Tuesday, January 16, 2024
Analyse von Ulrich Reitz - Wer anders denkt, ist rechtsradikal - die Bauern entlarven ein Ampel-Märchen
Analyse von Ulrich Reitz - Wer anders denkt, ist rechtsradikal - die Bauern entlarven ein Ampel-Märchen
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz •
18 Std.
Tausende von Traktoren waren am Montag in Berlin unterwegs. Ein Traktor zeigte die Gesichter von Olaf Scholz, Robert Habeck und Annalena Baerbock. IMAGO/Stefan Zeitz
Die protestierenden Bauern widerlegten eindrucksvoll, wovor Bundespräsident und Bundeskanzler und dessen grüner Vize Habeck gewarnt hatten. Sie ließen sich nicht „von rechts“ unterwandern. Aber was sollte dann diese Erzählung der linken Staatsspitze?
Was Deutschlands Staats- und Regierungsspitze befürchtete, ist nicht passiert. Die Bauern haben sich nicht von Extremisten kapern lassen. Sie haben sich als demokratisch stabil erwiesen. „Ihr Protest ist legitim – und er ist friedlich“, rief ein erleichterter Christian Lindner Tausenden von Bauern vor dem Brandenburger Tor zu.
Aber: Weshalb ist das überhaupt eine Überraschung? Der Grund ist einfach: Die Bundesregierung sieht selbst, dass sie schlecht regiert. Ihre Vertreter suchen inzwischen auch öffentlich nach den Gründen dafür und Spitzengrüne wie Toni Hofreiter finden sie beim Kanzler. Die größte Furcht, die den Bundeskanzler umtreibt, ist die Entstehung einer Gelbwesten-Bewegung in Deutschland nach französischem Vorbild.
Das Framing von Scholz und Habeck und die Wahrheit
Allein: Diese Furcht hat sich – bislang – als abgehoben erwiesen. Als ein akademisches Konstrukt, wie von Leuten aus dem Seminar für Extremismus-Studien, die noch nie bei einer Demo waren. Oder auf einem Bauernhof. Und wer hatte nicht alles gewarnt: Der Bundespräsident. Der Bundeskanzler. Der Vize-Kanzler. Am wenigsten Vorwürfe kann man noch dem Bundeskriminalamt machen. Davor zu warnen, wenn seltsame bis aggressive Rechtsradikale versuchen, einen bürgerlichen Protest zu kapern, ist deren Aufgabe.
Bauern-Proteste: Fraktionsspitzen der Ampel sehen Notwendigkeit von weiteren Gesprächen
Allein: Es hat nicht funktioniert. Die Bauern blieben nicht nur stabil, in den sozialen Netzen haben sie ausdrücklich Stellung bezogen, auch gegen die AfD. Der Bauernpräsident Joachim Rukwied, hat sich früh schon und glasklar distanziert von dem, was der grüne Vizekanzler Robert Habeck als „Umsturzphantasien“ framte.
Lassen wir für einen Moment weg, ob die materiellen Forderungen der Bauern berechtigt sind oder nicht – auch angesichts der neun Milliarden an Subventionen aus Brüssel und Berlin, die in diesen Berufsstand fließen. Aber: Es sind bürgerliche, anständige Leute. In den Worten von Lindner: „Die Klimakleber haben das Brandenburger Tor beschmiert, die Bauern haben es geehrt.“
Habecks „bester Staat“ wird von der Ampelregierung holpernd und teuer regiert
Am tiefsten griff Habeck in die Kiste, als er gleich die „Demokratie“ beschwor, Deutschland im Vorfeld der Bauernproteste als den „besten Staat, den Deutschland je hatte“, zeichnete. Was, genau betrachtet, eine unzulässige Aneignung ist: Deutschland mag das beste Land sein, aber als bester Staat wird das von der Ampelregierung holpernd und teuer regierte Deutschland von einer riesigen Mehrheit seiner Bevölkerung gerade nicht wahrgenommen. Das dominierende Gefühl ist die Furcht vor Wohlstandsverlust und die Empörung, falsch und schlecht regiert zu werden.
Und so ist die Furcht des Kanzlers vor einer Gelbwestenbewegung wohl dem Erstaunen darüber geschuldet, dass es sie nicht gibt. Obwohl man es doch durchaus angesichts der Performance der Regierung erwarten könnte. Aber in Deutschland laufen die Dinge eben offensichtlich anders als in Frankreich.
In Frankreich entlädt sich Empörung und Protest auf der Straße, in Deutschland in hohen Umfragewerten für die AfD. Metakommunikativ formuliert: Deutschland ist nicht das Land von Revolutionen. Sondern das Land einer staatstragenden Bürokratie, die vor einem Aufstand nach dem Formular dafür fragt.
Bürgerlichen Leuten wird unterstellt, sie wären für Staatsfeinde empfänglich
Christian Lindner gab auf dem Rednerpult auch zu, welche Furcht die Führung der Ampelregierung umtrieb. „Viele hatten – auch ich – Angst vor schrecklichen Bildern.“ Vor Bildern, die Traktoren mit Plakaten voller „Umsturzphantasien“ zeigen würden, vor einer entgrenzten Menge, die „Maß und Mitte“, die Olaf Scholz noch von den Bauern einforderte, aufgegeben hat.
Ins gleiche Horn blies der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, der mahnte, Demokraten müssten sich genau überlegen, mit wem sie auf die Straße gingen – „und welchen Plakaten sie hinterherlaufen“.
Abgesehen von einigen Traktoren, an denen Galgen angebracht waren – und auch schnell wieder entfernt wurden (anders als auf rheinischen Karnevalsumzügen…) – wie konnte es zu einer solchen Fehleinschätzung kommen: Bürgerlichen Leuten zu unterstellen, sie wären für Staatsfeinde und deren antidemokratische Botschaften empfänglich, wenn man ihnen nur den Agrardiesel wegnimmt?
Die Bauern haben sich zu keinem Zeitpunkt staatsfeindlich geäußert. Nur eben – und das mag die Aufladung mit angeblicher Demokratie-Gefährdung erklären – regierungskritisch. Bis regierungsablehnend: Bauernpräsident Rukwied hatte schon bei der ersten Demo die Tonlage vorgegeben: Wenn die Regierung keine bessere Politik mache, dann müsse eine andere Regierung eben übernehmen. Und so war der stabilste Aufruf, den man auf den Bauerndemonstrationen im ganzen Land sehen und hören konnte, die Forderung: „Die Ampel muss weg.“
Preisfrage: Wer ist als Berufsgruppe das sicherste Bollwerk gegen die AfD?
So hat es auch derjenige verstanden, der als Gastredner auf Bauerndemos zuverlässig den größten Applaus bekommt, obwohl auch er regiert, in Bayern nämlich. Als dortiger Regierungsvize sagte Hubert Aiwanger, der Chef der Freien Wähler, die Debatte um eine Unterwanderung der Bauern von Rechtsradikalen sei eine Verunglimpfung „von linker Seite“.
Die Ampel – besser: SPD und Grüne – hätten wissen können, dass die Unterstellung der Radikalen-Empfänglichkeit ins Leere gehen würde. Ein Blick auf die Wahlergebnisse beim letzten Mal hätte gereicht. Preisfrage: Wer ist als Berufsgruppe das sicherste Bollwerk gegen die AfD?
Nach den Beamten: die Bauern. Die AfD holte bei der jüngsten Wahl mehr als zehn Prozent, aber nur acht Prozent der Bauern wählte sie. Nach einer Untersuchung der Forschungsgruppe Wahlen hat die AfD ihre stärksten Bataillone bei den Arbeitern: Von denen wählen doppelt so viele die AfD wie von den Bauern. Und das, obwohl viele Bauern nicht mehr Union wählen wollten. Aber sie wanderten nicht ab zur AfD, sondern: zu den Sozialdemokraten.
Wie Lindner den Bauern bescheinigte, bleiben deren Demonstrationen friedlich. Von verletzten Vertretern der Staatsmacht ist im Zusammenhang mit Bauernprotesten nichts bekannt, wohl aber über die funktionierenden Absprachen zwischen den Bauern und der Polizei.
Jeder, der nicht denkt wie die Ampel, gerät unter Radikalenverdacht
Das war bei einer anderen Demonstration nicht der Fall. Als zum Gedenken für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin aufgerufen wurde: Antisemitische Parolen wurden gebrüllt, auch Anteilnahme für die Huthi-Rebellen im Jemen im Gefolge des diktatorischen Iran. Am Ende landeten 20 Polizisten im Krankenhaus.
Zum Schluss eine kommentierende Frage: Wollten die Spitze von Staat und Regierung die Bauernproteste als rechtsradikale Bedrohung „framen“, um ihre These von der Verführbarkeit des Bürgertums durch die AfD zu untermauern? Nach dem Motto: Sicher ist die Demokratie nur bei uns von SPD und Grünen. Und jeder, der nicht denkt wie wir, gerät unter Radikalenverdacht. (Der bei Friedrich Merz anfängt.) Dann wäre nicht die Regierung das Problem. Sondern das Volk.
Es hat, den Bauern sei Dank, nicht geklappt.