Wednesday, January 3, 2024

Bauern-Großdemo in Berlin: Wird sich Cem Özdemir erneut der Wut stellen?

Berliner Zeitung Bauern-Großdemo in Berlin: Wird sich Cem Özdemir erneut der Wut stellen? Artikel von Anne-Kattrin Palmer, Mayra Thies • 3 Std. Die Bauern sind wütend. Seit Tagen mobilisieren sie im ganzen Land gegen die Sparpolitik der Ampel, legen mitunter in Städten wie jüngst im unterfränkischen Hammelburg den Verkehr lahm. Doch das könnte erst der Anfang sein. Ab Montag haben die erzürnten Landwirte bundesweites Chaos angekündigt. Tausende Traktoren sollen durch das Land rollen, auch in Berlin sind viele Aktionen vom 8. bis zum 15. Januar geplant. Parallel hat außerdem die Lokführergewerkschaft GDL zum Streik aufgerufen. Es könnte also hoch hergehen. Die Landwirte wollen damit ihrer Wut gegen die geplanten Kürzungen der Bundesregierung Luft machen. Dass ihnen im Zuge des Milliarden-Haushaltslochs von insgesamt 60 Milliarden Euro dank des Bundesverfassungsgerichts wichtige Subventionen gestrichen werden. Im Gespräch sind unter anderem die Steuerrückerstattung für Agrardiesel sowie die Kfz-Steuerbefreiung. Das reiße ein großes Loch in die eh schon kleinen Geldbeutel der Bauern, beklagen die Betroffenen. Denn derzeit erhalten landwirtschaftliche Betriebe noch 21,46 Cent pro verbrauchtem Liter Diesel zurück. Der Bayerische Bauernverband schätzt, dass durch Wegfall der Agrardiesel-Subvention jährlich Mehrkosten von einer Milliarde Euro entstehen. Die Streichliste der Ampel ist allerdings noch nicht abgesegnet. Auch gibt es nach wie vor an den Plänen Kritik – auch aus den eigenen Reihen. Geht es nach Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, sollte nicht bei den Landwirten gespart werden. Er befürchtet einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern, „die vergleichbare Subventionierungen anbieten“. Auch lebten viele deutsche Bauern jetzt schon am Existenzminimum. Seit Tagen sagt er daher, er werde für die Landwirte kämpfen. Doch ob sich Özdemir durchsetzt, ist unklar. Ein Sprecher des Ernährungs- und Landwirtschaftsministeriums sagt am Mittwoch zur Berliner Zeitung: „Derzeit laufen die Beratungen, wie die politische Einigung innerhalb der Ampelkoalition zum Haushalt 2024 umgesetzt wird.“ Die Haltung von Bundesminister Özdemir dazu sei klar und unverändert: „Die Belastung für die Landwirtschaft durch die gleichzeitige Streichung von Agrardieselbeihilfe und Kfz-Steuer-Befreiung ist zu hoch“, so der Sprecher. Auch an der Grünen-Basis rumort es. Der agrarpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion in Baden-Württemberg Martin Hahn ist selbst Landwirt und kennt die Nöte seiner Standesgenossen. „Der Protest ist wichtig, denn die Landwirte werden im Gesamtsystem ungerecht behandelt. Es ist völlig falsch und Unfug, das als klimaschädliche Subvention anzusehen“, sagt Hahn der Berliner Zeitung. Die Agrardieselbeihilfe ist laut Hahn alternativlos. „Wird sie gestrichen, so kann in Deutschland kaum mehr konkurrenzfähig produziert werden – denn in wichtigen Wettbewerbsländern bleiben die Agrarbeihilfen erhalten.“ Hahn will selbst an den Protest-Kundgebungen teilnehmen und für die Bauern Stellung beziehen, auch wenn er die Teilnahme von rechten Bewegungen ablehnt. Doch wird sich Özdemir den Protestlern kommende Woche stellen, sogar eine Rede halten? Das blieb zunächst unbeantwortet. Der Sprecher sagt lediglich: „Bundesminister Özdemir hat in der Vergangenheit stets deutlich gemacht, dass er sich auch kontroversen Debatten stellt.“ Über den Umgang mit den ab Montag angekündigten Protesten könne man aber zum jetzigen Zeitpunkt nichts mitteilen. Das letzte Mal hatte sich Özdemir am 18. Dezember den wütenden Bauern gestellt, die auf ihren Traktoren in die Hauptstadt gerollt waren. Sichtlich angespannt hielt der Grünen-Minister auf der Bühne eine Rede vor den Bauern, die „Neuwahlen, Neuwahlen“ skandierten und ihn ausbuhten – obwohl Özdemir versprach, im Kabinett gegen die geplanten Streichungen zu kämpfen. Und dann kassierte er auch noch einen Kommentar zu seiner türkischen Herkunft. Darauf antwortete er allerdings rigoros, als Claus Hochrein vom Verband „Landwirtschaft verbindet Deutschland“ wetterte, er fühle sich bei dem Umgang der Ampel mit der Sparliste wie auf einem „türkischen Basar“. Die ernährungs- und landwirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Susanne Mittag hält die Belastung der Landwirte für „überproportional“. „Grundsätzlich kann ich die Proteste und die Sorgen der Landwirtinnen und Landwirte nachvollziehen. Die geplanten Maßnahmen, die die Landwirtschaft betreffen, sind für mich als Agrarpolitikerin unverhältnismäßig und zu kurzfristig“, sagt sie der Berliner Zeitung. Mittag bemängelt jedoch einen „aggressiven Ton“ in der Auseinandersetzung. Die Bundestagsabgeordnete Ina Latendorf (Linke) hält die Bauernproteste grundsätzlich für legitim. „In jedem Fall macht sich hier berechtigter Unmut Luft. Es geht ja dabei nicht nur um die aktuelle Kürzungspolitik der Bundesregierung, sondern um systematische Verfehlungen auch der Vorgängerregierungen, die es versäumt haben, den Landwirtinnen und Landwirten Berufsperspektiven und Rechtssicherheiten zu geben“, sagt die Agrar-Expertin der Linken der Berliner Zeitung. „Pauschale Forderungen in Richtung Populismus“ seien jedoch ein Fehler. Latendorf will sich in ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern selbst ein Bild der Lage machen. „Ich werde versuchen, bei Lokalterminen vor Ort zu sein und habe mich hierzu mit dem regionalen Bauernverband in Verbindung gesetzt“, so Latendorf. Bei den Protesten dabei sein wird auch AfD-Politiker Stephan Protschka. Er ist agrarpolitischer Sprecher seiner Fraktion und hofft, „dass die Bauernproteste ein eindrucksvolles Zeichen setzen“. Die Bauernproteste seien berechtigt. „Deshalb haben wir uns sofort geschlossen an die Seite der Bauern gestellt und unterstützen sie auch weiterhin mit allen uns zur Verfügung stehenden parlamentarischen Möglichkeiten“, sagt Protschka der Berliner Zeitung.