Wednesday, January 17, 2024
"Erst am Beginn der russischen Revisionskriege“ - Joschka Fischer fordert massive deutsche Aufrüstung gegen Russland
"Erst am Beginn der russischen Revisionskriege“ - Joschka Fischer fordert massive deutsche Aufrüstung gegen Russland
Artikel von FOCUS Online •
8 Std.
Joschka Fischer (Die Grünen), ehemaliger Vizekanzler und Bundesaußenminister, sagt, die EU brauche "eine eigene atomare Abschreckung".
Der frühere Außenminister Joschka Fischer hat die deutsche Politik zu einer massiven Aufrüstung der Bundeswehr angesichts einer militärischen Bedrohung durch Russland aufgefordert.
„Wir stehen gerade erst am Beginn der russischen Revisionskriege“, sagte der Grünen-Politiker der der „Augsburger Allgemeinen“. „Es ist eine massive Aufrüstung nötig“, betonte Fischer. „Wir können Wladimir Putin nicht mehr vertrauen“, fügte er hinzu. „Putin will die früheren sowjetischen Territorien zurückholen“, sagte Fischer. „Moldawien hat er schon in seinem Visier.“
„Wir können nicht einfach nur auf das Gute im Menschen vertrauen"
Die Nato müsse sich gegen die Gefahr wappnen, auch wenn Putin kaum es wagen werde, einen Nato-Staat anzugreifen. „Der Ukraine-Krieg hat ihm gezeigt, dass es für Russland schwer wird, mit der Rüstungstechnologie der Nato mitzuhalten“, sagte Fischer. „Das Beste, was wir für den Frieden tun können, ist deshalb – und ich sage es noch einmal –, massiv aufzurüsten“, betonte der Grünen-Politiker. „Niemand darf auf die Idee kommen, er könne das Bündnisgebiet angreifen“, sagte Fischer. „Wir können nicht einfach nur auf das Gute im Menschen vertrauen, das funktioniert nicht“, betonte er. „Es gab gute Gründe, warum die Deutschen zu Pazifisten geworden sind, nicht dass man mich da falsch versteht. Aber die Zeit hat sich so radikal geändert, dass es sträflich wäre, wenn wir uns nicht darauf einstellen würden.“
Deutschland müsse deshalb viel mehr Geld in die Bundeswehr investieren, die 100 Milliarden Euro Sondervermögen hier könnten nur ein Anfang sein. „Wir sind noch lange nicht am Ziel“, sagte Fischer. „In Zeiten des Kalten Krieges hat Deutschland drei bis vier Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiert“, betonte der frühere Vizekanzler.
Fischer räumte Fehler früherer Regierungen im Umgang mit Putin ein
Fischer räumte zugleich Fehler früherer Bundesregierungen im Umgang mit Putin ein: „Was wir allesamt unterschätzt haben, war, dass Putin es ernst gemeint hat mit seinem Satz: Die schlimmste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts war die Auflösung der Sowjetunion“, sagte der Ex-Minister. „Wir haben es nicht ernst genommen.“ Deutschland habe sich im Umgang mit Russland täuschen lassen und Warnzeichen übersehen. „Es gab das Wunder namens Michail Gorbatschow“, sagte Fischer. „Dieses Wunder hat viele auf die falsche Spur geführt. Auch meine Haltung war, dass wir unsere Chance nutzen sollten.“
Fischer gibt Scholz Hauptverantwortung für Berliner Regierungskrise
Joschka Fischer hat SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz hauptverantwortlich für die Regierungskrise der Ampel-Koalition gemacht. Der Kanzler zögere immer wieder Entscheidungen hinaus und regiere mit verbissenem Schweigen statt die Menschen zu überzeugen, sagte Fischer der „Augsburger Allgemeinen“. Scholz beschädige sich als Kanzler damit selbst. „Deshalb ist die Krise der gegenwärtigen Regierung zu großen Teilen eine Kanzlerkrise, das muss man ganz nüchtern feststellen“, betonte der Grünen Politiker.
Deutschland stehe vor gewaltigen Herausforderungen, warnte Fischer. „Wir sind in einer Situation, in der wir sowohl wirtschaftlich, technologisch als auch sicherheitspolitisch ein riesiges Problem haben“, sagte der frühere Außenminister. „Das billige russische Gas ist weg und kommt auch nicht wieder“, fügte er hinzu. Der große chinesische Exportmarkt habe sich für Deutschland von einer Chance in eine Bedrohung verwandelt. „Und ob die amerikanische Sicherheitsgarantie in der Nato die Präsidentschaftswahlen übersteht, das wissen wir nicht“, erklärte Fischer. „Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie das nicht übersteht, ist groß.“
Scharf kritisierte der Grünen-Politiker die Haushaltspolitik der Koalition: „Man kann eine solche Zäsur, wie wir sie gegenwärtig erleben, nicht mit Sparhaushalten bewältigen“, betonte Fischer. „Deutschland muss jetzt Geld ausgeben, damit die Zukunft gesichert ist. Es ist manchmal zum Verrücktwerden.“ So ergreife Deutschland nicht die Chancen der Digitalisierung und die künstliche Intelligenz. „Wir haben das Kapital, wir haben das Potenzial. Wir nutzen beides nicht“, kritisierte der Grünen-Politiker. Deutschland brauche Zukunftsinvestitionen, sonst drohe der Autoindustrie ein Schicksal wie einst der deutschen Solar-Industrie, die China an die Weltspitze subventioniert habe.
Fischer hat kein Mitleid mit der Regierung
Mitleid mit der heutigen Bundesregierung hat der frühere Außenminister indes keines: „Nein! Niemand wird gezwungen, in eine Regierung einzutreten“, sagte Fischer.