Friday, January 12, 2024

„Eine glasklare Falschaussage“

Kreiszeitung „Eine glasklare Falschaussage“ Artikel von Wiebke Bruns • 38 Min. Zwei Dinge immerhin sind nach dem Unfall vom Himmelfahrtstag 2022 in Kirchlinteln unumstritten: Das Auto lag auf dem Dach und der gekappte Baum kostet laut Gemeinde Kirchlinteln 2870 Euro. Ein angeklagter Kirchlintler soll bei einem Alkoholunfall nur Beifahrer gewesen sein. Die Zeugenaussagen des angeblichen Fahrers überzeugten allerdings nur die Wenigsten. Verden/Kirchlinteln – Den Kopf des Angeklagten im Schoß und ein Reh vor dem Auto, solch eine abenteuerliche Geschichte präsentierte ein Zeuge in einer Verhandlung am Verdener Amtsgericht. Damit hat er die Schuld an einem Unfall am Himmelfahrtstag des Jahres 2022 in Kirchlinteln auf sich genommen, doch geglaubt haben ihm weder die Vertreterin der Staatsanwaltschaft noch der Richter. So wurde am Ende der 50 Jahre alte Angeklagte aus Kirchlinteln nicht rechtskräftig zu 7 800 Euro Geldstrafe verurteilt und den 45 Jahre alten Zeugen aus Hohenaverbergen erwartet ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage. Der Angeklagte musste alkoholisiert nach Hause gebracht werden Begonnen habe es mit einer kleinen Feier in einem Verdener Lokal, wobei schon unterschiedliche Angaben gemacht worden sind, ob man dabei zu dritt oder zu viert war. Der Angeklagte sei sehr betrunken gewesen und deshalb habe der Zeuge als guter Freund ihn nach Hause fahren wollen. Schon beim Abbiegen vom Parkplatz in die Straße sei der 50-Jährige umgefallen, schilderte der 45-Jährige. „Die Füße hoch auf dem Armaturenbrett und mit dem Kopf in meinem Schoß“, so seien sie bis nach Kirchlinteln gefahren. Am dortigen Ortseingang sei ihm dann ein Reh vor das Auto gelaufen. „Von links nach rechts, kurz vor der Insel. Ich habe gebremst, mehr nicht. Da habe ich den Baum schon gesehen“, schilderte der Zeuge. Die Kollision sei unvermeidbar gewesen. Das Auto hat sich überschlagen. „Ein schreckliches Ereignis“, merkte der Hohenaverbergener an. Der Zeuge relativiert seine Aussagen Als Richter Daniel Hauschildt Details hinterfragte, wurde vieles von dem Zeugen relativiert. Mit dem Kopf sei der Freund erst beim Unfall in den Schoß gerutscht. Und dass später an dem Fahrerairbag einzig Blut und DNA-Spuren des Angeklagten festgestellt worden sind, erklärte er unter anderem damit, dass er selbst immer fast liege, wenn er fahre. Weil er sich bei dem Aufprall mit der linken Hand am Lenkrad abgestützt und mit der rechten Hand den schlafenden Freund festgehalten habe, als es zur Kollision kam, seien von ihm, dem Zeugen, keine Spuren zu finden. Die Schilderung erinnerte an eine Szene aus dem Film „Blind Side - Die große Chance“. Die große Chance sollte die Aussage wohl auch für den bislang nicht vorbestraften Freund sein, einer Verurteilung zu entgehen. Und so lieferte der Zeuge für alles eine Erklärung, selbst für den nicht ausgelösten Beifahrerairbag: „Er saß doch nicht“, sagte er über den Angeklagten. „Er lag auf mir. Garantiert war er nicht auf dem Sitz mit seinem Hintern.“ Sachverständige widerspricht den Zeugenaussagen Als ein Unfallanalytiker erklärte, warum es so nicht gewesen seien kann, war der Zeuge nicht mehr im Saal. Drei bis fünf Kilo auf dem Beifahrersitz würden reichen, um den Airbag zu aktivieren, erklärte der Sachverständige. Außerdem wären beim Kopf im Schoß des Fahrers größere Verletzungen beim Angeklagten zu erwarten gewesen. Als ein nächster tatsächlicher Fakt darf das, was die Polizei ermittelt hat, gewertet werden. Demzufolge sei der Angeklagte mit 1,3 Promille unterwegs gewesen. Er selbst äußerte sich in der Verhandlung nicht. Die Angaben des 45 Jahre alten Zeugen bezeichnete der Richter später in der Urteilsbegründung als „vollkommen unglaubwürdig“. Etliche Gründe führte er dann dafür an und stützte sich dabei nicht nur auf den Sachverständigen, sondern auch auf die Aussagen der Anwohner, die frühmorgens, aufgeschreckt von dem Knall, zur Unfallstelle geeilt waren. Dass sie dort zunächst nur einen Mann gesehen hatten, hatte der 45-Jährige damit zu erklären versucht, dass er da schon nach dem Reh in den anliegenden Gärten gesucht habe. Angeklagter zu Geldstrafe und Fahrverbot verurteilt „Interessant“ fand der Richter, dass der Angeklagte laut einem Anwohner vor Ort telefoniert und dabei kein deutsch gesprochen habe. Der Angeklagte und der Zeuge, beide seien osteuropäischer Herkunft. „Eine glasklare Falschaussage, die wir gehört haben“, stellte der Richter fest, und diese werden „entsprechende Konsequenzen“ haben. Im wahrsten Sinne auf der Strecke geblieben ist glücklicherweise nur der Baum. Kosten laut Gemeinde: 2 870 Euro. Der 50 Jahre alter Kirchlintler kam mit einer leichten Verletzung davon. Mehr schmerzen dürften ihn die 7 800 Euro Geldstrafe. Wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort wurde er zu 130 Tagessätzen à 60 Euro verurteilt. Deutlich mehr als in dem angefochtenen Strafbefehl. Hinzu kommen noch die Verfahrenskosten, und ein fünfmonatiges Fahrverbot.