein, mit der er frühzeitig Pflöcke für die bald anlaufende Debatte um den neuen Haushalt einrammen wollte. Sein Sparappell richtete sich allerdings auch an die Finanzmärkte. Die Ratingagenturen haben die Kreditwürdigkeit der zweitgrößten EU-Volkswirtschaft zuletzt immer kritischer beurteilt.
Dabei muss der französische Staat für neue Anleihen schon heute signifikant höhere Zinsen zahlen als der deutsche. Italien hat im europäischen Vergleich zwar eine höhere Schuldenlast, dafür aber eine niedrigere Neuverschuldung und zudem einen Primärüberschuss, also höhere Einnahmen als zinslose Ausgaben. Das gilt als zentrales Kriterium für die Schuldentragfähigkeit.
Neuverschuldung soll wieder auf europäischen Sollwert zurückgehen
Der Premier bekräftigte das Ziel, die Neuverschuldung von zuletzt 5,8 Prozent bis 2029 wieder auf den europäischen Sollwert von drei Prozent zurückzuführen. Nur so lasse sich die Schuldenlast stabilisieren. Er machte deutlich, dass die Haushaltsprobleme des französischen Staates auf der Ausgabenseite liegen. „Frankreich ist schon das Land mit der weltweit höchsten Quote an Pflichtabgaben, Steuern und Abgaben aller Art“, sagte er. Nach seinen Angaben lag die Abgabenquote vergangenes Jahr bei fast 43 Prozent der Wirtschaftsleistung, sechs Prozentpunkte höher als in Deutschland. Bayrou appellierte zwar an die Franzosen, mehr zu arbeiten, wehrte sich aber gegen noch höhere Abgaben für Bürger und Unternehmen – und sah vor allem die Politik in der Pflicht, zu sparen.
Der Erfolg der Konsolidierungsbemühungen steht angesichts der fragilen innenpolitischen Verhältnisse jedoch in den Sternen. Wie die im Dezember über den Sparhaushalt gestürzte Regierung von Michel Barnier verfügt auch Bayrou über keine Mehrheit in der Nationalversammlung. Mit den Stimmen aller vier linken Oppositionsparteien und des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) könnte dem Premier daher das gleiche Schicksal widerfahren wie seinem Vorgänger. Der Wortführer der Linken, Jean-Luc Mélenchon, geißelte Ausgabenkürzungen schon als unzumutbar und rief einmal mehr zum Regierungssturz auf. „Die Menschen in Frankreich werden wie Griechenland im Jahr 2010 behandelt“, schimpfte er auf der Plattform „X“. Auch der RN drohte Bayrou mit dem Sturz. „Wir werden keine Maßnahmen gegen die Franzosen durchgehen lassen, wenn es so viele Missstände und Misswirtschaft bei den öffentlichen Finanzen gibt!“, schrieb am Dienstag Marine Le Pen auf „X“.
Dass beträchtliche Haushaltsanstrengungen vonnöten sind, um Frankreichs Staatsfinanzen zu stabilisieren, hatte Finanz- und Wirtschaftsminister Eric Lombard schon am Wochenende klargestellt. So erfordere allein die Senkung des Defizits von planmäßig 5,4 Prozent in diesem Jahr auf 4,6 Prozent im kommenden Jahr rund 40 Milliarden Euro an zusätzlichen Einsparungen. Die sich wegen des Handelskonflikts eintrübende Wirtschaftslage erschwert die Konsolidierung zusätzlich. Die Regierung erwartet in diesem Jahr statt 0,9 nur noch 0,7 Prozent Wachstum, das renommierte Wirtschaftsforschungsinstitut OFCE gar nur 0,5 Prozent.