Thursday, September 14, 2023
Nach Außenminister und zwei Generälen: Schon wieder verschwindet ein chinesischer Minister
Merkur
Nach Außenminister und zwei Generälen: Schon wieder verschwindet ein chinesischer Minister
Artikel von Sven Hauberg •
12 Std.
Verteidigungsminister abgetaucht
Erst verschwand Chinas Außenminister, dann zwei hochrangige Generäle – und nun der Chef des Verteidigungsressorts. Seit mehr als zwei Wochen wurde Li Shangfu nicht mehr gesehen.
Rahm Emanuel war einer der ersten, dem auffiel, dass schon wieder etwas faul ist im Staate China. Am vergangenen Freitag teilte der US-amerikanische Botschafter in Japan auf X (früher Twitter) seine Beobachtung, dass Chinas Verteidigungsminister Li Shangfu seit zwei Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen wurde. Er fühle sich an Agatha Christies Kriminalroman „Und dann gabs keines mehr“ erinnert, schrieb Emanuel. In dem Buch der britischen Autorin kommen nacheinander zehn Menschen ums Leben – alle von ihnen waren zuvor in ungeklärte Todesfälle verwickelt.
Der grüne EU-Abgeordnete und China-Experte Reinhard Bütikofer stellte auf X – wohl augenzwinkernd – einen historischen Vergleich an. „Vielleicht sollte jemand nachprüfen, ob Li Shangfu möglicherweise auf mysteriöse Weise bei einem Flugzeugabsturz in der Mongolei ums Leben gekommen ist“, schrieb Bütikofer – eine Anspielung auf den noch immer nicht vollständig aufgeklärten Tod von Lin Biao, zuvor jahrelang als Nachfolger von Staatsgründer Mao Zedong gehandelt, im Jahr 1971.
Ganz so dramatisch wie im Roman oder wie einst bei Lin Biao dürfte die Wirklichkeit kaum sein. Spektakulär ist der Fall dennoch – sollte Li denn tatsächlich verschwunden sein.
Gerüchte um Staatspräsident Xi Jinping
Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Verteidigungsminister Li Shangfu offenbar am 29. August in Peking, auf dem „Chinesisch-afrikanischen Forum für Frieden und Sicherheit“. Die Welt trete in eine neue Phase der Turbulenzen und des Wandels ein, sagte Li in einer Rede, die Menschheit sei mit noch nie dagewesenen Risiken und Herausforderungen konfrontiert.
Nun sind zwei, drei Wochen Abwesenheit keine allzu lange Zeit. Noch könnte es einfach eine schwerere Krankheit sein, die Li außer Gefecht gesetzt hat. Doch China-Beobachter weltweit sind derzeit stets besonders alarmiert, wenn Pekinger Spitzenpersonal abtaucht. Denn die Fälle häufen sich. Da waren zuletzt die Spekulationen über das überraschende Fernbleiben von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vom G20-Gipfel in Neu-Delhi. Blieb Xi zu Hause, um den G20-Gastgeber und China-Rivalen, Indiens Ministerpräsidenten Narendra Modi, zu demütigen? Konnte Xi aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Indien reisen? Oder stecken innenpolitische Schwierigkeiten dahinter?
Seit Wochen nicht gesehen: Chinas Außenminister Qin Gang
Vor allem aber ist es der Fall von Chinas Außenminister Qin Gang, der nun die Alarmglocken schrillen lässt. Qin, der sein Amt erst Anfang des Jahres angetreten hatte, nahm ab Ende Juni plötzlich keine Termine mehr wahr. Zunächst sprach Chinas Außenamt von „gesundheitlichen Gründen“, schließlich aber vermeldeten Staatsmedien, Qin sei aus seinem Amt entfernt worden. Gründe wurden nicht genannt, China-Experten vermuten aber, dass eine Anklage gegen Qin vorliegt, etwa wegen Bestechlichkeit oder Geheimnisverrats. Wo sich Qin derzeit aufhält, ist unbekannt. Gut möglich, dass sein nächster öffentlicher Auftritt in einem Gerichtssaal stattfindet.
Was das Abtauchen von Verteidigungsminister und General Li Shangfu zusätzlich heikel macht, sind die jüngsten Vorgänge innerhalb von Chinas Raketenstreitkräften. Im August wurden zwei Spitzenkommandeure der Elitetruppe, der unter anderem Chinas Atomwaffen unterstehen, ausgetauscht. Eine offizielle Begründung gibt es bislang nicht, dafür reichlich Spekulation. Wie beim Verschwinden von Außenminister Qin reichen die Gerüchte von Korruption bis hin zum Verrat von Staatsgeheimnissen.
Eine groß angelegte Antikorruptionskampagne ist in Chinas Streitkräften bereits seit einiger Zeit im Gange. Ob ihr nun auch Verteidigungsminister Li Shangfu zum Opfer gefallen ist?
Li Shangfu: USA haben Chinas Verteidigungsminister mit Sanktionen belegt
Weltweite Schlagzeilen hatte Li im vergangenen Mai gemacht. Als US-Verteidigungsminister Lloyd Austin um ein Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen bat, zeigte der ihm demonstrativ die kalte Schulter. Offenbar verweigerte Li dem Amerikaner eine Begegnung, weil er seit 2018 mit US-Sanktionen belegt ist. Der heutige Verteidigungsminister war damals als Leiter der Abteilung für Waffenentwicklung der Volksbefreiungsarmee wegen Waffengeschäften mit Russland zum Ziel von Strafmaßnahmen geworden. Nun, so mutmaßen Beobachter, haben ihn womöglich die eigenen Leute ins Visier genommen.