Wednesday, January 17, 2024

Wenn nur Gebete für den Sieg erlaubt sind: Russlands Kirche geht gegen unliebsame Priester vor

Tagesspiegel Wenn nur Gebete für den Sieg erlaubt sind: Russlands Kirche geht gegen unliebsame Priester vor Artikel von Frank Herold • 16 Std. Seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine steht das Patriarchat der Orthodoxen Kirche fest an der Seite des Kremls. Wer Frieden predigt, wird bestraft. Eng mit dem Kreml verbunden: Patriarch Kirill I. Er geht gegen Priester vor, die seinem Kurs nicht folgen. Für den russischen Priester Alexej Uminski hat das neue Jahr mit einer furchtbaren Nachricht begonnen. Seine Gemeinde hatte ihm die Führung der Russischen Orthodoxen Kirche bereits genommen, mit einem Predigtverbot war er schon belegt. Dieser Tage nun hat ihn das Kirchengericht zur Exkommunikation verurteilt. Patriarch Kirill I., das Oberhaupt der russischen Kirche, muss das Verdikt noch bestätigen. Dutzende missliebige Priester hat das Patriarchat seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges aus dem Amt entfernt. Der 63-jährige Uminski, viele Jahre Seelsorger an der Dreifaltigkeitskirche Chochli bei Moskau, gilt seit den Zeiten der Perestroika als ein Liberaler. Unter Präsident Wladimir Putin setzte er sich immer wieder für Oppositionelle ein. Im vergangenen Jahr las er eine Totenmesse für Michail Gorbatschow. Die Führung der Orthodoxen Kirche Russlands unterstützt den Krieg offen. Regina Elsner, Professorin für Ostkirchenkunde an der Universität Münster Jetzt hatte er sich geweigert, das „Siegesgebet“ zu verlesen. An keiner Stelle zeigt sich die Allianz zwischen Kreml und Kirche in dem fast zwei Jahre tobenden Krieg gegen die Ukraine so stark, wie in diesem „Gebet für den Sieg des Heiligen Russland“. Kirill hatte es zum verpflichtenden Bestandteil aller Gottesdienste gemacht. Uminski rief dazu auf, solche Messen nicht zu besuchen, und stattdessen in jene zu gehen, in denen zum Frieden aufgerufen wird. Aus Sicht der Kirchenführung ist das „Ungehorsam“, der offensichtlich mit der höchsten Strafe zu ahnden ist. Russlands Geheimdienst lädt Priester vor Repressionen gegen Priester gibt es seit Kriegsbeginn. Die oppositionelle Online-Plattform „Meduza“ hatte bereits im März 2022 einen anonym bleibenden Priester aus der Provinz zu Wort kommen lassen, der einen Aufruf zum Frieden initiiert hatte, den mehr als 300 Seelsorger unterzeichneten. Auch in dessen Aussage wird die enge Verflechtung von Kirche und Staat in Putins Russland deutlich. „Sie riefen mich zu einem Gespräch zum FSB (dem Geheimdienst; Anm. der Red.) und sagten: Wie können Sie das gegen unsere Jungs tun? Ich fragte als Antwort: Haben Sie selbst in der Armee gedient? Sie antworteten: Wir sind hier nützlicher. Aber dann hat [der FSB] außer dem Gespräch selbst nichts Konkretes unternommen. Aber die Diözese schien auf etwas zu warten, an dem sie sich festhalten konnte.“ Der Priester wurde entlassen, er lebt heute im Ausland, schrieb „Meduza“ kürzlich, als sie über zahlreiche weitere Fälle berichtete. „Die Führung der Orthodoxen Kirche Russlands unterstützt den Krieg offen. Sie ist eine wichtige ideologische Ressource des Kremls, um diesen Krieg zu legitimieren, die Bevölkerung zu motivieren und zu mobilisieren“, sagt Regina Elsner, Professorin für Ostkirchenkunde an der Universität Münster. Zwischen Putin und Patriarch Kirill bestand bereits lange vor dem Krieg eine enge Verbindung. „Es ist keine Freundschaft: Der Staat braucht aktuell die Kirche als ideologische Legitimierung ihres Handelns, und die Kirche braucht das Putin-Regime, um ihre privilegierte Stellung in der Gesellschaft zu behalten und abzusichern“, schätzt die Expertin ein. Beide verbinde die Vorstellung, dass Russland mehr sei als sein heutiges Staatsgebiet, nämlich das gesamte Staatsgebiet des vormaligen russischen Reiches umfasse. Deshalb komme man sich weit entgegen, aber viel davon sei Symbolpolitik, meint Elsner. So, wenn Putin in der Kirche das Kreuz schlage, die Kerze halte oder die Ikone küsse. Oder wenn er sich beim Eisbaden von den Sünden reinige. „Immer wieder wird gezeigt: Wir gehören zusammen“, sagt Elsner. „Aber das bedeutet nicht, dass es einen direkten Draht gibt, in dem sich Putin und Kirill direkt absprechen, was sie als Nächstes vorhaben. Die gegenseitige Einflussnahme ist subtiler.“ Patriarch Kirill versucht, unpolitisch zu erscheinen In gewisser Weise subtil ist auch das Vorgehen Kirills. In seinen Gebeten wird man vergeblich nach einem direkten Aufruf zum Krieg suchen. „Er verbindet die Rechtfertigung dieses Krieges mit der Notwendigkeit, den Frieden wieder herzustellen“, erklärt Elsner. „Für ihn ist das ein Verteidigungskrieg, ein gerechter Krieg“. Dabei versuche er immer, nicht politisch zu erscheinen. Vom Angriff der Nato und dem kollektiven Westen mag der Kreml sprechen. Kirill argumentiert mit archaischen Begriffen: dem Bösen, der Sünde, dem Kampf gegen den Antichristen. „Pseudotheologisch“, nennt das Elsner. Zugleich mache Kirill seine Sicht deutlich: Auch die Kirche müsse sagen, dass es eine Bedrohung gibt und dass sie Putin sehr dankbar sei, dass er diese Bedrohung abwendet. „Es ist eine Art Arbeitsteilung“, fasst die Expertin das Verhältnis zwischen Orthodoxer Kirche und Kreml zusammen. Was geschieht, wenn sich Priester dieser „Arbeitsteilung“ verweigern, zeigt der Fall Uminski.