Friday, January 12, 2024
„Ich will nicht den Kanzler schlecht machen, aber die Richtung stimmt nicht“
Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Ich will nicht den Kanzler schlecht machen, aber die Richtung stimmt nicht“
Artikel von Bernd Freytag •
5 Std.
Viel Bürofläche, weniger Bedarf: Nicht nur in der Bankenmetropole durchlebt die Baubranche schwere Zeiten.
Herr Hübner, die Bauern blockieren Autobahnen und schon bekommen sie Zugeständnisse der Politik. Die Bauwirtschaft hat auf ihrem Baugipfel beim Kanzler nichts erreicht. Gehen Sie jetzt auch auf die Straße?
Nein, das werden wir nicht machen. Wir weisen auf Missstände hin und verhandeln. Aber die Ampel ist selbst schuld. Mit ihrem Hin und Her hat sie den Protest geradezu herausgefordert.
Bleiben wir beim Bau. Wie ist denn der Stand der Dinge?
Im Wirtschaftsbau und im öffentlichen Bau sind wir mit einem blauen Auge davongekommen, dort sind die Umsätze leicht zurückgegangen. Im Wohnungsbau sieht es allerdings dramatisch aus. Die Umsätze sind um 12 Prozent regelrecht eingebrochen. Die Unternehmen dort haben ein echtes Problem.
Ist Besserung in Sicht?
Nein. Wir gehen davon aus, dass der Umsatz im Wohnungsbau auch 2024 um weitere 12 Prozent fällt. Der öffentliche Bau und der Wirtschaftsbau werden vermutlich wieder leicht wachsen, unterm Strich wird die Bauindustrie aber nochmals ein Umsatzminus von 3,5 Prozent verzeichnen. 2024 wird aber besonders herausfordernd, da mehr als die Hälfte unsere Mitgliedsunternehmen damit rechnet, dass sich die Ertragslage verschlechtert. 2022 und 2023 lagen wir nominal, also in tagesaktuellen Preisen, noch im Plus.
Das Ziel der Bundesregierung von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr wird also wieder verfehlt?
Das war von vornherein unrealistisch, das wusste jeder am Bau. Wir schätzen, dass 2023 etwa 270.000 Wohnungen fertig gestellt wurden, dieses Jahr dürfte die Zahl weiter zurückfallen auf gerade mal gut 200.000. Dazu zeichnen sich immer mehr Finanzierungsprobleme der öffentlichen Hand bei großen Infrastrukturprojekten ab, vor allem bei der Streckensanierung der Bahn.
Befürchten Sie eine Insolvenzwelle?
Nein, aber die Zahl der Insolvenzen bei kleineren handwerklichen Betrieben wird dieses und nächstes Jahr steigen, da dürfen wir uns nichts vormachen. Außerdem befinden sich viele mittelständische Betriebe in einem Generationswechsel. Davon werden einige sagen, das tue ich meinen Nachkommen nicht mehr an und schließen.
Es gibt aber ohnehin einen Fachkräftemangel ...
Ja, der dämmt die Folgen für den Arbeitsmarkt. Trotzdem werden wir dieses Jahr erstmals seit 2008 im Bau wieder Beschäftigung abbauen.
Wird Bauen dieses Jahr wieder billiger?
Vermutlich schon. Die Institute gehen von Minus einem Prozent aus. Die extremen Ausschläge der Materialpreise durch den Ukrainekrieg sind vorbei, allerdings ist Energie nach wie vor teuer und jetzt haut auch die schwache Nachfrage rein, alles zu Lasten der Unternehmen. Die Preise allein werden den Markt aber nicht umdrehen. Wir brauchen dringend ein Ende des Förderchaos.
Was genau sollte passieren?
Ich bin aus der Branche, aber ich könnte ihnen nicht sagen, welche Fördertopfe zur Zeit offen sind, oder wann sie wieder offen sein werden. Das wissen vermutlich sogar wenige in der Politik. Da werden Programme aufgelegt und teilweise nur Wochen später wieder geschlossen, weil das Geld leer ist. Wie hingeworfener Zucker, so lockt man aber keine Investoren an. Eine Baugenehmigung dauert mindestens ein halbes Jahr und dann stehen sie plötzlich vor einer anderen Förderkulisse. Es braucht dauerhaft Verlässlichkeit und Vertrauen in den Markt und staatliche Programme. Das hat die Ampel bisher nicht hinbekommen.
Dabei gab es doch eigens einen Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt.
Die Wahrheit ist, davon ist kaum was geblieben. Zumindest nichts, was adhoc geholfen hat. Als Unternehmer könnte man sagen: Der ganze Aufwand war umsonst.
Warum ist es so gekommen?
Das Grundproblem ist: Manche glauben, der Sozialstaat ist das Fundament des Wohlstandes. Dieses Bild hat auch den Baugipfel geprägt. Von den dort vertretenen 34 Gruppen waren mehr als die Hälfte Verbände, die mit Wohnungsbau nichts zu tun haben. Die Umweltverbände sind auf die Barrikaden gegangen, weil die Regierung völlig zu Recht die Fördervorgaben für Neubauten nicht verschärft hat. Für mehr Klimaschutz braucht es umfassendere Ansätze und nicht den Standard EH40. Die Sozialverbände haben vor allem mehr Barrierefreiheit gefordert. Auch wenn die Ministerin immer gegengesteuert hat, ist das dringend nötige Neubaubündnis so je nach Lesart ein Mietenbündnis oder ein Soziales-Wohnen-Bündnis geworden. Statt über bezahlbares Bauen haben wir über Mietrechtsregulatorik gesprochen. Mir fehlt der klare Fokus, die Wohnungsnot lindern zu wollen. Gerade die Sozial- und Mieterverbände sollten doch für Neubau sein.
Ist es nicht die Pflicht der Regierung, alle Interessensgruppen zu hören, wenn es um so etwas Wichtiges wie Wohnen geht?
Natürlich, aber wenn alle nur vom Wolkenkuckucksheim träumen, bekommen wir noch lange keinen bezahlbaren Wohnraum. Wir sind heute schon nicht in der Lage, Sozialwohnungen ohne Zuschuss des Staates zu dem gewünschten Mietpreis von 6 bis 8 Euro je Quadratmeter zu bauen, wir bräuchten 18 Euro. Grund sind staatliche Vorgaben, teure Grundstücke und hohe Zinsen. Die Forderung nach grundsätzlicher Barrierefreiheit für jede Wohnung oder gar einem verpflichteten Aufzug macht Bauen nur noch teurer. Deshalb muss es auch zumutbar sei, eine Wohnung zu wechseln, wofür es wieder ausreichend Wohnraum braucht – und ein Teil davon eben barrierefrei. Drehen Sie es wie Sie wollen, wir kommen ums Bauen nicht drumherum.
Kommen wir zur Infrastruktur. Bei der Finanzierung der Bahn hat sich die Ampel-Spitze doch auf einen Kompromiss geeinigt. Sie will unter anderem Anteile an bundeseigenen Unternehmen verkaufen und so das Eigenkapital der Bahn erhöhen.
Das ist leichter gesagt als getan. Für 2024 sind aus diesem Topf 5,5 Milliarden Euro vorgesehen. Die EU muss dem Vorhaben aber zustimmen, schließlich handelt es sich um einen Fall von Beihilferecht. Es wäre nicht das erste Mal, dass in Brüssel nicht alle Dinge durchgehen. Stand heute, nach dem Aus für den Klimatransformationsfonds, ist die Sanierung nicht finanziert. Wir sind aber guter Hoffnung. Die Frage ist eher: Wird sie so wie geplant überhaupt funktionieren?
Warum das?
Wir stehen hinter dem Konzept des Verkehrsministers. Unter Vollsperrung können wir durchbauen, große Maschinen einsetzen, produktiver werden. Aber die beschlossenen Korridorprojekte sind so gar nicht umsetzbar. Sie sind viel zu komplex und groß. In fünf Monaten 600 Millionen Euro Auftragsvolumen umzusetzen ist kaum bis gar nicht machbar. Selbst wenn tausend Mann Tag und Nacht arbeiten würden.
Aber der erste Korridor zwischen Frankfurt und Mannheim wird doch schon saniert?
Warten Sie es ab. Ich bin im Vorstand eines der größten Infrastrukturbauunternehmens in Deutschland und wir haben uns nicht an die Aufgabe herangetraut. In der Bauwirtschaft warten die meisten ab: Niemand hat Interesse, jeden Tag mit schlechten Nachrichten in der Presse zu erscheinen. Die Lose sind zu groß, das Projektmanagement der Bahn überfordert, alle wollen zu viel in zu kurzer Zeit. Nochmal: Die Korridore sind vom Grundsatz her eine gute Idee. Aber so wird die Bahn nie bekommen, was sie will. Ich weiß gar nicht, wer sich das so ausgedacht hat.
Bahn und Bauwirtschaft müssen doch endlich einen Modus Vivendi finden. Wurden Sie denn vorher nicht gefragt?
Unsere Kritik wollte oder sollte nicht gehört werden. Regierung und Bahn haben Interesse an einem großen Wurf, zu Recht. Ich meine, schauen Sie sich das Bahnnetz an. Weil die Lose so gestrickt sind, wird es aber nur ganz wenige Firmen geben, die bieten und damit gibt es keinen Wettbewerb. Das ist verschwendetes Steuergeld.
Was passiert jetzt? Das Programm ist doch beschlossen und es wird schon saniert.
Wir glauben, dass am Ende der Bausoll so runtergestrickt wird, dass es irgendwie doch klappt. Hauptsache, die Strecke wird freigegeben, auch wenn Teile der Sanierung nachgeholt werden müssen oder aufgegeben werden. Alle können dann so tun, als ob sie das geschafft haben, was sie sich vorgenommen haben. Wir gehen davon aus, dass sich die Bahn nach diesem Pilotprojekt eines Besseren belehrt. Erste Anzeichen gibt es schon.
Welche?
Im Dezember hat der Bahn-Vorstand bereits Korridore nach hinten verschoben und zeitlich gestreckt. Allerdings auch das, ohne mit uns vorher zu sprechen.
Das heißt, die Sanierung dauert aus Ihrer Sicht in jedem Fall länger als bislang angenommen?
Die Firmen werden natürlich alles daransetzen, die Terminpläne zu halten. Wir stehen zu unseren Zusagen, auch wenn Mensch und Maschine enorm gefordert werden. Für alle weiteren Projekte braucht es eine bessere Kommunikation und Transparenz, was wann gebaut werden soll. Nur in enger Kooperation werden wir das Schienennetz sanieren können. Reden hilft.
Was müsste die Politik denn ändern, damit es mit dem Bauen in Deutschland endlich vorangeht?
Wir brauchen Verlässlichkeit und Investitionssicherheit, das ist das Wichtigste. Bauen dauert und wir müssen uns auf die Regularien verlassen können. Nehmen Sie nur die großen Stromtrassen, die jetzt ins Laufen kommen sollen, da wird mir ganz bange.
Wieso?
Machen wir es konkret: Wie Sie wissen, muss ein Großteil der Kabel unter die Erde verlegt werden. Dazu braucht man sogenannte Spülbohrer. Aber die sind so gefragt, dass man mindestens zwei Jahre Lieferzeit kalkulieren muss. Die Bauunternehmen müssen deshalb sicher sein, dass sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, sonst werden wir nicht bestellen. Das scheint aber niemanden in der Regierung zu stören.
Der Druck auf die Ampel ist doch jetzt schon riesig.
Ich will nicht den Kanzler schlecht machen, aber die Richtung stimmt nicht. Für die Transformation und Energiewende im Wohnungsbau reicht das Geld kaum ein halbes Jahr. Stattdessen wirft die Regierung einem Chiphersteller 10 Milliarden Euro Subventionen hinterher. Uns könnte das egal sein, für die Bauwirtschaft ist es ein schönes Bauvolumen. Aber schon der Ansatz gibt mir zu denken.
Plädieren Sie für mehr Schulden? Dann können wir Chipfabrikanten locken und auch noch die Bauwirtschaft pampern. Bezahlen müssten es dann allerdings unsere Kinder und Enkel.
Wir wollen nicht gepampert werden oder Subventionen haben. Wir fordern echte Investitionen. In Schulen, ÖPNV, Brücken, Schiene, Energieversorgung. Was hat denn jetzt Priorität? Bei Wohnen und Infrastruktur könnte sie höher sein. Das wäre die nötige gesellschaftspolitische Debatte.
Der Bau ist doch mittendrin in dieser Debatte. Was schlagen Sie vor?
Ok, nehmen wir das Bürgergeld. Wir haben in Deutschland Fachkräftemangel, aber nichts anderes zu tun, als uns Gedanken zu machen, dass es den Leuten, die keine Arbeit haben, auch gut geht. Klar müssen wir Menschen in Not oder schweren Lebenslagen unterstützen. Aber genauso müssen wir auch die sanktionieren, die sich der Arbeit verweigern. Oder nehmen Sie die Diskussion über die Viertagewoche, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Auch für die Bahnkorridore gebe es dann schlicht zu wenig Fachkräfte. Mir fehlen Debatten darüber, warum es aus der Mode gekommen scheint, sich anzustrengen. Auch die Frage nach fehlender Leistungsbereitschaft würde ich gern mal diskutieren.
Wahr ist aber auch, dass wir vor einem epochalen Wandel stehen, über Corona und Krieg hinaus. Der Klimawandel und die digitale Revolution stellen alles auf den Kopf. In dieser Zeit die Weichen richtig zu stellen, ist schwer.
Ja, aber bitte verlässlich. Man muss nicht hektisch am Jahresende fossile Heizungen verbieten, sondern über einen CO2-Preis langfristig den Druck erhöhen. Wenn nun die Nachfrage nach Wärmepumpen wegen der Politik durch die Decke geht und das Angebot gar nicht so schnell nachziehen kann, dann wird es für die Menschen teuer.
Die Ampel kehrt das auf, was über viele Jahre liegengeblieben ist und offenbar niemand gestört hat. Wer hätte ernsthaft gedacht, dass uns die Bundeswehr mit ihren drei Panzern nicht verteidigen kann …
Ja, so ist es. Wir haben uns nichts daraus gemacht. Man könnte sarkastisch sagen, unsere Brücken sind so schlecht, dass sowieso keine Panzer darüberfahren können. Aber es geht gar nicht nur um die großen Fragen. Auch einfache Probleme werden seit Jahren nicht gelöst. Wir diskutieren seit Jahrzehnten etwa über die Vereinheitlichung der Landesbauordnungen und kommen keinen Schritt weiter. Beispiel: Was wir in Köln planen, können wir in Niedersachsen nicht bauen. Baupläne werden abgelehnt, weil die Vorgabe zum Falten der Papiere nicht eingehalten worden ist. Im Ernst? Warum diskutiert man in einer Konferenz nicht so lange, bis man sich auf alle wesentlichen Punkte geeinigt hat? Oder nehmen Sie den digitalen Bauantrag. Er sollte bis Ende 2023 flächendeckend kommen. Wir warten noch.
Die Bauern wären vermutlich schon längst auf ihren Traktoren
Wir nicht. Wir suchen weiter den Dialog, werden weiter Lösungsangebote vorlegen und unseren Teil leisten.