Monday, January 22, 2024

Robert Habeck unter Druck: War der Atomausstieg rechtswidrig?

Berliner Zeitung Robert Habeck unter Druck: War der Atomausstieg rechtswidrig? Artikel von Nathan Giwerzew • 1 Std. Abkehr vom Ausstieg ausgeschlossen: Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht das Ende der Atomkraft trotz Energiekrise gekommen. Warum schaltete Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die letzten die Atomkraftwerke ab – mitten in einer Energiekrise? Ein Redakteur des Cicero-Magazins will Antworten: Daniel Gräber klagt seit bald zwei Jahren auf Herausgabe der Akten, auf deren Grundlage das AKW-Aus beschlossen wurde. Jetzt wies das Verwaltungsgericht in Berlin-Moabit mehrere Begründungen ab, mit denen Habecks Juristen einen Großteil der Dokumente gegenüber der Öffentlichkeit unter Verschluss halten. Sie sicherten zudem zu, drei Viertel der bislang geheimen Dokumente freizugeben. Über die noch strittigen Unterlagen soll innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Urteil fallen. Während der mündlichen Verhandlung im Verwaltungsgericht in Berlin-Moabit ringen Habecks Beamte um Argumente, warum die Dokumente geheim bleiben sollen. Es handelt sich um einen öffentlichen Verhandlungstermin, daher ist auch die Berliner Zeitung vor Ort. Weil Energie-Engpässe wie im Februar 2022 zukünftig nicht ausgeschlossen wären – kurz nach Russlands Angriff auf die Ukraine brachen die Gas-Importe ein – dürfe man die Akten nicht freigeben, so ein Jurist des Ministeriums. Er droht mit einem Horrorszenario: Deutschland könnte wieder im Energie-Chaos versinken, weil die Kernkraftwerke nicht mehr am Netz sind! Insofern sei die damalige Notlage auf künftige Krisensituationen im Hinblick auf die Energiesicherheit übertragbar, argumentiert der Beamte. So will er vor Gericht erwirken, dass die Akten weiterhin geheim bleiben. So will er die Regel umgehen, dass die Öffentlichkeit Anspruch darauf hat zu erfahren, wie es zu bestimmten Entscheidungen ihrer Regierung in der Vergangenheit kam. Das ist nicht seine einzige Ausrede. Er gibt außerdem zu bedenken, die Veröffentlichung der bislang geheimen Dokumente vertrauliche Beratungen zur Atomkraft oder zur Versorgungssicherheit zwischen Deutschland und anderen Staaten gefährden könnte. Der Beamte spricht von einem eigenen Weg, den Deutschland mit dem Atomkraft-Aus beschritten habe. Diesen müsse es gegenüber Medien sowie anderen europäischen Staaten verteidigen. Habecks Ministerium will offenbar verhindern, dass Unterlagen ans Licht kommen, die dessen Entscheidung zum AKW-Aus in Misskredit bringen könnten. Sein Kollege versucht zu beschwichtigen: Der nächste Energie-Engpass lauere nicht an der nächsten Ecke. Es sei aber trotzdem nicht ausgeschlossen, dass wieder eine Energiekrise wie im Februar 2022 ausbrechen könnte. Er sieht jedoch eine Gefahr aus einer anderen Richtung – vonseiten der Oppositionsparteien und vonseiten kritischer Medien. Doch da gäbe es auch andere Probleme. Die Bundesregierung müsse sich zu ihrer umstrittenen Atom-Entscheidung jeden Tag abstimmen und positionieren, etwa gegenüber der Unionsfraktion im Bundestag, so der Beamte. Diese stellte über zehn Kleine Anfragen zum Atom-Aus. Es hätten sich zudem medienwirksam mehrere Staaten während der Klimakonferenz COP28 in Dubai zusammengeschlossen, die für mehr Atomkraft plädierten. Auch wenn die meisten Staaten weltweit noch keine Atomkraftwerke haben: Die Bundesregierung müsse den Atomausstieg in der Rückschau und in der Vorschau verteidigen. Es zudem nicht auszuschließen, dass einzelne in den Streckbetrieb aufgenommene Meiler wieder in die Diskussion Eingang fänden. Für die Bundesregierung offenbar ein Bedrohungsszenario – das den Richter aber nicht überzeugt. Denn: Laut dem Umweltinformationsgesetz (UIG) sowie dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) hat die Öffentlichkeit Anspruch auf umweltrelevante Informationen vonseiten aller dafür zuständigen Stellen. Deshalb hatte der Richter den Antrag von Habecks Beamten zum sogenannten Drittbeteiligungsverfahren abgewiesen. Dieses besagt, dass vor der Freigabe von Ministeriums-Dokumenten zuerst relevante Dritte, die mit dem Ministerium im Austausch waren – in dem Fall die Betreiber der Atomkraftwerke – befragt werden müssen. Der Richter argumentierte, die Beamten hätten nicht überzeugend dargelegt, inwiefern Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen von der Freigabe der Akten betroffen sein könnten. Auf Nachfrage des Richters sagte einer der Habeck-Beamten, Geheimnisse der Unternehmen seien von der Veröffentlichung eher nicht betroffen. Kurios: Während der mündlichen Verhandlung konnte Habecks Ministeriums-Jurist nicht einmal sagen, ob der AKW-Rückbau in Deutschland umkehrbar ist oder nicht. Dann, während der Richter alle bislang der Öffentlichkeit unzugänglichen Dokumente aufzählt, der nächste Hammer: Der Richter nennt ein Vermerk, fragt Habecks Beamte nach der Art des Dokuments. Ihnen zufolge handelt es sich um die die Übungsaufgabe eines Rechtsreferendars, die weder der Leitungsebene vorgelegen habe noch Einfluss auf die Gesetzgebung gehabt habe. Trotzdem sei der Vermerk nach ihrer Kenntnis geheimhaltungsbedürftig. Der Richter kann nicht mehr an sich halten – und bricht in Lachen aus. Es dürften jedoch noch etliche brisante Dokumente ans Licht kommen, die der Öffentlichkeit bislang verborgen waren. Mit ihnen könnte rekonstruiert werden, wie das umstrittene AKW-Aus beschlossen wurde. So ist von einem Anschreiben im Rahmen eines Gesetzesentwurfs die Rede, von Briefwechseln mit dem Kanzleramt, von Sprechzetteln für den Regierungssprecher Steffen Hebestreit sowie von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Ministerien zum Streckbetrieb der Atomkraftwerke. Auch der Name des Ex-Staatssekretärs Patrick Graichen fällt mehrfach während der Verhandlung. Habeck musste ihn entlassen, nachdem ans Licht gekommen war, dass Graichens Trauzeuge Michael Schäfer auf seine Empfehlung hin zum Chef der staatlichen Deutschen Energie-Agentur ausgewählt worden war. Graichen, der im Umfeld der Grünen-nahen Lobbyorganisation Agora Energiewende aktiv ist, galt als der Architekt der Flüssiggasimporte nach Deutschland sowie des inzwischen gekippten Heizungsgesetzes. Nach der mündlichen Verhandlung am Montag sicherten Habecks Beamte zu, drei Viertel der noch strittigen Dokumente freizugeben. Viele dieser Dokumente stammen aus einem Verzeichnis, das sie dem Gericht und dem Kläger (der Cicero-Journalist Daniel Gräber, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph Partsch) erst am Donnerstag haben zukommen lassen. Bei dem vorigen Gerichtstermin im September vergangenen Jahres hielt das Gericht die vom Habeck-Ministerium angeführten Akten noch für unvollständig. Ein Viertel ist der Dokumente ist aber weiterhin strittig. Ihre Freigabe dürfte Gegenstand des richterlichen Urteils werden, das innerhalb der kommenden zwei Wochen gefällt und beiden Parteien schriftlich zugestellt werden soll. Sollte das Cicero-Magazin in seiner Verwaltungsstreitsache gewinnen und Kopien der noch verschlossenen Dokumente erhalten, dann könnte das nicht nur eine Blamage für Robert Habeck werden. Die Akten könnten auch die Debatte darüber erneut aufkochen lassen, inwiefern der Atomausstieg ideologisch motiviert war – und warum ihn das Wirtschaftsministerium trotz aller Bedenken und Warnungen eiskalt durchgezogen hatte.