Saturday, March 1, 2025
Kommentar: Die Gruselshow im Oval Office zwingt Europa zur Tat
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar: Die Gruselshow im Oval Office zwingt Europa zur Tat
Berthold Kohler • 2 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Es hat nur noch gefehlt, dass Trump, bevor er Selenskyj aus dem Weißen Haus warf, „Du bist gefeuert!“ schrie, wie er das jahrelang in der TV-Show „The Apprentice“ tat. Der amerikanische Präsident meinte schließlich, was er zusammen mit seinem Vize im Oval Office vor den Augen der Welt aufgeführt hatte, sei „gutes Fernsehen“ gewesen.
Tatsächlich aber war es eine politische Katastrophe, für die Ukraine, für Europa und letztlich auch für Amerika.
Trump, seine Leute und seine Anhänger werden das aber wohl nicht einmal dann verstehen, wenn sich die Folgen dieser bislang schwärzesten Stunde einer dunklen Präsidentschaft zeigen. Der Krieg in der Ukraine, an dessen schneller Beendigung Trump angeblich so viel liegt, geht auch nach dem Eklat im Weißen Haus weiter. Putin, der sicher auch nicht glauben konnte, was er da sah, wird ihn jetzt erst recht mit aller Brutalität führen. Er sieht sich dank Trump auf der Siegesstraße.
Als säße Selenskyj bei Putin im Kreml
Im Oval Office ist das schon vorgeschädigte Verhältnis zwischen Trump und Selenskyj endgültig zerbrochen, weil der ukrainische Präsident sich nicht widerspruchslos Propaganda und Vorwürfe anhören wollte, als säße er bei Putin im Kreml. Ob es aus Sicht der amerikanischen Regierung genau so kommen sollte, wie es kam, oder ob der Eklat nur die nahezu zwangsläufige Folge der populistischen Revolution in den Vereinigten Staaten war, ist zweitrangig.
ITrump hatte sich schon von dem französischen Präsidenten Macron und dem britischen Premierminister Starmer korrigieren lassen müssen, ohne freilich von seinen „alternativen“ Zahlen abzulassen. Von Selenskyj erwarteten Trump und sein Scharfmacher Vance, dass der Besucher aus Kiew alles untertänigst schluckt, was ihm in Washington auf den Tisch und an den Kopf geknallt wird. Doch schon dem ursprünglichen Erpressungsversuch bei den Rohstoffen hatte sich Selenskyj nicht so beugen wollen, wie Washington das gefordert hatte.
Und dann hatte der bekannt rachsüchtige Trump auch noch eine persönliche Rechnung mit Selenskyj offen, der sich 2019 geweigert hatte, in der Ukraine gegen Hunter Biden ermitteln zu lassen, den Sohn von Trumps Rivalen Joe Biden, gegen den Trump dann im Jahr darauf die Wahl verlor. Trump vergisst so etwas nie. Auch bei der Abrechnung im Oval Office hat er an Biden und dessen Sohn erinnert.
Eine unerträgliche Täter-Opfer-Umkehrung
Trump und Vance wollten dort nichts anders als einen öffentlichen Kotau von Selenskyj. Wahrscheinlich wäre es für den ukrainischen Präsidenten und sein Land besser gewesen, wenn er sich vor dem Putin-Freund Trump auf den Boden geworfen und ein Abkommen zur Auslieferung der ukrainischen Bodenschätze an Amerika auch ohne Sicherheitsgarantien unterschrieben hätte – so unerträglich die Täter-Opfer-Umkehrung durch Trump war und ist.
Die USA waren bisher, auch wenn Trump den amerikanischen Beitrag wie immer übertrieb, der mächtigste Unterstützer der Ukraine – und auch aus Putins Sicht der über alles entscheidende. Nun aber besteht die akute Gefahr, dass der düpierte Dealmaker, gekränkt von der „Respektlosigkeit“ Selenskys, die Unterstützung einstellt – um Kiew doch noch zur Unterschrift zu zwingen, aber auch, um den innenpolitischen Druck in der Ukraine auf den „Diktator“ Selenskyj zu erhöhen, dessen Kopf Putin sich schon lange an seiner Trophäenwand wünscht.
Dem Kriegstreiber im Kreml, den Trump nun sogar wie sich selbst als Opfer einer „Hexenjagd“ sieht, ist der amerikanische Präsident zu Willen, als sei er eine Marionette des Russen. Man tut sich immer schwerer, das nur mit dem amerikanischen Ziel zu erklären, Russland auf die eigene Seite zu ziehen, um damit China zu schwächen.
Europa muss massiv aufrüsten – sofort
Um mit Putin zu freundlichen Beziehungen zu kommen, ist Trump offensichtlich kein Preis zu hoch. Die Freiheit, die Sicherheit und das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine und des übrigen Europas sind dem amerikanischen Präsidenten ohnehin nicht lieb und teuer. Mit seinen jüngsten Äußerungen über die EU unterstrich Trump nicht nur abermals, dass er keine Ahnung von Europa und dessen Geschichte hat. Darin kommt auch seine Verachtung für ein politisches Gebilde zum Ausdruck, das sich nicht dem Trumpismus unterwerfen oder gar anschließen will. Trumps Bemerkung, dass Putin mit Europa machen könne, was er wolle, war ernst gemeint.
Die Europäer aber dürfen schon nicht zulassen, dass Putin mit der Ukraine machen kann, was er will. Denn es stimmt, dass dort die Freiheit und die Sicherheit ganz Europas verteidigt werden. Amerika macht dabei nicht mehr mit. Dieses riesige Loch in der Front gegen Putin müssen die Europäer schließen. Sie müssen unverzüglich die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine hochfahren, um zu verhindern, dass Moskau seinen Krieg dort gewinnt.
Das freie Europa muss darüber hinaus zu einer Militärmacht werden, die auch ohne Amerika Putin vor Angriffen aller Art abschrecken kann. Dafür ist eine massive Aufrüstung nötig, von den konventionellen Waffensystemen über die Satellitenaufklärung bis hin zu den Nuklearwaffen, über die Frankreich und Großbritannien verfügen, allerdings nicht in einer Größenordnung, die den amerikanischen Schutzschirm schon ersetzen könnte. Die Rüstungsanstrengungen müssen koordiniert, nationale Alleingänge vermieden werden.
Das alles erfordert politische Führung, die von den großen Staaten in der EU kommen muss, also auch und nicht zuletzt von Deutschland. Das Interregnum in Berlin muss daher schnellstmöglich enden, alles, was vor der Wahl des neuen Kanzlers schon getan werden kann, muss ins Werk gesetzt werden. Dazu gehört auch die Erhöhung des Sondervermögens für die Bundeswehr. Jedes Mal, wenn die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD bei diesem oder irgend einem anderen Thema ins Stocken zu geraten drohen, sollte Merz das Video von der Gruselshow im Oval Office vorführen.