Wednesday, January 10, 2024

Eine Analyse von Ulrich Reitz - Kanzler regiert, aber Waber-Scholz bleibt den Deutschen aus einem Grund fremd

FOCUS online Eine Analyse von Ulrich Reitz - Kanzler regiert, aber Waber-Scholz bleibt den Deutschen aus einem Grund fremd Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz • 2 Std. Wo ist Scholz, fragen nicht nur Grüne gerade. Nun – er regiert tatsächlich. Er trifft sogar die Bauern. Aber er fällt fragwürdige Entscheidungen. Und folgt dabei einem alten Muster. Um einem verbreiteten Eindruck hier gleich einmal zu widersprechen: Der Bundeskanzler regiert. Er trifft sogar große, wegweisende Entscheidungen. Es ist nur so, dass er sich treu bleibt – und nicht darüber spricht. Nicht sagt, warum er was entschieden hat. Seine Kommunikation bleibt verhuscht. Und seine Entscheidungen bleiben umstritten. Große Entscheidungen, kein Scholz Es ist eine große und überhaupt keine kleine Entscheidung, Saudi-Arabien mit Eurofighter-Kampfjets zu beliefern. Es hat eine strategische Dimension, gerade deshalb müsste es der Kanzler als Inhaber der Richtlinienkompetenz eigentlich gut begründen – und könnte es auch: Damit, dass der alte Merkel-Satz, wonach die Sicherheit Israels „deutsche Staatsräson“ sei, auf diese Weise zu politischer Wirklichkeit werde. Das macht Scholz aber nicht. Seinen Regierungssprecher lässt der Kanzler sagen, dieser teile die Meinung seiner Außenministerin. Annalena Baerbock hatte in Jerusalem erklärt, Deutschland werde der von den Briten betriebenen Eurofighter-Lieferung nicht länger im Weg stehen, weil die Saudis sich – verkürzt – pro Israel verhielten. Es gibt aber auch gute Gründe gegen diese große Waffenlieferung an ein diktatorisches Regime: Neben Öl exportieren die Saudis ein vor allem übles Gedankengut – ihren wahhabitischen Steinzeitislam, auch nach Deutschland. Und inzwischen weisen auch die ersten Grünen Parlamentarier daraufhin, dass die Kampfflugzeuglieferung alles andere als „nachhaltig“ sind. Wer kann schon wissen, was die Saudis mit diesen Maschinen am Ende anfangen? Widersprüchliche Regierungspolitik Es ist eine weitere große Kanzlerentscheidung, der Ukraine keine Taurus-Raketen zu schicken – und dies nicht zu erklären. Wer Scholz kennt, kennt die Gründe: die USA liefern auch keine Raketen mittlerer Reichweite, und Scholz hat bislang immer im Fahrwasser der Biden-Regierung entschieden. Man kann das richtig finden – oder aber halbherzig und irgendwie auch widersprüchlich: Scholz setzt mittlerweile seine europäischen Partner, vor allem Frankreich, unter Druck, mehr für die Ukraine zu tun, liefert aber selbst nicht, was die Ukraine dringend nötig hat. Sicher, Deutschland ist mittlerweile der größte Ukraine-Helfer in Europa und der zweitgrößte weltweit und Scholz hat angekündigt, die Hilfen sogar noch zu verdoppeln, aber: Liefert Deutschland das richtige? Nur Abwehrwaffen in die Ukraine zu schicken, verlängert diesen Krieg und gibt der Ukraine keine Perspektive. Fundamentalkritik eines Grünen: Der Kanzler „lässt irgendwie alles wabern“ Toni Hofreiter von den Grünen sagte bei Markus Lanz, der Bundeskanzler erkläre nicht, in welcher Lage sich Europa gerade befinde. Es ist eine Fundamentalkritik, aber damit liegt er richtig. Der Grüne verweist auf die Einschätzung internationaler Militärexperten, wonach Putins imperialistisches Russland „in wenigen Jahren“ das Baltikum angreifen könne – und auch werde. In Deutschland schwindet die Hilfsbereitschaft für die Ukraine, das Land gerät militärisch immer weiter unter Druck und Putin hat erst vor wenigen Tagen erklärt, dass seine Ziele die alten seien und er nur bereit sei, mit einer kapitulationswilligen Ukraine zu verhandeln. Alles das bleibt aus dem Kanzleramt unerklärt. In den Worten Hofreiters: Der Kanzler „lässt irgendwie alles wabern“. Eine große innenpolitische Entscheidung von Scholz war es, die Bauern eine der 17 Milliarden bezahlen zu lassen. Die fehlen der Regierung, weil der Kanzler persönlich, so sagt es Hofreiter, sich verkalkuliert habe. „Natürlich hat er sich verzockt.“ Aber die Bauern stehen nur aus einem Grund auf der Straße: Weil die Regierung beschlossen hat, mit dem Geld der Bürger zu tricksen. Dass dies verfassungswidrig sein würde, war klar absehbar – es gab deutliche Warnungen von Finanzexperten an die Regierung. Scholz begründet seine Politik nicht Es war eine ebenso große Entscheidung von Scholz, dann den Bauern – unter deren Druck - entgegenzukommen. Und damit den Eindruck zu erwecken, seine Regierung sei erpressbar. Und es ist noch einmal eine große Entscheidung, nicht alle Kürzungen wieder zurückzunehmen – obwohl inzwischen ausnahmslos alle sozialdemokratischen Ministerpräsidenten aus Flächenländern das von Scholz fordern. Von Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern, Dietmar Woidke aus Brandenburg, Stephan Weil aus Niedersachsen bis hin zu Anke Rehlinger aus dem Saarland. Unbeeindruckt scheint der Kanzler entschlossen, das gegen die „eigenen“ Regierungschef in den Ländern auszusitzen – aber er begründet es schlecht: Wenn man Subventionen kürze, dann werde eben von jeder betroffenen Gruppe Widerstand geleistet. Das stimmt in seiner Allgemeinheit – und erklärt doch nicht, weshalb ausgerechnet die Bauern bluten sollen. Aber noch viele Milliarden da sind, um eine amerikanische Chipfabrik in Ostdeutschland zu fördern. Oder ständig mehr Bundesbeamte einzustellen. Oder quasi ein zweites Kanzleramt bauen zu wollen, das beinahe so teuer werden wird wie die ursprünglich gestrichenen Bauernsubventionen. Nun baut sich eine Front auf gegen Scholz Scholz erklärt es nicht – und es ist auch nicht zu erklären. Und nun baut sich auch noch gar nicht so still und so heimlich wie geplant eine sehr große neue Front auf gegen Scholz – und wieder sind es die eigenen Leute, die faktisch gegen den Kanzler aufbegehren: Die SPD-Fraktion will partout die Schuldenbremse kippen. Sie lässt sich einfach nicht davon abbringen von der Idee, dass Deutschlands Wohl davon abhängig sei, immer noch mehr Geld durch Staatsbürokraten auszugeben. An der Spitze dieser Bewegung steht der SPD-Spitzenmann, der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, und der hat es – dies war wenigstens fair – schon frühzeitig auch angekündigt. Es hilft aber nichts - die eigene Fraktion bringt den SPD-Kanzler schwer in die Bredouille. Und auch hier wiederholt sich das Muster: Der Kanzler erklärt sich nicht. Bislang stand er in Haushaltsfragen stets an der Seite des liberalen Finanzministers Christian Lindner. Scholz hat gute Gründe dafür: Bei seinem FDP-Koalitionspartner gibt es starke Kräfte, die auf ein Ausscheiden der Liberalen aus der Regierung drängen. Zwar hat eine Mitgliederbefragung der FDP gerade eine Mehrheit pro Ampel gebracht – aber es war knapp. Würde Lindner sich auf die SPD-Forderungen einlassen – es würde knapp für ihn selbst. Scholz lebt von der Hand in den Mund Das ist das eine. Das andere: Man könnte schon gut begründen, weshalb es gerade jetzt mindestens fragwürdig ist, wenn der Staat noch einmal mehr Schulden macht. Etwa, weil er allein für den Schuldendienst erheblich mehr aufbringen muss: laut Finanzplanung des Bundes 2024 knapp 37 Milliarden. Viel unproduktives Geld, das für produktives Politik-Machen nicht mehr zur Verfügung steht. Fazit: Der Kanzler regiert, aber er trifft fragwürdige Entscheidungen. Die er dann nicht begründet. Seine Devise scheint zu sein: „Irgendwie alles wabern zu lassen“ (Hofreiter). Der Eindruck bleibt auch zu Beginn des neuen Jahres: Scholz lebt von der Hand in den Mund.