Thursday, September 14, 2023
Eine Analyse von Ulrich Reitz - Ideologie statt Vernunft: Wie Faeser bei wichtigen Themen irrlichtert
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Eine Analyse von Ulrich Reitz - Ideologie statt Vernunft: Wie Faeser bei wichtigen Themen irrlichtert
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz •
12 Std.
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser besucht eine Unterkunft für ukrainische Flüchtlinge in Berlin.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser gerät immer stärker unter Druck. Und dass nicht nur wegen der Affäre Schönbohm. Selbst in der Ampelkoalition gibt es Zweifel, ob ihr Versuch, den Migrantenanteil im Öffentlichen Dienst hochzuschrauben, verfassungskonform ist.
Es gibt viele Fragen an Nancy Faeser. Und das nicht nur, weil ihr Versuch, sich in der Affäre Schönbohm irgendwie durchzumogeln, krachend gescheitert ist. Nicht nur in der Personalpolitik hat Faeser eine unglückliche Hand. Auch fachpolitisch agiert sie zweifelhaft. Beides zusammen addiert sich zu einer giftigen Mischung, die einen Erfolg der Bundesinnenministerin bei der hessischen Landtagswahl in weite Ferne rücken.
Apropos Wahl: Faeser hat ihr ursprüngliches Ziel, die SPD in dem viele Jahre von sozialdemokratischen Ministerpräsidenten regierten Land zur stärksten politischen Kraft zu machen, stillschweigend abgeräumt. Bei einem Besuch bei der der FAZ in Frankfurt gab sie als Ziel nur noch aus, die SPD möglichst stark machen zu wollen. Das garniert sie mit Hinweisen darauf, auch der Zweitplatzierte könne den Ministerpräsidenten stellen.
Faeser hat keine realistische Regierungschance
Was grundsätzlich richtig ist und auch schon einmal in Hessen, als Hans Eichel Regierungschef wurde, so praktiziert wurde. Faeser, deren größter Wahlkampf-Gegner die Aussichtslosigkeit einher Regierungsbeteiligung ist, verschweigt allerdings einen wichtigen Umstand: Die Grünen regieren in einer Koalition mit den Christdemokraten und diese Regierung arbeitet weitgehend geräuschlos und erfolgreich unter dem Ministerpräsidenten Boris Rhein von der CDU.
Nichts deutet deshalb darauf hin, dass es einer ihrem Kontrahenten Rhein unterlegenen Faeser gelingen könnte, der CDU deren grünen Koalitionspartner wegnehmen zu können. Um eine Ampelkoalition nach Berliner und rheinland-pfälzischem Vorbild bilden zu können müsste Faeser den Amtsinhaber schon schlagen. Aber nicht einmal dann wäre ein Koalitionswechsel der Grünen zwingend, denn: Wenn Faeser als Zweitplatzierte – theoretisch – Ministerpräsidentin werden kann, dann kann dies Rhein – praktisch - allemal. Die Grünen müssten nicht einmal für diesen, angesichts der Umfragen, unwahrscheinlichen Fall, die Koalition mit den Schwarzen verlassen.
Unter dem Strich hat Faeser also schon das Problem darzulegen, weshalb man die SPD wählen sollte, wenn sich diese Stimmen als „verschenkt“ entpuppen könnten. Das aber ist sicher nicht ihr einziges Problem. Auch Faesers Vorstellung, mit dem Rückenwind aus dem bundespolitisch bedeutsamen Bundesinnenministerium in die hessische Staatskanzlei einziehen zu können, hat sich als Irrtum erwiesen. Denn: Es gibt keinen Rückenwind.
Unter Druck wegen Migrations- und Identitätspolitik
Im Moment gibt es nur Gegenwind. Das gilt aber nicht nur für den Fall ihres unter reichlich dubiosen Umständen geschassten Untergebenen, des CDU-Mannes Schönbohm. Unter Druck steht Faeser als Innenministerin auf gleich zwei politischen Feldern: der Flüchtlingspolitik und wegen ihres „Bundespartizipationsgesetzes“, mit dem sie einen bestimmten Anteil von Migranten im Öffentlichen Dienst festlegen will. Das ist nicht nur politisch heikel, wie jede Quotenpolitik, sondern sogar rechtlich fragwürdig.
Womöglich ist dieser Vorstoß als Kollision mit dem Artikel 33 des Grundgesetzes verfassungswidrig. Denn dort heißt es in Satz zwei: „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“ Was heißt: Die Eignung und nicht die Herkunft entscheidet über den Eintritt in den Öffentlichen Dienst.
Die Bundesinnenministerin ist eine von zwei „Verfassungsministern“. Im Namen einer „verpflichtenden Diversitätsstrategie“ ein möglicherweise grundgesetzwidriges Gesetz vorzulegen, wäre nicht nur peinlich, sondern würde auch die Autorität des Amtes in der Öffentlichkeit untergraben.
Ideologische Politik
In der Partei, die mit dem Justizressort das zweite Verfassungsministerium stellt, weiß man das auch schon. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nämlich hält eine „Migrationsquote“ in der Bundesverwaltung für „nicht zielführend“. Denn: „Die Eignung und das Leistungsprinzip müssen im Mittelpunkt stehen.“ Ganz so, wie es im Grundgesetz steht. Und das kennt nur einmal kein „positive Diskriminierung“, also die Bevorzugung von Menschen per Quote.
Die Idee stammt aus dem Ideologiebaukasten der Identitätspolitik, sie stammt aus den USA, wo sie „affirmative action“ heißt. Also der Versuch, gesellschaftliche Nachteile wegen der Hautfarbe, etwa beim Universitätszugang, durch Politik aktiv zu beenden oder mindestens abzumildern. In den USA hat das der Oberste Gerichtshof inzwischen untersagt. Was Faeser bislang nicht beeindruckt.
Unter Druck steht Faeser auch wegen der stark steigenden Migrantenzahlen. Die Bundesinnenministerin solle Grenzkontrollen einführen, fordert die Union, im Bund wie in den Ländern. Und zwar wie an der bayerisch-österreichischen Grenzen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz.
Faeser weigert sich, obwohl die Asylbewerberzahlen aktuell stark steigen – etwa durch Bootsflüchtlinge, die in Rekordzahl auf Lamepdusa in Italien landen wollen. Faeser hat darum schon den sogenannten Solidaritätsmechanismus mit Italien ausgesetzt, um ein „Weiterreichen“ von Asylbewerbern durch die Regierung Meloni von Italien nach Deutschland zu verhindern. Ob das ausreicht, ist angesichts der hohen Zahlen aber fraglich.
Hofft Faeser auf den Aiwanger-Effekt?
Schließlich der Fall Schönbohm. An den bisherigen Sondersitzungen des Bundestags-Innenausschusses nahm Faeser nicht teil. Zuerst hatte sie angegeben, wegen eines Arztbesuchs. Nun sagte sie bei ihrem Besuch in der FAZ-Redaktion, ihr sei „aus dem parlamentarischen Raum geraten worden, diesen Klamauk nicht mitzumachen“. In Sekundenschnell hatte Faeser deshalb den Vorwurf der „Missachtung des Parlaments“ am Hals – gar der „Verachtung“ des Bundestags – und der „Lüge“.
In der Haushaltsdebatte des Bundestages hielt Faeser der Union vor, mit „Dreck“ auf sie zu werfen. Womöglich hofft Faeser jetzt auf einen Aiwanger-Effekt. Der Chef der Freien Wähler hat mit dem Vorwurf einer „Schmutzkampagne“ gegen ihn die Umfrage-Werte seiner Partei vor der Bayernwahl in luftige Höhen steigen lassen. Allerdings sieht es nicht danach aus, dass Faeser das Kunststück der Freien Wähler gelingen könnte.
Von einem Aiwanger-Effekt ist bei der Innenministerin keine Spur zu sehen. Zumal die Vorwürfe gegen Faeser weitaus konkreter und auch härter sind - hat sie den Verfassungsschutz gegen einen Untergebenen Beamten eingesetzt? – als die gegen Aiwanger. So empfinden es jedenfalls offenkundig viele Wähler – in Bayern, wo die Freien Wähler stark zulegen, wie in Hessen, wo die Zahlen der SPD abschmieren.
In der nächsten Woche erscheint Faeser dann doch noch vor dem Innenausschuss. Es dürfte ein Tag der Abrechnung für sie werden.