Monday, January 1, 2024

Xis brisante Neujahrsansprache: Wie wahrscheinlich ist es, dass China Taiwan im neuen Jahr angreift?

Tagesspiegel Xis brisante Neujahrsansprache: Wie wahrscheinlich ist es, dass China Taiwan im neuen Jahr angreift? Artikel von Viktoria Bräuner • 5 Std. Taiwans Präsidentschaftskandidat William Lai ist Peking ein Dorn im Auge: Er gilt als chinakritisch, weshalb Chinas Führung seine Wahl am 13. Januar zu verhindern versucht. Chinas Parteichef Xi Jinping (70) treibt sein Land immer stärker in den Nationalismus. Er hat es wieder getan – und seine Drohung sogar noch verschärft: In der Neujahrsansprache hat Chinas Partei- und Staatsführer Xi Jinping seine Bestrebungen betont, Taiwan einnehmen zu wollen. Die Volksrepublik betrachtet die de facto unabhängige Insel-Demokratie als Teil des eigenen Territoriums, obwohl die Kommunistische Partei sie nie beherrscht hat. Insofern ist der Begriff der „Wiedervereinigung“, den die chinesische Führungsriege gerne verwendet, irreführend. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen wies den von Xi bekräftigten Souveränitätsanspruch Chinas erneut deutlich zurück. Der wichtigste Grundsatz für den Kurs in den Beziehungen zu China sei die Demokratie, sagte Tsai auf einer Neujahrspressekonferenz am Montag in Taipeh zu Xis Äußerungen. Taiwans Beziehungen zu China müssten vom Willen des Volkes bestimmt werden und der Frieden müsse auf „Würde“ basieren. „Wir sind schließlich ein demokratisches Land“. Der Ton wird schärfer Der chinesische Parteichef hatte in seiner Neujahrsansprache erklärt, die „Wiedervereinigung des Mutterlandes sei historisch unvermeidlich“. Xi schlug damit einen schärferen Ton an als im Vorjahr, als er sagte, die Menschen auf beiden Seiten der Taiwanstraße seien „Mitglieder ein und derselben Familie“. China hat den militärischen Druck erhöht, um seinen Souveränitätsanspruch gegenüber Taiwan durchzusetzen, das am 13. Januar Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abhält. Die Volksrepublik solle das Ergebnis der taiwanesischen Wahlen respektieren und es liege in der Verantwortung beider Seiten, Frieden und Stabilität in der Meerenge zu wahren, erklärte Tsai. China stellt die Wahl als Entscheidung zwischen Krieg und Frieden dar und hat mehrere Gesprächsangebote Tsais abgelehnt. Ähnliches gilt für den Präsidentschaftskandidaten Lai Ching-te (englisch: William Lai), der für die regierende Demokratische Fortschrittspartei Taiwans (DPP) antritt und in den Wahlumfragen vorne liegt. Gerade er ist für Peking ein rotes Tuch: Der 64-jährige Politiker setzt sich ein für die Selbstbestimmung seines Landes, möchte die Beziehungen zu den USA weiter vertiefen und das Militär für den Verteidigungsfall modernisieren. Als Vize von Präsidentin Tsai, die nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren darf, machte er immer wieder Schlagzeilen, weil er Chinas KP selbstbewusst und kritisch entgegentritt. 2014 sorgte Lai mit einer Rede in Shanghai für Unruhe, als er sich dort öffentlich für das Selbstbestimmungsrecht der Taiwaner und somit für die Unabhängigkeit des demokratisch regierten Landes aussprach. Das würde China niemals akzeptieren. In Peking hofft man deshalb auf einen Sieg der nationalistischen Kuomintang-Partei (KMT), die sich bei einem Wahlsieg für bessere Beziehungen zu China einsetzen will. Deshalb wird die KMT indirekt mit chinesischen Fake-News-Kampagnen und Wählerbeeinflussung unterstützt. In Form von gezielten Anrufen bei taiwanischen Bürgern wird beispielsweise Stimmung gegen die DPP gemacht. Entscheidend ist, wie Xi Jinping im Falle einer Wahl Lais reagieren würde. Dass es – trotz immer wieder kehrender Militärübungen der Volksbefreiungsarmee in der Nähe Taiwans – danach sofort zum Krieg kommen könnte, denkt Mathieu Dûchatel jedoch nicht. Vielmehr glaubt der Leiter des Asien-Programms am Institut Montaigne, dass Peking die Einschüchterung Taiwans durch verschiedene andere Maßnahmen intensivieren könnte. „Es könnte anfangen, in der Region die eigene Küstenwache einzusetzen oder taiwanische Aktivitäten im Ausland mit exterritorialen Gesetzen strafrechtlich zu verfolgen.“ Die rote Linie ist und bleibt für Peking die Unabhängigkeitserklärung. Mathieu Dûchatel, China-Experte „Sollte die DPP keine Mehrheit im Parlament bekommen, gilt es als wahrscheinlich, dass Chinas KP ihren Einfluss dort vergrößern will“, so Dûchatel. Gewinnt die DPP dagegen sowohl Präsidentenamt als auch Parlament und setzt damit den chinakritischen Kurs der aktuellen Regierung fort, könnte die Reaktion aus China stärker ausfallen. Die permanent stattfindenden Manöver könnten noch stärker ausgeweitet und das Bedrohungsszenario einer Invasion so vergrößert werden. „Die rote Linie ist und bleibt für Peking aber die Unabhängigkeitserklärung“, erklärt Dûchatel, Experte für chinesisch-taiwanische Beziehungen. Entscheidend sei die Antrittsrede im Falle eines Wahlsiegs: „Das ist der Schlüsselmoment für alles, was folgen mag. Lai muss versuchen, Peking davon überzeugen, dass er nicht formell die Unabhängigkeit erklären wird.“