Saturday, January 6, 2024

Warum viele der CSU nicht abnehmen, „Gegenentwurf der Ampel“ zu sein

WELT Warum viele der CSU nicht abnehmen, „Gegenentwurf der Ampel“ zu sein Artikel von Nikolaus Doll • 3 Std. Bei der Klausur der CSU-Landesgruppe im Kloster Seeon präsentieren die Christsozialen ihre Pläne für einen Politikwechsel, von Verteidigungs-, über Migrations- bis zur Energiepolitik. Vieles klingt vernünftig, aber weckt bei Wählern mit gutem Erinnerungsvermögen ein Störgefühl. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hielten sich zum Start der Klausur in Kloster Seeon nicht lang auf mit Artigkeiten und Small Talk, sondern schalteten unmittelbar in den Angriffs-Modus. Einen guten Jahreswechsel wünschten die beiden – und machten umgehend weiter wie 2023. Mit heftigen Attacken auf die Ampel-Koalition, der Forderung nach Neuwahlen, dem Versprechen, eine echte alternative Option zur Regierungskoalition zu sein. Einen Unterschied aber gibt es zur bisherigen Strategie: Die Christsozialen legen an diesem Wochenende konkrete Details dazu vor, was sie denn im Fall einer Regierungsübernahme anders machen würden als das rot-grün-gelbe Bündnis. Angesichts der Unzufriedenheit vieler im Land mit der Bundesregierung hofft die Union nicht zu Unrecht darauf, mit einem ausgearbeiteten Gegenprogramm zur Ampel punkten zu können. Allerdings dürften die im oberbayerischen Seeon präsentierten Kernpunkte sowohl der CSU als auch der Schwesterpartei CDU noch Probleme bereiten. Die Wähler werden sich bei so mancher Position die Augen reiben – und in ihren Erinnerungen zur Politik der Unionsparteien in den vergangenen 20 Jahren kramen. „Wir brauchen eine grundlegende Wende in der Migrationspolitik“, verlangte Dobrindt. Und mit einer Ankündigung werde es die Union bei Übernahme von Regierungsverantwortung in Bund nicht belassen. „Dauerhafte Grenzkontrollen“ sollen wieder eingeführt werden, solange es keine Sicherheit an den EU-Außengrenzen gebe. Das dürfte vielerorts Beifall im Land finden, aber schwierig durchsetzen sein, da sich die Staaten des Schengenraums darauf verständigt haben, auf systematische Personengrenzkontrollen in aller Regel zu verzichten. Mehr Härte in der Migrationspolitik Die Sozialleistungen für Migranten sollen nach dem Willen der CSU auf den Prüfstand, um die sogenannten Pull-Effekte, also die angenommene Magnetwirkung Deutschlands auf Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge, zu minimieren. Und selbst im Fall der syrischen Flüchtlinge, deren Anträge auf Schutz in aller Regel gewährt werden, soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) künftig nach noch umfassenderen Prüfungen Einzelentscheidungen treffen – und falls begründet, konsequent ablehnen. Die Anstrengungen bezüglich Rückführungen abgelehnter Asylbewerber müssten deutlich verstärkt werden. „Wir sind bereit, die ideologischen links-grünen Projekte der Ampel zurückzudrehen“, sagte Landesgruppenchef Dobrindt. Das gilt auch für die Energie- und Wirtschaftspolitik. Die Kosten für Strom und Heizen müssten gesenkt werden. Erneut plädierte Ministerpräsident Söder dafür, die verbliebenen Kernkraftwerke wieder ans Netz zu nehmen und auch weiterhin auf Atomkraft zu setzen. Damit würde Energie günstiger. Der Abbau der Förderung von Elektroautos sei ebenfalls falsch, so Söder. Gleichzeitig müssten „Autos mit Verbrennungsmotor länger eine Perspektive haben“, forderte der CSU-Chef. Seine Pläne für eine Stärkung der Verteidigungsfähigkeit sind inzwischen detailreich ausgearbeitet. Söder möchte die Aussetzung der Wehrpflicht beenden, sieben Monate soll der Grundwehrdienst künftig dauern. Die Wiederbelebung der Wehrpflicht sei rechtlich einfacher als die Einführung einer Dienstpflicht, argumentiert der bayerische Ministerpräsident. „Damit stärken wir die Verteidigungsfähigkeit und erhöhen die Zahl der Soldaten.“ Die Bundeswehr soll eine „Drohnen-Armee“ aufbauen, die Ukraine durch die Lieferung von Marschflugkörpern unterstützt werden, was die Koalition bisher ablehnt. Und damit es auch jeder versteht, betonte Dobrindt: „Wir sind keine Variante der Ampel, wir sind der Gegenentwurf.“ Allerdings räumt die CSU dabei Grundüberzeugungen der Union aus 16 Jahren Regierungsbeteiligung unter Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) ab. In dieser Ära wurde, unter Mitwirkung beziehungsweise letztlicher Zustimmung der CSU, das Ende der Atomkraft in Deutschland besiegelt. Es wurde im Rahmen der Energiewende de facto das Auslaufen der Benziner- und Diesel-Autos beschlossen. Merkel hatte 2017 bekräftigt, dass das der richtige Weg sei. Unter einer unionsgeführten Bundesregierung war 2011 auch das Aussetzen der Wehrpflicht beschlossen worden. Es waren CDU-Minister, unter denen die Bundeswehr bis zur Wehrunfähigkeit zusammengespart wurde. Und in der Zeit der Kanzlerschaft Merkels waren die Grenzen geöffnet worden, setzte 2015 der bis dahin stärkste unkontrollierte Zustrom von Migranten nach Deutschland ein. Die CSU will jetzt also einen großen Teil der ehemals mitvertretenen Agenda abwickeln. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass gerade die CSU im Unionslager stets und ab 2015 sogar dezidiert eine andere Meinung in der Asylpolitik hatte als mehrheitlich die Schwesterpartei. Die Konflikte darüber, vor allem zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten, langjährigen CSU-Chef und Bundesminister in mehreren Kabinetten, Horst Seehofer, und der Kanzlerin sind unvergessen. Die Bayern konnten sich nur nicht durchsetzen. Veränderte Rahmenbedingungen Richtig ist auch, dass sich die Rahmenbedingungen in vielen Bereichen grundlegend geändert haben. Der Ausstieg aus der Atomenergie, für den sich gerade Söder lange vehement starkgemacht hatte, war beschlossen worden, als die Energiekosten deutlich niedriger waren, günstiges russisches Erdgas floss und der Ausstieg aus der Kohle noch nicht vereinbart war. Und die Aussetzung der Wehrpflicht fiel in eine Zeit, in der kaum jemand an eine russische Bedrohung glaubte. Verteidigung und Bundeswehr hatten nicht nur bei Kanzlerin Merkel keine Priorität. Dass die CSU in der Migrationspolitik nun zu den Wurzel zurück- und sich von der mitgetragenen Politik der Ära Merkel abkehrt und obendrein einen neuen Kurs in der Energie- und Verteidigungspolitik einschlagen will, ist der veränderten Weltlage geschuldet. Zur Aufgabe verantwortlicher Politik gehört, darauf mit neuen Konzepten zu reagieren. Allerdings: Viele Menschen im Land verwirrt der CSU-Schwenk. Er wirkt oft nicht überzeugend, nährt den Verdacht einer wahltaktischen Volte. Nur so ist zu erklären, dass nach jüngsten Umfragen 77 Prozent der Wähler zwar glauben, die Bundesregierung könne die anstehenden Probleme nicht lösen (Umfrageinstitut GMS für den „17.30 Uhr SAT.1 Bayern Wählercheck“). Dass demnach 78 Prozent unzufrieden mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) sind und 60 Prozent davon ausgehen, die Regierung werde nicht bis zum vorgesehenen Ende der Legislaturperiode durchhalten. Dennoch verharrt die Union in Umfragen bei 30 bis 34 Prozent, was angesichts der harten Wahlniederlage bei der Bundestagswahl 2021 zwar ein klarer Erfolg ist, aber derzeit offenbar nicht steigerbar. Um zwei, drei Prozentpunkte müsse die Union dauerhaft schon zulegen, heißt es in Kreisen der Fraktionsspitze. Tatsächlich profitiert die AfD viel stärker von der Ampel-Schwäche. „Viele Menschen nehmen uns einfach nicht ab, dass wir einen Politikwechsel einleiten würden. Sie denken, dass mit der Union der grundsätzlich der Kurs der Ampel fortgesetzt wird, allenfalls anders in Details, mit längeren Übergangsfristen“, klagt ein Mitglied der Fraktionsführung. Aus diesem Grund gehen die Christsozialen fast zwei Jahre vor der nächsten regulären Bundestagswahl mit einer Art Regierungsprogramm an die Öffentlichkeit. Deshalb betonen Dobrindt und Söder nun unablässig, als „Gegenentwurf zur Ampel“ einen Politikwechsel einleiten zu wollen. Beide wissen, dass kaum etwas so stark wirkt, wie die stete Wiederholung eigener Thesen.