Saturday, January 20, 2024
Die Stimmung an der Basis im Osten: „Die Not ist groß in Sachsen“
Tagesspiegel
Die Stimmung an der Basis im Osten: „Die Not ist groß in Sachsen“
Artikel von Hans Monath •
13 Std.
Die Bautzener CDU-Kommunalpolitikerin Katja Gerhardi über West-Ost-Erfahrungen, düstere Vorhersagen für kommende Wahlen und Initiativen gegen rechte Hetze
Frau Gerhardi, Sie sind Chefin der CDU-Stadtratsfraktion in Bautzen. Mit welcher Erwartung schauen Sie auf die Europawahl im Juni, die Kommunalwahl am gleichen Tag und die drei Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst?
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(Stöhnt leise auf) Ich muss Ihnen sagen, ich sehe dem mit ganz, ganz großen Bauchschmerzen entgegen. Noch nie hatte ich vor einer Kommunal- und Landtagswahl ein so starkes Gefühl von Beklemmung. Die jüngste Umfrage für Sachsen sieht die AfD mit 34 Prozent vier Prozentpunkte vor der CDU. Die Ampel-Parteien würden dramatische Verluste einfahren, die FDP es wieder nicht in den Landtag schaffen.
Und in Bezug auf die Wahl des Stadtrats in Bautzen?
Das ist stärker eine Personenwahl. Aber wir demokratischen Parteien haben das große Problem, überhaupt genügend Menschen zu finden, die Verantwortung übernehmen wollen. Wenn wir Kandidatinnen oder Kandidaten suchen, heißt die Antwort oft, gut, dass ihr das macht, aber für mich ist das nichts.
Sie sind in Schwaben geboren und aufgewachsen, leben aber seit 25 Jahren in Bautzen. Sind die Ostdeutschen unzufriedener als die Westdeutschen?
Den Eindruck habe ich, ja. Ich bin noch oft im Schwabenland oder in Köln, wo die Familie meines Mannes herkommt. Dort erlebe ich bei aller Unzufriedenheit, die es dort auch gibt, eine positivere Lebenshaltung. Die Menschen dort können sich eher als die hier darüber freuen, dass es uns in Deutschland doch vergleichsweise noch ganz gut geht.
Woran liegt das?
Die Erfahrungen der Umbruchzeit haben tiefe, tiefe Spuren hinterlassen. Aber darüber hat man jahrelang nicht geredet, das hat auch niemanden interessiert. Die Wiedervereinigung wurde als Erfolgsgeschichte erzählt, aber viele Menschen fanden sich in diesem Narrativ überhaupt nicht wieder, weil ihre eigene Biografie keine Erfolgsgeschichte war. Es war ein Umbruch in jedem Lebensbereich, den sie durchlitten haben.
Und ich sage: Hut ab! Denn ich habe großen Respekt vor dem, was die Menschen in Ostdeutschland in dieser Zeit geleistet haben. Sie sind in einem anderen Land aufgewachsen, haben sich aber mit viel Enthusiasmus auf den Weg gemacht und versucht, sich unter den neuen Bedingungen eine Existenz aufzubauen. Das war hart, gerade hier in der Oberlausitz, wo Tausende von Arbeitsplätzen weggefallen sind.
Und ist die Mehrheit nun in der Bundesrepublik angekommen?
Den Eindruck habe ich nicht. Ich bin hellhörig geworden, als eine sehr kluge Freundin von ihren Erfahrungen mit dem Politikunterricht ihrer Kinder erzählte. Dort lernen sie, was das Grundgesetz ist, wie Gesetze gemacht werden, was Gewaltenteilung ist. Für sie war das total spannend, sie hat dadurch selbst vieles gelernt. Woher sollen Ostdeutsche in ihrem Alter das auch wissen?
In der Schule haben sie das nicht vermittelt bekommen, als die Wende kam, waren viele damit beschäftigt, mit den neuen Herausforderungen zurechtzukommen. Für politische Bildung hatten sie da keine Zeit.
Sie sind in den Stadtrat gewählt worden, sind also anerkannt in Bautzen. Werden Sie noch als Westdeutsche wahrgenommen?
Das müssen Sie die Bautzener fragen. Jedenfalls hat mir neulich ein guter Bekannter ein Kompliment gemacht, als er sagte: Also Katja, du bist jetzt nicht der schlechteste Westimport!
Ich halte auch wenig davon, die Grünen zum Feindbild der Union zu machen.
Was war der Grund, dass Sie 1998 nach Bautzen zogen? Hatte das etwas damit zu tun, dass Sie Geschichtslehrerin sind und am Zusammenwachsen von Ost und West interessiert waren?
Das kann ich leider nicht bieten. Der Grund ist: Mein Mann ist Jurist und hatte hier seine erste Anstellung. Ich hätte damals nicht gedacht, dass wir so lange bleiben, aber es hat mir sehr gut gefallen.
Warum sind Sie als politisch engagierter Mensch so lange parteilos geblieben?
Sie haben recht, ich bin als Parteilose auf der CDU-Liste gewählt worden. Aber im Januar bin ich der CDU beigetreten. Das ist mir nicht leichtgefallen, ich habe lange mit mir gerungen. Ich fühle mich mit der CDU sehr verbunden, das war schon in meiner Familie so.
Allerdings habe ich mit der sehr, sehr konservativen sächsischen CDU und manchen ihrer Protagonisten meine Probleme, denn ich fand und finde den Kurs von Angela Merkel oft richtig. Ich halte auch wenig davon, die Grünen zum Feindbild der Union zu machen. Es freut mich, dass die grün-schwarze Koalition in meinem Heimatland Baden-Württemberg so gut funktioniert.
Hatten Sie auch Vorteile dadurch, dass Sie lange parteilos waren?
Die Menschen waren mir gegenüber weniger misstrauisch. Durch die Prägung in der DDR-Zeit ist in Ostdeutschland ein sehr negatives Bild von Parteien entstanden. Viele glauben, in Parteien sind nur Karrieristen, die sich Vorteile für sich selbst erhoffen. Viele wollen nicht sehen, dass Parteien für die Politik entscheidend sind. Im Landkreis Bautzen ist nur eine absolute Minderheit von weniger als einem Prozent der hier lebenden Menschen in einer Partei.
Fühlen sich die Menschen, mit denen Sie als Fraktionschefin zu tun haben, noch von der Ampel wahrgenommen, haben sie noch Erwartungen an die Bundespolitik?
Definitiv nicht. Schauen Sie sich die jüngste Umfrage zur Landtagswahl an, von der ich schon sprach. SPD, Grüne und FDP kommen da gemeinsam nicht mal auf 20 Prozent. Mehr als 80 Prozent der Menschen fühlen sich von der Politik der Ampel nicht vertreten, das entfaltet einen mächtigen Druck auf unsere demokratischen Strukturen. In unserer Region sehen sehr viele Menschen die Grünen als Feind an.
Warum?
Die Debatte ums Klima finden viele Menschen hier ideologisch sehr aufgeladen. Da herrscht das Bild vor, dass sich in Berlin eine bestimmte Gruppe Ziele ausdenkt, die in einer bestimmten Blase in Großstädten vielleicht funktionieren, hier auf dem Land aber nicht. Ein Beispiel für viele sind Dieselfahrzeuge.
Da herrscht das Bild vor, dass sich in Berlin eine bestimmte Gruppe Ziele ausdenkt, die in einer bestimmten Blase in Großstädten vielleicht funktionieren, hier auf dem Land aber nicht.
Katja Gerhardi, CDU
Hier auf dem Land meint eine Mehrheit, dass sie auf diese Technik nicht verzichten kann, wenn sie mobil sein muss. Die wollen sich von keinem Grünen vorschreiben lassen, ob und wie sie Auto fahren.
Im Stadtrat Bautzen liegt die CDU seit 2019 mit 24,4 Prozent knapp über der AfD, die 23,2 Prozent einfuhr. Hält bei Ihnen die Brandmauer zur AfD, von der CDU-Chef Friedrich Merz spricht?
Die Mauer hält, wir bringen keine gemeinsamen Anträge mit der AfD ein.
Was machen Sie, wenn die AfD einen Antrag stellt, der nicht von Ideologie geprägt ist, sondern das Leben in Bautzen verbessern kann?
Dann stimmen wir zu. Ein Beispiel: Die AfD stellte den Antrag, eine Bushaltestelle in einem Ortsteil zu überdachen. Wir haben mit für die Mehrheit gesorgt. Entschuldigen Sie, das wäre ja gerade schwachsinnig, wenn wir die Kinder weiter im Regen stehen lassen würden.
Hat es Sie überrascht, dass Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel kürzlich erklärt hat, er könne sich vorstellen, für CDU-Ministerpräsident Kretschmer Wahlkampf zu machen?
Als ich das las, war mein erster Gedanke: Die Not ist groß in Sachsen.
Gabriel begründet das damit, dass sich Kretschmer dem direkten Dialog mit Unzufriedenen stellt, das imponiere ihm …
Das stimmt ja auch. Kretschmer versucht, mit den Verbitterten, den Wütenden direkt zu sprechen und sie zu überzeugen. Ich persönlich halte das nicht für aussichtsreich, weil viele gar nicht mehr an einem Dialog interessiert sind. Aber ich bin froh, dass der Ministerpräsident sich dem aussetzt. Er sendet damit das Signal: Ich bin da, ich höre euch zu, ich nehme euch wahr.
Und das hilft im Kampf gegen die AfD?
Nach meinem Eindruck wirkt es jedenfalls gar nicht mehr abschreckend, wenn wir auf skandalöse Forderungen oder Handlungen dieser Partei hinweisen. Die Leute wissen das. Es stört sie auch nicht mehr, dass der Verfassungsschutz die sächsische AfD als gesichert rechtsextrem bezeichnet.
Bautzen ist seit Jahren ein Zentrum des rechten Protestes in Sachsen, die wöchentliche Mahnwache am Montag zieht rechte Aktivisten an. Wie sehen Sie diesen Protest?
Angeblich geht es um „Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung und Souveränität“, tatsächlich treten dort auch Rechtsextremisten auf. Was Sie dort an menschenverachtenden Sprüchen hören, graust jeden Demokraten. Dort wird Putin hofiert, gegen Flüchtlinge gehetzt, zum Sturz der Ampel aufgerufen, unser Parlament vom örtlichen AfD-Bundestagsabgeordneten als Irrenhaus geschmäht.
Aber trotzdem kommen regelmäßig Hunderte und demonstrieren mit. Sie fühlen sich abgestempelt und ignoriert, von demokratischen Parteien erwarten sie nichts mehr. Es war aber auch schon lange kein namhafter Bundespolitiker einer demokratischen Partei mehr in unserer Region, um seine Politik zu erklären.
Was würden Sie denn den demokratischen Parteien empfehlen? Ich würde ihnen empfehlen, vor Ort präsent zu sein und, statt politische Formeln zu verwenden, die Sprache der Menschen zu sprechen. Sie müssten sich den Menschen nähern, wieder erlebbarer und anfassbarer werden. Daran fehlt es. Deshalb werden weder die Wünsche der Menschen aus unserer Region nach Berlin übermittelt noch wird hier Bundespolitik erklärt.
Sie haben 2021 mit anderen die Initiative „Bautzen gemeinsam“ gegründet. Was hatte sich die Initiative vorgenommen, und was hat sie bewirkt?
Im Dezember 2021 kam es in Bautzen bei Corona-Demos zu massiven Angriffen auf die Polizei, einige Jahre vorher hatte es Gewalt zwischen Rechtsextremen und Flüchtlingen gegeben. Mit unserer Petition wollten wir der Mehrheit eine Stimme geben, welche die Einschränkungen für notwendig erachtete und sich an die Regeln hielt. In kurzer Zeit hatten wir 47.000 Unterschriften zusammen. Wir wollen auch dem Hass und der Hetze etwas entgegensetzen, die jeden Montag das Bild unserer Stadt prägen.
Und die Initiative gibt es immer noch?
Ja, und wir haben unser Angebot erweitert. Wir bieten inzwischen regelmäßig Begegnungen mit Expertinnen und Experten für gesellschaftlich und politisch relevante Themen an, die wir in unsere Stadt holen. Sie halten eine Einführung, dann stellen sie sich den Fragen. Jeder kann mitreden. Wir haben dafür auch die Sicherheitsexpertin Claudia Major und Ex-Bundespräsident Joachim Gauck nach Bautzen eingeladen.
Frau Gerhardi, überlegen Sie manchmal, dass Sie ein einfacheres Leben hätten, wenn Sie in den Westen zurückziehen?
Ich habe drei Söhne. Der Älteste studiert in Heidelberg, der zweite will ein Studium aufnehmen. Auf der einen Seite wünsche ich mir, dass sie in meiner Nähe leben. Auf der anderen Seite stelle ich mir oft die Frage: Will ich wirklich, dass sie in Ostdeutschland in einer Atmosphäre aufwachsen, die so sehr von Unzufriedenheit und Unmut geprägt ist?
Und Sie selbst?
Wir haben uns ein tolles Umfeld aufgebaut, wir haben hier viele gute Freunde. Das kann man woanders in unserem Alter nicht wiederholen. Ich muss Ihnen aber ehrlich sagen: Wenn die AfD im Herbst an der Landesregierung beteiligt wird, dann wäre Schluss. Dann würde ich mir sagen: Woanders ist es auch schön.