Monday, January 1, 2024
Bald wieder Präsident?
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Bald wieder Präsident?
Artikel von Karl Doemens •
47 Min.
Trump überschreitet immer öfter die Grenze vom autoritären Gepöbel zur faschistischen Propaganda.
Rechtspopulist Donald Trump macht keinen Hehl daraus, dass er die USA radikal umbauen will, sollte er wieder gewählt werden. Viele unterschätzen noch die Gefahr, die von ihm ausgeht.
Eines kann man ihm nicht vorwerfen – dass er die Öffentlichkeit über seine Absichten im Unklaren ließe. Die meisten US-Amerikanerinnen und -Amerikaner saßen gerade beim Weihnachtsessen, als ihr früherer Präsident die Festtagsstimmung störte. „May they rot in hell!“ (Mögen sie in der Hölle verrotten), geiferte Donald Trump am 25. Dezember auf seiner Onlineplattform „Truth Social“ unvermittelt über jene, die ihn nicht unterstützen. Das anschließende „Merry Christmas“ klang ziemlich sarkastisch.
Wenige Stunden später postete der 77-Jährige die Wortwolke eines britischen Boulevardblatts. Die Grafik illustriert, welche Begriffe die Wähler:innen in den USA laut einer Umfrage am stärksten mit einer zweiten Trump-Amtszeit verbinden. „Vergeltung“, „Macht“ und „Diktatur“ sind die häufigsten Antworten. Normale Politiker:innen würden sich grämen. Trump scheint sein Image zu gefallen.
Seit Monaten schwört der Mann, der vor drei Jahren einen Putschversuch inszenierte und nun mit aller Macht zurück ins Weiße Haus drängt, seinen Kritikerinnen und Kritikern unerbittliche Rache. Seine Gegner:innen diffamiert er als „Ungeziefer“. Seinem einstigen Generalstabschef Mark Milley droht er mit der Todesstrafe. Und was der Ex-Präsident ganz generell von demokratischen Institutionen und Gesetzen hält, demonstriert er derzeit eindrücklich bei seinem Betrugsprozess in New York. „In God We Trust“, steht da ehrfürchtig an der Wand des Gerichtssaals 300, wo ein gewisser Donald J. Trump aus West Palm Beach als Zeuge vernommen wird. Doch der denkt gar nicht daran, die Fragen höflich zu beantworten. „Eine Schande ist das“, pöbelt er und zeigt auf den Richter: „Der Betrüger ist er, nicht ich!“
Immer ernsthafter wird deshalb in den USA ein dramatisches Szenario diskutiert, das lange komplett undenkbar schien: Der Untergang der stolzen US-amerikanischen Demokratie. „Eine Trump-Diktatur ist zunehmend unausweichlich“, schlug Robert Kagan, einer der bedeutendsten Neokonservativen, kürzlich in der „Washington Post“ Alarm. „Wir schlafwandeln in eine Diktatur“, warnt auch Liz Cheney, die ehemals dritthöchste Republikanerin im Repräsentantenhaus. Die Abonnent:innen des Intellektuellen-Magazins „The Atlantic“ fanden zum Jahreswechsel ein monothematisches Heft mit schockrotem Cover und dem Titel „Falls Trump gewinnt“ in ihren Briefkästen. Über dem Leitartikel steht: „Eine Warnung“. Und drei frühere enge Mitarbeiterinnen des Ex-Präsidenten mahnten jetzt laut britischem „Guardian“ eindringlich, bei einer Wiederwahl Trumps drohe „das Ende der US-Demokratie, wie wir sie bisher kennen“.
Noch sind die Vereinigten Staaten von Amerika nicht verloren. Elf Monate verbleiben bis zu den Präsidentschaftswahlen – in der Politik eine kleine Ewigkeit. Bislang ist Trump nicht zum Kandidaten gekürt. Und Umfragen lagen in der Vergangenheit oft daneben. Dennoch mahnen auch abwägende Beobachter wie Jeff Rathke, der zweieinhalb Jahrzehnte im diplomatischen Dienst der USA stand und nun das American-German Institute (AGI) in Washington leitet: „Dass Trump die realistische Chance auf eine Rückkehr ins Weiße Haus hat, kann man nicht bestreiten.“
Tatsächlich wird der Weg dorthin immer kürzer. In zwei Wochen schon starten im Bundesstaat Iowa die republikanischen Vorwahlen, bei denen der Präsidentschaftskandidat der Partei gekürt wird. Bundesweit kann Trump bei Umfragen derzeit rund 60 Prozent der Republikaner-Wähler:innen hinter sich versammeln, seine wichtigsten Herausforderer:innen Nikki Haley und Ron DeSantis kämpfen mit jeweils rund elf Prozent um den zweiten Platz. In Iowa sind die Konkurrent:innen etwas stärker. Aber auch hier liegt der Ex-Präsident mit mindestens 30 Punkten Abstand vorn.
Offiziell wählen die Republikaner ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin erst auf einem Parteitag Mitte Juli in Milwaukee. Aber wenn Haley oder DeSantis in den Wochen nach Iowa bei den Primaries in New Hampshire und South Carolina nicht noch ein Sensationserfolg gelingt, könnte Trump schon Anfang März die erforderlichen Delegiertenstimmen beisammen haben. Dann käme es im November zu einer Neuauflage des Duells mit Joe Biden von 2020. In den aktuellen Umfragen liegt Trump dieses Mal knapp vorne.
Wer wissen will, was ein Wahlsieg des Rechtspopulisten für die USA und den Rest der Welt bedeuten würde, der muss ihm nur bei seinen Kundgebungen zuschauen. Dort zeichnet der Politiker ein dystopisches Bild des Landes, das von Linksradikalen und Marxisten zugrundegerichtet wird, verspricht Recht und Ordnung und wettert gegen Rassismus-kritischen Unterricht und Transidentitäten. Im Zentrum aber steht Trumps Selbst-Stilisierung zum Opfer einer monströsen politischen Intrige. Seine vier Anklagen vor Gericht wegen 91 mutmaßlicher Straftaten haben seiner Popularität bei Hardcore-Fans nicht geschadet. Im Gegenteil. Für sie ist Trump nun ein Märtyrer: „Unsere Feinde wollen mir meine Freiheit wegnehmen, weil ich niemals zulassen werde, dass sie Euch Eure Freiheit wegnehmen“, fabuliert er. Die Menge jubelt.
Außenpolitisch würde Trump in einer zweiten Amtszeit seine America-First-Politik knallhart durchziehen. Dass er die Militärhilfen für die Ukraine beenden und die Nato-Mitgliedschaft der USA beenden würde, hat er unmissverständlich angekündigt. Die Folgen wären in beiden Fällen fatal. Doch die enorme Gefahr für die Alliierten beginnt schon viel früher: „Trump muss gar nicht aus der Nato austreten, um das Bündnis auszuhöhlen“, warnt AGI-Chef Rathke gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die zentrale Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 sei nämlich nur so lange effektiv, wie Russland oder andere daran glauben, dass die USA und ihre Verbündeten einem angegriffenen Alliierten bedingungslos militärisch zur Seite stehen würden. Ein einziger Tweet von Trump könnte das beenden: „Wenn man den amerikanischen Beistand offen in Frage stellt, ist die Abschreckungswirkung der Nato von vorneherein halbiert.“
Nicht nur Rathke hegt Zweifel, dass Europa auf einen Trump-Sieg hinreichend vorbereitet ist. Tatsächlich nähren die Äußerungen führender deutscher Politiker:innen den Verdacht, dass in Berlin der Ernst der Lage nicht erkannt oder bewusst schöngeredet wird. Trump werde sich im Amt schon mäßigen, die Institutionen würden ihn bremsen, und keineswegs alle republikanischen Politiker:innen seien auf seiner Linie, bekommt man sinngemäß immer wieder zu hören – wie Anfang 2017 nach seinem ersten Wahlsieg.
Doch eine zweite Amtszeit des Rechtspopulisten dürfte die erste wie ein Wohlfühlbad erscheinen lassen. Damals hatte sich der einstige Reality-TV-Star mit Generälen und Geschäftsleuten aus dem Establishment umgeben. Sein konkretes Regierungshandeln wurde entweder von diesen Figuren abgebremst oder von Drama, Inkompetenz und Chaos überlagert. Das wäre diesmal anders: Seit Monaten wird bei der rechten Denkfabrik Heritage unter dem Namen „Project 2025“ der Machtwechsel generalstabsmäßig vorbereitet. Eine 887-seitige Blaupause zum „Abriss des Tiefen Staats“ steht im Netz. Gleichzeitig werden „konservative Krieger“ gesucht und durchleuchtet, damit Trump bei der geplanten Mega-Säuberungsaktion der Ministerien rund 50 000 Staatsdiener:innen gegen linientreue Gefolgsleute austauschen kann. Sein Kabinett wird nur aus hyperloyalen Vertrauten bestehen.
Aus seiner Verachtung für die Demokratie macht Trump keinen Hehl. Anfang Dezember saß er beim rechten Fernsehsender Fox News. Moderator Sean Hannity, ein glühender Fan, wollte offensichtlich das zweifelhafte Autokraten-Image seines Gastes aufpolieren. „Versprechen Sie, dass Sie ihre Macht nicht zur Vergeltung gegen irgendjemanden einsetzen werden?“, fragte er. Die Antwort für einen Präsidentschaftsbewerber schien klar. Tatsächlich nickte Trump zunächst. Doch dann schoss sein Zeigefinger in die Höhe: „Außer am ersten Tag!“ Das Publikum lachte.
Bei seinen Wahlkampfauftritten zeigt sich der Demagoge noch enthemmter. „Wir werden die Kommunisten, Faschisten und linksradikalen Gangster ausrotten, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben“, zeterte er Mitte November bei einer Rede in New Hampshire in entmenschlichendem Nazi-Vokabular. Wenige Tage vor Weihnachten eskalierte er seine Rhetorik noch weiter. In direkter Anlehnung an Adolf Hitlers Rassenideologie warnte er vor den Einwandernden aus Lateinamerika: „Sie vergiften das Blut unseres Landes.“ Die Grenze vom üblichen autoritären Gepöbel zur faschistischen Propaganda war damit überschritten. Doch Trumps Umfragewerte steigen.
Nur wenige republikanische Politiker:innen trauen sich, gegen den haushohen Favoriten für die Präsidentschaftskandidatur aufzustehen. Von den direkten Wettbewerber:innen übt alleine der mit drei oder vier Prozent abgeschlagene Ex-Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, offen Kritik. Die Fraktion im Repräsentantenhaus ist längst zur Trump-Sekte mutiert, der altersschwache Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, ist verstummt.
So kommt es, dass ausgerechnet die erzkonservative Ex-Abgeordnete Liz Cheney, die den Irak-Krieg ihres Vaters Dick unterstützte, 2016 und 2020 für Trump stimmte und als Mitglied der Fraktionsführung seine Gesetze durchdrückte, zur lautesten Mahnerin aufgestiegen ist. Ihre Arbeit als Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Kapitolsturm vom 6. Januar 2021 hat der 57-Jährigen die Augen geöffnet.
„Es gibt keine Grauzone. Wer die Verfassung achtet, der kann Trump nicht unterstützen“, erklärt Cheney apodiktisch. Rund 750 Menschen sind an einem Abend im Dezember zur ausverkauften Vorstellung ihres Buches in eine ehemalige Synagoge in Washington gekommen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind ungewöhnlich hoch. Drinnen im Saal hat Cheney ein Heimspiel: Mehr als 90 Prozent der Bürger:innen der Hauptstadt haben für Biden gestimmt. Doch ihre Botschaft ist alarmierend auch für Liberale, die sich mit dem Gedanken trösten, Parlament oder Gerichte würden einen Präsidenten Trump vom Schlimmsten abhalten.
„Eine der wichtigsten Lehren des 6. Januar ist, dass sich Amerikas Institutionen nicht selbst verteidigen“, mahnt Cheney: „Sie brauchen Menschen, die das tun.“ Es klingt, als habe die Republikanerin ernste Zweifel, dass das US-System der „checks and balances“ (Gewaltenteilung) dem Anführer ihrer Partei standhalten würde.