Sunday, January 7, 2024

WELT „Wer diesen Knall nicht hört, ist selber schuld“ – Auf Mileis Angebot hat Berlin keine Antwort

WELT „Wer diesen Knall nicht hört, ist selber schuld“ – Auf Mileis Angebot hat Berlin keine Antwort Artikel von Tobias Käufer • 15 Std. Konzeptlos steht Berlins Außenpolitik vor der dynamischen Entwicklung in Argentinien. Auf das Angebot des neuen Präsidenten Javier Milei zur Zusammenarbeit reagiert Berlin bislang kühl. Dabei kommt aus Buenos Aires ein dringend benötigter Weckruf für den in der Region isolierten Westen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reiste zur Amtseinführung von Präsident Javier Milei nach Buenos Aires via REUTERS Als Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva vor gut einem Jahr sein Amt antrat, konnte sich der Linkspolitiker vor Besuchen und Hilfsgeldern aus Berlin kaum retten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) reiste gemeinsam mit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) eigens zur Amtseinführung nach Brasilia. Es folgten wenig später Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und eine Handvoll weiterer Minister aus seinem Kabinett. Vor knapp einem Monat wurde nun der libertäre Ökonom Javier Milei als neuer argentinischer Präsident vereidigt. Er positioniert Argentinien an der Seite der USA, Israels und der freien Welt. Anders als Lula, der sich in den geopolitischen Konflikten in der Ukraine und in Israel vom Westen distanziert und mithalf, das ohnehin antiwestliche BRICS-Bündnis (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zum 1. Januar um den Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Ägypten und Äthiopien zu erweitern. Und doch schlägt Milei aus Berlin Unsicherheit und Distanz entgegen. Während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die weite Reise nach Buenos Aires auf sich nahm und Milei für seine politische Unterstützung persönlich dankte, schickte die Bundesregierung Botschafter Dieter Lamle. Damit verpasste die Bundesregierung eine Möglichkeit, sich ganz persönlich ein Bild von der derzeit wohl dynamischsten Entwicklung im geopolitisch umkämpften Lateinamerika zu machen. Der neue argentinische Staatschef zieht seine Wahlversprechen nicht nur innenpolitisch durch. Auch außenpolitisch trifft er klare Entscheidungen: Der angebotenen BRICS-Mitgliedschaft erteilt er eine klare Absage und bekräftigte seine Solidarität mit Israel und der Ukraine – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Regierungschefs in Südamerika. Dringend benötigter Impuls Für den Westen könnte das neue Argentinien der Impuls sein, den es auf dem südamerikanischen Kontinent bitter nötig hat, um Moskaus und Pekings Machtpolitik etwas entgegenzusetzen. „Was in Argentinien geschieht, ist einzigartig: der Versuch der Reintegration eines der reichsten, europäischsten Länder außerhalb Europas in die westliche Welt“, sagt Ulrich A. Sante, ehemaliger deutscher Botschafter in Buenos Aires (2020-2023) und einer der besten deutschen Argentinien-Kenner, im Gespräch mit WELT. „Mileis klares Nein zu BRICS, Herzensangelegenheit der linken Vorgängerregierung, und sein klares Ja zur OECD ist eine Aufforderung und ein Hilferuf dieses so unendlich reichen G-20-Landes an uns, diese Wende in stürmischer See zu unserem eigenen, gerade auch strategischen Nutzen nach Kräften zu unterstützen“, sagt Sante, der heute als Vice Chairman Landesbank Baden-Württemberg tätig ist. „Wer diesen Knall nicht hört, ist selber schuld.“ Tatsächlich ist Milei der einzige wirklich einflussreiche Politiker Südamerikas, der dem Westen in der aktuellen Phase der geopolitischen Neuordnung eine echte Zusammenarbeit anbietet. Das wird bei seinem Nein zur BRICS-Mitgliedschaft besonders deutlich. „Wie Sie wissen, unterscheidet sich die außenpolitische Haltung der Regierung, der ich seit einigen Tagen vorstehe, in vielen Fällen von der der Vorgängerregierung“, heißt es in einem Schreiben Mileis an das Staatenbündnis. Aus diesem Grund würden „einige früher getroffene Entscheidungen überprüft werden“. Obwohl der Aufstieg Mileis sich seit Monaten andeutete, wirkt man in Berlin von der Entwicklung überrascht. Ein südamerikanischer Präsident, der freiwillig mit dem Westen zusammenarbeiten will und dessen außenpolitischen Werte teilt, darauf scheint die deutsche Außenpolitik nicht vorbereitet zu sein. Hinter den Kulissen heißt es in Berlin: Weil Milei von einigen in die Schublade des Rechtspopulismus einsortiert wird, könnten SPD und Grüne aus Furcht vor den linken Flügeln ihrer Partei allzu engen Kontakt zum libertären Präsidenten scheuen. Unterstützung für die von ihm angestrebten Reformen, wie sie etwa Kolumbien oder Brasilien zukommt, scheint derzeit nicht geplant. Dabei will Milei die Armut im heruntergewirtschafteten Land mit marktwirtschaftlichen Instrumenten bekämpfen. Ähnlichkeit mit der Agenda 2010 Teile seiner vorgeschlagenen, von der Justiz aber erst einmal ausgebremsten Arbeitsmarktreform erinnern vom Geist her ein wenig an die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder, die letztendlich zur wirtschaftlichen Erholung Deutschlands führte. Nachdem die Verhandlungen über das Handelsabkommen Mercosur unter der Führung von Brasiliens Präsident Lula da Silva jüngst scheiterten – auch, weil er sich sein eigenes Wahlkampfversprechen des Waldschutzes nicht wie von den europäischen Grünen erhofft ins Abkommen schreiben lassen will – pirscht sich Berlin nun zumindest bei diesem Thema vorsichtig an die neuen Machthaber in Buenos Aires heran. „Die Regierung setzt ihre Bemühungen fort, um dieses Abkommen zu ermöglichen. Sie ist bereit, die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Argentinien fortzusetzen, insbesondere in Klima- und Handelsfragen und vor allem im Hinblick auf das Freihandelsabkommen EU-Mercosur“, wird der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner in argentinischen Medien zitiert. Die Beantwortung der „spekulativen Frage“ nach Mileis „Abneigung“ gegen internationale Partnerschaften lehnte Büchner ab. Stattdessen „müssen wir erst einmal abwarten, was die Zusammenarbeit tatsächlich bringt“.