Wednesday, January 3, 2024
Diese Arbeitsmarkt-Zahlen deuten auf einen Abstieg
WELT
Diese Arbeitsmarkt-Zahlen deuten auf einen Abstieg
Artikel von Jan Klauth •
5 Std.
Die Arbeitslosigkeit ist im Dezember leicht gestiegen. Die Entwicklung sei „saisonüblich“, sagt Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Doch andere Indikatoren offenbaren eine krisenhafte Entwicklung am Jobmarkt. Selbst Nahles gibt sich für 2024 nicht nur optimistisch.
Die Zahl der Arbeitslosen stieg im Dezember auf 2,637 Millionen Menschen, wie die Bundesagentur für Arbeit mitteilte picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow
Die Arbeitslosigkeit ist im Dezember angestiegen. Wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) mitteilte, stieg die Zahl der Arbeitslosen im letzten Monat des vergangenen Jahres um 31.000 auf 2,637 Millionen Menschen. Im Jahresvergleich steht ein Plus von 183.000, die Quote liegt nun bei 5,7 Prozent. Die schwache Konjunktur im Jahr 2023 sei „nicht spurlos am Arbeitsmarkt vorübergegangen“, sagt BA-Chefin Andrea Nahles.
Gemessen am Ausmaß der Belastungen und Unsicherheiten behaupte sich der deutsche Arbeitsmarkt aber gut, so die Behördenchefin. Der Anstieg sei „saisonüblich“. Das abgelaufene Jahr zähle insgesamt zu den Jahren mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Auch im Bundesarbeitsministerium zieht man eine positive Bilanz: „Der Arbeitsmarkt erweist sich als verlässlich und widerstandsfähig“, heißt es dort.
Andere Indikatoren hingegen deuten auf eine tiefgreifendere und krisenhafte Entwicklung hin. So wurde bei der Kurzarbeit ein wiederholter Anstieg verzeichnet und die Unterbeschäftigung liegt bei 3,48 Millionen Personen – 171.000 mehr als vor einem Jahr.
Über das gesamte Jahr ist zudem die Zahl der Bürgergeld-Empfänger angestiegen, die Kosten musste Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits im Herbst um mehrere Milliarden Euro nach oben korrigieren. Im Dezember waren es 3.932.000 Empfänger – ein Anstieg um 95.000 gegenüber dem Vorjahresmonat. Außerdem erhielten 833.000 Personen im Dezember Arbeitslosengeld, das waren 91.000 mehr als vor einem Jahr.
BA rechnet 2024 mit steigender Arbeitslosigkeit
Prozentual zweistellig gewachsen ist die Zahl der Arbeitslosen vor allem in den wirtschaftsstarken Bundesländern Bayern, Hamburg und Baden-Württemberg. Gesunken ist hingegen die Zahl derjenigen, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilgenommen haben: 698.000 Menschen waren es 2023 – es gab 17.000 weniger Förderungen als im Jahr zuvor und sogar 176.000 weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019.
Offen bleibt deshalb die Frage, wie das Bürgergeld im neuen Jahr wirken wird. „Damit bringen wir die Menschen nachhaltig in Arbeit“, betonte Heil mehrfach. Wichtig sei vor allem eine langfristige Qualifikation, da der größte Teil der Langzeitarbeitslosen keine Berufsausbildung vorweisen kann.
Behörden-Chefin Nahles hingegen rechnet sogar damit, dass die Langzeitarbeitslosigkeit 2024 weiter ansteigen wird. „Da wir derzeit keinen konjunkturellen Rückenwind haben, muss ich davon ausgehen, dass die Lage am Arbeitsmarkt nicht automatisch besser wird.“
Das ist insofern überraschend, als das Ökonomen den Arbeitsmarkt trotz Krise für sehr aufnahmefähig halten – auch für niedrig qualifizierte Tätigkeiten. 1,8 Millionen offene Stellen zählt die Industrie- und Handelskammer (DIHK).
Exemplarisch zeigt sich die Entwicklung in der Hauptstadt: „In Berlin sieht man weiter eine Zunahme an Beschäftigungen und an Stellenmeldungen“, so die Chefin der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, Ramona Schröder. Mehr als 19.700 freie Stellen waren in Berlin im vergangenen Monat gemeldet; die Arbeitslosenquote liegt bei 9,2 Prozent.
Einstellungsbereitschaft trotz Krise weiter hoch
Auch in Baden-Württemberg steigt die Arbeitslosenzahl zum wiederholten Male leicht an. „Es droht ein weiteres Jahr mit einem negativen Bruttoinlandsprodukt oder bestenfalls einem Mini-Wachstum. Auch der Arbeitsmarkt, der sich dem Abschwung lange widersetzen konnte, zeigt zunehmend Zeichen der Schwäche“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Dachverbands Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), Oliver Barta.
Dass die Einstellungsbereitschaft trotz Krise weiterhin hoch ist, zeigt das Beschäftigungsbarometer des Münchner ifo-Instituts. „Im Moment suchen vor allem Dienstleister neues Personal“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen.
In der Industrie hingegen planen die Unternehmen, mit weniger Personal auszukommen. „Das zieht sich nahezu durch alle Industriebranchen“, so Wohlrabe. Eingestellt werde vor allem in der IT-Branche und dem Tourismus, in der Gastronomie hingegen sei mit Entlassungen zu rechnen.
Wie sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt 2024 entwickeln wird, hängt auch von der Finanzierung der Bundesagentur und der Jobcenter ab. Im Zuge der Einsparungen im Haushalt verlangt die Regierung von der BA Geld zurück: 5,2 Milliarden Euro insgesamt.
Die Summe war als Zuschuss geflossen, um die Kurzarbeiter-Milliarden während der Corona-Jahre auszuzahlen. Nun, so die Kritik, werde das Geld im Nachhinein in ein Darlehen umgewandelt. „Ohne Moos nichts los“, sagte Behörden-Chefin Andrea Nahles bereits im Sommer.
Der kritische, aber freundliche Ton gegenüber der Ampelregierung hat sich indessen gewandelt: Aufgebracht stellte Nahles unlängst die Verlässlichkeit der Bundesregierung generell infrage.
Die Kassen der BA sind nach den Corona-Jahren beinahe leer
„Dieser Griff in den Beitragshaushalt schränkt nicht nur unsere Handlungsfähigkeit für die Zukunft ein, er belastet auch das Zutrauen in eine verlässliche Zusammenarbeit mit der Bundesregierung für mögliche zukünftige Krisen“, so die ehemalige SPD-Chefin.
Das Problem: Die Kassen der BA sind nach den Corona-Jahren beinahe leer. Nun wollte die Bundesagentur eigentlich wieder damit anfangen, Rücklagen für künftig bevorstehende Krisen zu bilden. Für 2024 werde das wohl nicht in vollem Umfang möglich sein, sagte Nahles.
Auch aus der Wirtschaft kommt Kritik am Kurs der Ampel. „Dass die Bundesregierung ausgerechnet jetzt plant, ihren Haushalt mithilfe von Milliarden-Überweisungen der Bundesagentur für Arbeit zu konsolidieren, ist schlicht der falsche Weg“, sagt Barta. Die Sozialversicherungen seien „kein Selbstbedienungsladen der Bundesregierung“, kritisierte er. Man verschiebe die Probleme dadurch in die Zukunft.