Tuesday, January 16, 2024

Warum die Türkei die Durchfahrt von Minensuchbooten für die Ukraine blockiert

Neue Zürcher Zeitung Deutschland Warum die Türkei die Durchfahrt von Minensuchbooten für die Ukraine blockiert Artikel von Volker Pabst, Istanbul • 4 Std. Im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine ist die Gefahr von Seeminen für die Schifffahrt im Schwarzen Meer stark angestiegen. Dies gilt nicht nur in den Hoheitsgewässern der beiden kriegführenden Staaten, sondern für das gesamte Meer. Löst sich eine Seemine aus der Verankerung, kann sie von der Meeresströmung Hunderte von Kilometern fortgetrieben werden. Bereits im April 2022 wurden Minen in der Nähe des Bosporus entdeckt. Auch vor der rumänischen und der bulgarischen Küste tauchten treibende Sperrwaffen auf. Und immer wieder kommt es zu Unfällen. Der jüngste Zwischenfall ereignete sich Ende Dezember, als ein Frachtschiff auf dem Weg zur Donaumündung auf eine Mine auffuhr. Verwehrte Durchfahrt durch den Bosporus Seit Jahresbeginn hat die Türkei gleich zwei wichtige Entscheide zum Thema getroffen. Vergangene Woche unterzeichnete der türkische Verteidigungsminister Yasar Güler zusammen mit seinem rumänischen Amtskollegen und einem Vertreter Bulgariens in Istanbul ein Abkommen über die Bildung einer Einsatzgruppe unter gemeinsamem Kommando. Die drei Nato-Staaten wollen hierfür jeweils drei Minensuchboote zur Verfügung stellen. Nur wenige Tage vor der Unterzeichnung des Abkommens verweigerte die Türkei aber zwei britischen Minensuchbooten die Erlaubnis zur Durchfahrt ins Schwarze Meer. London will die Boote der Sandown-Klasse der Ukraine zur Verfügung stellen. Ankara verwies zur Begründung seines Entscheids auf die Montreux-Konvention. Der Vertrag von 1936 regelt die Passage durch die türkischen Meerengen. Laut diesem ist Militärschiffen kriegführender Staaten die Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus, also zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer, verboten. Ankara hatte bereits kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 erklärt, die entsprechende Regel für die Dauer des Konflikts anzuwenden. Für freie Schifffahrt im Schwarzen Meer Dass die Türkei einerseits eine Initiative zur Beseitigung von Seeminen ins Leben ruft, andererseits aber Minensuchbooten die Durchfahrt verwehrt, ist nur scheinbar ein Widerspruch. Beides ergibt sich aus den Prinzipien der türkischen Schwarzmeer-Politik. Die Türkei setzt sich seit Kriegsbeginn für die freie kommerzielle Schifffahrt im Schwarzen Meer ein. Diese ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Türkei. Bei der Aushandlung des sogenannten Getreideabkommens, das mit Agrargütern beladenen Frachtschiffen eine sichere Fahrt von den ukrainischen Häfen im Grossraum Odessa zum Bosporus gewährleistete, spielte Ankara eine zentrale Rolle. Seitdem Russland dem Abkommen die Verlängerung verweigert, hat sich eine neue Route entlang der rumänischen, bulgarischen und türkischen Küste etabliert. In den Hoheitsgewässern der drei Nato-Staaten geniessen die Schiffe weitgehenden Schutz vor russischen Angriffen. Moskau hatte gedroht, dass es jedes Schiff, das sich auf dem Weg zu einem ukrainischen Hafen befindet oder von dort kommt, als legitimes Kriegsziel betrachten werde. Ankara lehnt stärkere Rolle der Nato ab Die trinationale Einsatzgruppe gegen Seeminen soll nun einen weiteren Beitrag zur Sicherheit der Schifffahrt leisten. Die Zusammenarbeit mit den beiden Nato-Partnern Rumänien und Bulgarien bedeutet aus türkischer Sicht aber keineswegs, dass dem westlichen Militärbündnis eine grössere Rolle im Schwarzen Meer zugestanden werden soll. Die Sicherheit der Region ist für Ankara in erster Linie Angelegenheit der Anrainerstaaten. Das gilt auch im gegenwärtigen Krieg. Die Türkei hat zwar kein Interesse an einer russischen Übermacht im Schwarzen Meer. Deshalb unterstützt sie auch die Ukraine seit der russischen Annexion der Krim 2014 aktiv. Eine Internationalisierung der Sicherheitsarchitektur lehnt Ankara aber ab. Die relativ schwachen Anrainer Rumänien und Bulgarien fordern hingegen ein stärkeres Engagement der Nato im Schwarzmeerraum – und damit implizit auch eine Aufweichung der Montreux-Regeln. Diese unterschiedlichen Auffassungen traten auch vergangene Woche zum Vorschein. Das rumänische Verteidigungsministerium erklärte, dass sich auch andere Staaten an der Initiative zur Minenräumung beteiligen könnten. Der türkische Minister Güler betonte dagegen, die Einsatzgruppe stehe nur Anrainerstaaten offen. Montreux-Konvention gilt als Stabilitätsgarant Die türkische Haltung erklärt sich zum einen aus dem wachsenden Anspruch, einen eigenständigen geopolitischen Machtpol darzustellen. Die Nato ist eine Sicherheitsgarantie für die Türkei. Ankara ist aber nicht bereit, die eigenen strategischen Interessen jenen der Allianz, und vor allem Washingtons, unterzuordnen. Die Montreux-Konvention limitiert den Einfluss von Nichtanrainerstaaten beträchtlich. Wichtiger aber noch dürfte sein, dass die Türkei einen offenen Konflikt mit Russland vermeiden will. Für Moskau ist eine verstärkte Nato-Präsenz im Schwarzen Meer ein rotes Tuch. Sie pocht daher auf der Einhaltung der Montreux-Konvention. Durch die strikte Durchsetzung des Abkommens will Ankara verhindern, dass Russland einen Grund hat, eine Revision der Regeln für die Meerengen zu fordern.