Monday, January 8, 2024
Bauernproteste: Die Bürger brauchen keine Belehrung von Robert Habeck
Berliner Zeitung
Bauernproteste: Die Bürger brauchen keine Belehrung von Robert Habeck
Artikel von Nathan Giwerzew •
7 Std.
Wähnt sich in einem Kampf gegen Verfassungsfeinde und Putin-Trolls: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
Dass sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) regelmäßig per Videobotschaft zu Wort meldet, ist man als Bürger dieses Landes inzwischen gewohnt. Vor allem bei Hauptstadtjournalisten kommt er mit seinem pastoralen Ton gut an: Als er sich nach dem Hamas-Überfall auf Israel zu Wort meldete und eine entschlossene Bekämpfung des Antisemitismus hierzulande ankündigte, erntete er ihren Applaus. Inzwischen sind zwei Monate vergangen, passiert ist seither nichts. Jetzt kommentiert Habeck in einem neuen Video die Bauernproteste – und nutzt die Gelegenheit zu einer moralischen Lehrstunde.
„Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist“, sagt Habeck mit warnender Miene, „was den legitimen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt.“ Er wolle versuchen, „ein paar Dinge glattzuziehen“. Die Regierung sei den Bauern in einem Teil ihrer Forderungen entgegengekommen, betont er. Dann scheint dem Minister etwas Grundsätzliches zu dämmern: dass es bei den Protesten um mehr geht als nur um die „jetzigen Regierungsentscheidungen“. „Sorge und Wut“ würden sich im Land breitmachen, Habeck spricht von einem „Umbruch“ infolge von Kriegen und Krisen.
Anstatt zu erklären, wie die Bundesregierung das Land aus der Krise führen will, kommt der Vizekanzler auf ein anderes Thema zu sprechen: die drohende Vereinnahmung der Bauernproteste durch extreme Randgruppen. „Wir“ dürften nicht zulassen, so Habeck, „dass Extremisten diese Verunsicherung kapern“, „wir“ dürften „nicht blind sein“. Habeck spricht vom „Umsturzfantasien“, beschwört den Geist des Grundgesetzes, das „so kurz nach Nazidiktatur und Krieg, nach Zivilisationsbruch und Holocaust“ den Aufbau einer Demokratie mit stabilen Institutionen ermöglicht habe. Diese seien „alles andere als garantiert“.
Mit der Intonation eines Laienpredigers beschwört der Minister die Gefahr durch innere und äußere Feinde. Er nennt „Verfassungsfeinde“, die die Demokratie „zersetzen“ wollten sowie „Social-Media-Kampagnen, die teils von Putin bezahlt werden“. Der „politische Feind“, der „Hauptgegner“, das sind laut Habeck die „Antidemokraten“, die viele Bürger im Land einschüchtern würden. „Diese Republik ist der beste Staat, den Deutschland je hatte“, meint Habeck den Bürgern erklären zu müssen.
Wer mit protestierenden Bauern spricht, merkt schnell: Die politischen Trittbrettfahrer, die jetzt die Bauernproteste für sich vereinnahmen wollen, sind in der Minderheit. Die meisten Bauern haben schlichtweg kein Interesse daran, dass sich die öffentliche Debatte hin zu den extremen Randgruppen verschiebt. Anstatt auf die Bauern zuzugehen, meint Habeck sie über das Einmaleins der Demokratie belehren zu müssen – ein schwerer politischer Fehler.
Es stimmt: Habeck spricht auch von der schwierigen wirtschaftlichen Situation der Bauern, von den schwankenden Weltmarktpreisen, von den Discountern, die den Bauern die Preise diktieren. Er will eine „Debatte“ über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Landwirtschaft anstoßen. Doch dann sagt er einen Satz, der gar nicht so recht in sein Ministeramt passt: „Unter der unionsgeführten Bundesregierung und den Agrarministerinnen und -ministern von CDU und CSU gaben über 100.000 Betriebe auf.“ Das verwundert. Denn Habeck spricht auf seinen Social-Media-Kanälen als Wirtschaftsminister aller Deutschen – nicht als Politiker der Grünen. Parteipolitische Polemik hat in einer solchen Ansprache eigentlich nichts zu suchen.
Und das ist noch nicht alles. Habeck kommt auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu sprechen, das den diesjährigen Haushalt für verfassungswidrig befunden hatte und die Regierung zu Sparmaßnahmen anhielt. Verantwortlich dafür macht er wieder: die Union. Dass Karlsruhe auf Antrag der Union urteilte, ist aber völlig unproblematisch. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, Gesetze und politische Maßnahmen auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen. Wenn die Ampel zuerst einen verfassungswidrigen Haushalt vorlegt und dann Hals über Kopf beschließt, die Steuerlast bei den Bauern stark zu erhöhen, dann ist das allein die Schuld der Ampel.
Bei Habecks Videoansprachen gewinnt man den Eindruck, dass der Vizekanzler Politik in erster Linie für einen moralischen Kommunikationsakt hält. Ob die Regierung wirklich Maßnahmen beschließt, mit denen das Land aus der Krise geholt wird, ist nachrangig: Hauptsache, man schiebt der Union den schwarzen Peter zu und erklärt den „Antidemokraten“ den Krieg. So mutiert der Minister zum Regierungsinfluencer, der sich zu allem mahnend äußert, aber nichts tut. „Wir sind umzingelt von Wirklichkeit“, sagte Habeck vor ein paar Wochen bei Anne Will. Noch scheinen dagegen die Brandmauern des Ministers allerdings zu halten.