Monday, January 8, 2024

Parteienforscherin Sarah Wagner: Das Feindbild Grüne macht für Wagenknecht Sinn

Frankfurter Allgemeine Zeitung Parteienforscherin Sarah Wagner: Das Feindbild Grüne macht für Wagenknecht Sinn Artikel von Anna-Lena Ripperger • 2 Std. Das Bündnis Sahra Wagenknecht beantragt die Anerkennung als Gruppe durch den Bundestag: Die frühere Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht am 12. Dezember 2023 in Berlin Frau Wagner, Sie haben im Sommer eine Studie zum Wählerpotential einer möglichen Wagenknecht-Partei veröffentlicht. Damals existierte die nur als Gerücht, an diesem Montag soll die Gründung offiziell verkündet werden. Haben Sie damit gerechnet, dass es so schnell geht? Der definitive Bruch zwischen Sahra Wagenknecht und der Linkspartei wurde am Ende sehr schnell vollzogen. Aber das lag auch daran, dass ihm eine lange Phase der Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Lagern vorausgegangen war – und eine starke Abwanderung von Wählern, etwa zur AfD. Jetzt, wo es statt einer Linksfraktion wahrscheinlich bald zwei Gruppen im Bundestag gibt, die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht, sieht man, dass der inhaltliche Zusammenhalt jeweils viel stärker ist. Von der Linken hat man zuletzt nicht mehr viel gehört zu Wagenknecht. Dafür hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz geäußert, niemand in Deutschland brauche Wagenknechts „Mischung aus Sozialismus und Nationalismus“. Die Linkspartei zeigt gerade, dass sie es ernst meint mit ihrer Neuorientierung nach dem Bruch. Dafür stehen auch ihre Kandidaten für die Europawahl, besonders die frühere Seenotrettungskapitänin und Klimaaktivistin Carola Rackete. Die Linke will eine progressive Alternative für Menschen sein, die unzufrieden sind mit den Grünen und der SPD in der Koalition. Wagenknecht will nun auch ihre Kandidaten für die Europawahl präsentieren. Ist das das Ende der One-Woman-Show? Es war schlau, den Verein zur Vorbereitung auf die Parteigründung erst mal nach sich zu benennen und auch alles drum herum mit eiserner Hand durchzuziehen. Die Menschen kennen Sahra Wagenknecht, und sie kennen ihre Positionen. Deshalb ist ihnen relativ klar, wofür ihre Partei steht und was sie machen wird. Diese Art der Informationsverkürzung war klug, aber über Monate oder Jahre reicht das nicht als Strategie. Warum nicht? In diesem Jahr haben wir vier verschiedene Wahlen, die Europawahl, und drei Landtagswahlen im Osten. Sahra Wagenknecht kann nicht bei allen die Nummer eins auf der Liste sein. Sie hat zwar einige Linken-Abgeordnete in ihre Partei mitgenommen, aber langfristig braucht sie mehr Personal und auch Mitarbeiter, um stabile Parteistrukturen aufzubauen. Der Finanzfachmann und frühere Linkenpolitiker Fabio De Masi will für Wagenknechts Partei offenbar bei der Europawahl am 9. Juni antreten, genau wie der frühere Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel. Das sind interessante Leute, aber sie werden auch ihre eigenen Ideen einbringen wollen. Wenn alles in der Partei um Wagenknecht und ihre Positionen herum strukturiert ist, wird das relativ schwierig. Und der Zeitdruck ist groß, nicht nur organisatorisch, sondern auch parteistrategisch. Wie müssten die Wahlen für die Wagenknecht-Partei ausgehen, damit ihr Projekt als geglückt gilt? Der Erfolg von Parteien lässt sich nicht nur im Wahlergebnis oder in der Zahl der Mitglieder messen. Wichtig ist auch, ob eine Partei eher auf faktische oder auf diskursive Macht aus ist, ob sie also eine Koalitionspartei oder eine Blackmail-Partei ist. Koalitionsparteien wollen sich an Regierungen beteiligen, Blackmail-Parteien möchten die anderen Parteien unter Druck setzen und die gesellschaftliche Debatte beeinflussen. Das perfekte Beispiel für eine Blackmail-Partei war in den letzten Jahren die AfD, die nicht an Regierungen beteiligt war, aber den deutschen Diskurs komplett verändert hat. Und darauf zielt auch Wagenknecht? Zumindest hat ihre Partei das Potential dazu. Welche Folgen hätte das? Es könnte sein, dass die AfD dadurch noch extremer wird, weil sie von Wagenknecht bei bestimmten Themen, etwa der Kritik an der Migrationspolitik, herausgefordert wird. Wählerinnen und Wähler von der AfD könnten zu Wagenknecht abwandern, und in der AfD würden dann womöglich nur die bleiben, die mit rechtsextremen Positionen kein Problem haben. Vor wenigen Tagen hat auch Werteunionschef Hans-Georg Maaßen angekündigt, eine eigene Partei zu gründen und mit ihr bei den Landtagswahlen anzutreten. Wie viele Überschneidungen gibt es zu den Wählern, auf die Wagenknecht zielt? Sie dürften ähnliche Wähler ansprechen: gesellschaftspolitisch Konservative, die unzufrieden sind mit der Politik der progressiven Ampelparteien und deren Fokus auf Klimaschutz, auf feministische Außenpolitik, auf Minderheitenrechte. Das Feindbild Grüne macht für Wagenknecht absolut Sinn, und auch für eine Werteunionspartei. Ihre potentiellen Wähler lehnen die gesellschaftlichen Entwicklungen ab, für die die Grünen stehen. Und Wagenknecht und Maaßen müssen sich nicht davor fürchten, im grünen Milieu Wähler zu verprellen, denn da dürfte es nahezu keine Überschneidungen geben. Das politische Motto für das Wahljahr 2024 ist also „Buhlen um Ampel-Frustrierte und Rechtskonservative“? Ja, und das hängt direkt damit zusammen, dass so viele Menschen gerade unglaublich unzufrieden sind mit den progressiven Parteien in der Regierung, mit ihrer wahrgenommenen Inkompetenz. Dadurch fühlen sie sich von konservativen Parteien so stark angesprochen. „Die alten Parteien führen unser Land in den Abstieg“ – lesen Sie hier das F.A.Z.-Interview mit Sahra Wagenknecht zu ihren Plänen für das Wahljahr 2024. Im Gründungsmanifest von Sahra Wagenknechts Partei heißt es, sie wolle den Gemeinsinn wieder stärken. Gleichzeitig schlägt sie Kapital aus dem Diskurs über eine drohende oder schon bestehende Spaltung der Gesellschaft. Wie passt das zusammen? Sie unterscheidet sehr stark zwischen „Vernünftigen“ und „Unvernünftigen“. Das trägt natürlich dazu bei, dass man die politische Landschaft und auch Menschen in verschiedenen Lagern betrachtet. Und Sahra Wagenknecht bedient sich viel beim Populismus, auf komplizierte Fragen gibt sie einfache Antworten. Zum Beispiel beim Thema Energieversorgung und Klimaschutz. Durch gelockerte Russlandsanktionen soll Deutschland demnach wieder günstig an Gas kommen, die Entwicklung „innovativer Schlüsseltechnologien“ soll harte Klimaschutzmaßnahmen überflüssig machen. Solche Lösungen sind attraktiv für Menschen, die sich verloren fühlen im aktuellen Diskurs und die das Gefühl haben, er werde von oben herab geführt, von Politikern, die die Alltagssorgen der Menschen nicht kennen.