Saturday, January 13, 2024

Der Bürgerkrieg holt die Republikaner ein

Neue Zürcher Zeitung Deutschland Der Bürgerkrieg holt die Republikaner ein Artikel von Christian Weisflog, Washington • 3 Std. Nach dem Bürgerkrieg schafften die USA die Sklaverei ab. Aber erst durch Protestmärsche wie 1968 in Memphis erkämpften sich die Afroamerikaner in den Südstaaten das Wahlrecht. Für Nikki Haley ging es in diesem Wahlkampf bisher nur aufwärts. Doch dann stolperte die republikanische Präsidentschaftsbewerberin kurz vor Neujahr über eine simple Frage zur amerikanischen Geschichte. Bei einer Wahlveranstaltung in New Hampshire wollte ein Mann im Publikum wissen: «Was war der Grund des Bürgerkriegs in den Vereinigten Staaten?» Womöglich war es eine bewusste Fangfrage, um Trumps ehemalige Uno-Botschafterin aufs Glatteis zu führen. Wenn dem so war, funktionierte der Plan wie gewollt. Haley tappte voll in die Falle: «Ich denke, im Bürgerkrieg ging es vor allem darum, wie der Staat funktionieren sollte, um Freiheiten und darum, was die Menschen tun und nicht tun konnten», meinte die ehemalige Gouverneurin von South Carolina. Nachdem sie mit ihren Ausführungen fertig war, kommentierte der Fragesteller im Publikum: «Es erstaunt mich, dass Sie im Jahr 2023 diese Frage beantworten, ohne das Wort ‹Sklaverei› zu erwähnen.» Trump wirft Lincoln «viele Fehler» vor Ginge es um eine lokale Wahl, hätte Haleys Antwort in ihrem südlichen Heimatstaat wohl keine hohen Wellen geschlagen. Weisse Politiker im Süden würden den Zusammenhang zwischen der Sklaverei und dem Bürgerkrieg verleugnen, seit die Konföderation 1865 verloren habe, erklärte der Historiker William Harris gegenüber dem Nachrichtenmagazin «Newsweek». Die Geschichtsprofessorin Nina Silber von der Boston University meinte gar: «Haleys Antwort war kalkuliert, um eine grosse Mehrheit unter den heutigen republikanischen Wählern anzusprechen.» Im nationalen Scheinwerferlicht, in dem Haley nun steht, geriet sie durch ihre Antwort jedoch schnell unter Druck. Indem sie die Sklaverei nicht erwähnt habe, habe sie ihre Koalition von Wählern in Gefahr gebracht, schrieb die «New York Times». Trumps ehemalige Uno-Botschafterin versucht eine breite Basis anzusprechen, die von moderaten Trump-Wählern bis zu überzeugten Trump-Kritikern reicht. Gerade in New Hampshire darf sie die vielen gemässigten Republikaner und Wechselwähler nicht vor den Kopf stossen, will sie hier am 23. Januar bei den Vorwahlen eine Überraschung schaffen. In dem gemässigten Gliedstaat an der Ostküste liegt die 51-jährige Politikerin in den Umfragen nur noch knapp hinter Trump. Unter wachsendem Druck der Öffentlichkeit gestand Haley ihren Fehler deshalb schnell ein. «Ich hätte Sklaverei sagen sollen», erklärte die Präsidentschaftsbewerberin am Tag danach. Aber als Frau aus den Südstaaten, wo die Geschichte der Sklaverei allgegenwärtig sei, habe sie diesen Grund als «gegeben» erachtet und bereits weiter gedacht. Damit aber war die Debatte nicht beendet. Vergangene Woche nahm auch Donald Trump Bezug darauf und meinte zunächst: «Ich würde sagen, ‹Sklaverei› ist irgendwie die offensichtliche Antwort.» Später erklärte er bei einem Wahlkampfauftritt zudem, dass der Bürgerkrieg durch Verhandlungen hätte verhindert werden können. «So viele Fehler wurden gemacht.» Trump schien damit zu suggerieren, dass er in dieser Situation als selbsternannter Meister der Verhandlung der bessere Präsident als Lincoln gewesen wäre. «Natürlich, wenn Abraham Lincoln verhandelt hätte, würde sich vermutlich niemand an Abraham Lincoln erinnern.» Die frühere republikanische Kongressabgeordnete Liz Cheney kritisierte darauf Trumps Äusserungen scharf: «Welcher Teil des Bürgerkriegs hätte verhandelt werden können? Die Sklaverei? Die Sezession? Ob Lincoln den Bundesstaat hätte bewahren sollen?», wollte die Trump-Kritikerin wissen. Darauf ging der ehemalige Präsident nicht ein. Historiker sind sich einig, dass es 1861 kaum mehr etwas zu verhandeln gab. Die Wahl lautete Krieg oder Sklaverei. Gefangen im Mythos der «verlorenen Sache» Von den ernstzunehmenden Präsidentschaftsbewerbern äusserte sich Ron DeSantis am klarsten. «Lincoln tat, was er tun musste.» Er habe die Sklaverei beendet und den Bundesstaat gerettet. «Das ist eine grosse Leistung der Republikanischen Partei.» Mit Blick auf Haley meinte Floridas Gouverneur: «Es ist nicht so schwierig, die Rolle, welche die Sklaverei beim Bürgerkrieg gespielt hat, anzuerkennen.» DeSantis geriet wegen seines Geschichtsverständnisses vor wenigen Monaten jedoch selbst in die Kritik. Gemäss einem im Sommer erlassenen Lehrplan sollen Schüler in Florida nun etwa lernen, dass «Sklaven Fähigkeiten entwickelten, von denen sie in einigen Fällen persönlich profitieren konnten». Haleys gewundene Antwort lässt sich derweil durch Geschichtsklitterung erklären, deren Überreste heute in der Republikanischen Partei noch immer verbreitet sind. Es geht um den Mythos der «verlorenen Sache»: «the Lost Cause». Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg deuteten einflussreiche Organisationen wie etwa die Vereinigten Töchter der Konföderation (UDC) in den Südstaaten den verlorenen Kampf in eine heldenhafte Erzählung um. Demnach lehnten sich die konföderierten Gliedstaaten mit dem Krieg nicht gegen die Abschaffung der Sklaverei auf, sondern verteidigten ihre Rechte, ihre Freiheiten und ihre eigenständige Lebensweise gegenüber einer übergriffigen Bundesregierung in Washington. Damit sich dieses Geschichtsbild ins kollektive Gedächtnis einprägt, wurden im Süden überall Denkmäler für die gefallenen Soldaten und ihre Befehlshaber errichtet. Gleichzeitig verharmlosten die Anhänger der «verlorenen Sache» die Schrecken der Sklaverei. So waren etwa auf der Website der UDC noch vor wenigen Jahren diese Sätze zu finden: «Die meisten Sklaven waren treu und ergeben. Sie waren gewöhnlich bereit und willig, ihren Herren zu dienen.» Diese Ideologie der weissen Überlegenheit legitimierte die von Lynchmorden begleitete Rassentrennung und politische Entmündigung der Afroamerikaner in den Südstaaten bis in die 1960er Jahre. Erst der Druck der Strasse durch die Bürgerrechtsbewegung und neue Gleichstellungsgesetze aus Washington zwangen den Süden und teilweise auch Gliedstaaten im Norden dazu, die Segregation zu beenden und das Wahlrecht der Schwarzen anzuerkennen. Wieder fühlten sich die Weissen im Süden von der Elite in Washington bevormundet und ihrer Freiheit beraubt – dieses Mal durch eine in ihren Augen linken Bürgerrechtsagenda. Ironischerweise war es die Republikanische Partei, die den Bürgerkrieg unter Präsident Abraham Lincoln gewonnen hatte, welche diese Ressentiments nun ausnutzte, um den bisher von den Demokraten beherrschten Süden für sich zu gewinnen. Mit dem Versprechen, ethnische Hierarchien und die christlichen Werte des Landes zu bewahren, wurden die Republikaner de facto zur «Partei der Weissen». Folglich gewannen sie ab 1964 bei jeder Präsidentschaftswahl die Mehrheit der weissen Stimmen. Biden zieht Vergleich zu Trumps grosser Lüge Nikki Haleys unehrliche Antwort zur Ursache des Bürgerkriegs zeigt, wie mächtig der Mythos der «Lost Cause» noch immer ist. Selbst der Tochter indischer Einwanderer, die sonst gerne «harte Wahrheiten» ausspricht, ging das Wort «Sklaverei» nicht über die Lippen. Vermutlich aus Angst, damit einen Teil ihrer Wähler zu vergraulen. Und dies, obwohl sie als Gouverneurin in South Carolina 2015 die Flagge der Südstaaten vom Grundstück des regionalen Capitols entfernen liess. Auslöser dafür war ein rassistisch motiviertes Massaker in einer Kirche in Charleston. Dabei ermordete ein weisser Extremist neun Afroamerikaner. Die Polizei fand später Fotos, auf denen der Täter mit der Konföderiertenflagge posierte. Am Montag schaltete sich schliesslich auch Präsident Joe Biden in die Debatte um den Bürgerkrieg ein. Er tat dies ausgerechnet in einer Rede in jener Kirche in South Carolina, wo sich die Bluttat 2015 ereignete. Der Demokrat verglich dabei den Mythos der «verlorenen Sache» mit Trumps grosser Lüge einer gefälschten Präsidentschaftswahl 2020. «Wir leben in der Ära einer zweiten verlorenen Sache», holte Biden aus. «Erneut gibt es einige in unserem Land, die versuchen, eine Niederlage in eine Lüge zu verdrehen.» Dies werde den USA auch diesmal schrecklichen Schaden zufügen. Biden zieht damit einen sehr grossen Bogen. Die von Haley ausgelöste Debatte verdeutlicht indes, dass die Wunden des Bürgerkriegs noch immer nicht geheilt wurden.