Monday, January 1, 2024

Neujahrsansprache: Scholz bittet um Respekt, Neukölln hat den Chat verlassen

Berliner Zeitung Neujahrsansprache: Scholz bittet um Respekt, Neukölln hat den Chat verlassen Artikel von Moritz Eichhorn • 20 Std. Fullscreen button Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Aufzeichnung seiner Neujahrsansprache im Kanzleramt: Dass Respekt auf Gegenseitigkeit beruht, ist ihm fremd. Neu ist an Olaf Scholz‘ Neujahrsansprache nichts. Der Kanzler füllt die alljährliche Tradition mit den gesammelten Hülsen der vergangenen zwei Jahre. „Wir in Deutschland kommen da durch“, mit „Respekt“ solle man sich begegnen. Wie wenig Respekt wirklich herrscht, vor den Institutionen unseres Landes, der Polizei, Feuerwehr und den Rettungsdiensten, werden ihm in wenigen Stunden schon Abertausende Menschen – viele, die nach Deutschland migriert sind – in Berlin und anderen Großstädten beweisen. Sie strafen den Kanzler lügen: Denn nachdem Scholz seit mehr als zwei Jahren zu mehr Respekt aufruft, gibt es davon immer weniger. Der Kanzler müsste sich und den Bürgern Respekt verschaffen: durch klare Worte, aber vor allem durch Taten und Gesetze. Stattdessen wird lieber um Respekt gebeten. Das klingt ähnlich wehrlos wie die Berliner Polizei, die Silvesterrandalierer vor wenigen Tagen anflehte: „Bitte greift uns nicht an.“ Über das bevorstehende Inferno in Neukölln, Kreuzberg und Co. schweigt der Kanzler in seiner Rede lieber ganz. Offenbar kennt er das Wort Respekt doch nur im Zusammenhang mit Transferleistungen. Respekt ist für seine SPD, was der Staat aufs Konto überweist. Auf den Straßen heute Nacht gibt’s dafür Verachtung. Dort hat man den Chat mit der Regierung schon Welchen Respekt der Kanzler den Bürgern, zu denen er spricht, angedeihen lässt, zeigt sich in seiner Interpretation der grottenschlechten Stimmung im Land: Den Deutschen diagnostiziert er Zukunftsangst. So viel verändere sich in der Welt, damit kämen die Bürger eben nicht gut klar. So erklärt er zwischen den Zeilen auch die Unzufriedenheit mit seiner Regierung. „So viel Leid, so viel Blutvergießen. Unsere Welt ist unruhiger und rauer geworden. Sie verändert sich in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit. Auch wir müssen uns deshalb verändern. Vielen von uns bereitet das Sorgen.“ "Wir kommen auch mit Gegenwind zurecht" - Scholz in Neujahrsansprache Haben die Deutschen tatsächlich Angst vor Veränderung? Das lässt sich nicht wirklich sagen. Aber wer sollte vor einer Digitalisierung des Staats, neuen Industrien und besserer Infrastruktur oder einem sichereren und verteidigungsfähigen Deutschland Angst haben? Nein, vor der Veränderung haben die Bürger keine Angst. Sie haben Angst vor einer Ampel, die diese Veränderung nicht bewerkstelligt bekommt. Scholz schlägt den Ton eines verständnisvollen Vaters an, der seinem Teenager dessen pubertäres Verhalten erklärt: Für Dich verändert sich gerade so viel. Deine Hormone laufen Sturm. Ist ja klar, dass Du verunsichert bist, Sportsfreund. Aber keine Sorge, das wächst sich aus. Doch Scholz hat nicht nur eine merkwürdige Respektsbeziehung zum Volk, auch zum Verfassungsgericht ist sein Verständnis von Respekt besonders. Viele der von seiner Regierung geplanten Investitionen seien „vor dem Hintergrund des weitreichenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November nicht einfacher geworden“. Da hat das höchste deutsche Gericht der Regierung offenbar nicht genug Respekt gezollt. Olaf Scholz hat Respekt als Zauberwort schon lange für sich entdeckt. Es stand im Zentrum des Bundestagswahlkampfes der SPD 2021. „Mehr Respekt für Dich“ lautete einer seiner zentralen Slogans. Es ist auch ein Begriff, der immer wieder von Streetworkern und Sozialarbeitern in Brennpunkten wie Neukölln genutzt wird. Er gilt als ein Konzept, über das man sich mit aggressiven Jugendlichen mit Migrationshintergrund verständigen kann. Da gibt es eine Ebene. Doch die Streetworker haben verstanden, was Scholz noch lernen muss: Respekt beruht auf Gegenseitigkeit. Wer ihn nicht zollt, darf ihn auch nicht gezollt bekommen.