Wednesday, January 10, 2024

Axel Schäfer: »Es geht um die Existenz der SPD«

DER SPIEGEL Axel Schäfer: »Es geht um die Existenz der SPD« Artikel von Christian Teevs • 2 Std. In der SPD wächst der Frust über die Ampel. Vor der Fraktionsklausur findet ein altgedienter Genosse harte Worte: Vor einer so komplexen Situation habe die Partei noch nie gestanden. Am Donnerstag beginnt die Klausur der SPD-Bundestagsfraktion, der Bochumer Abgeordnete Axel Schäfer äußert im Vorfeld seine Befürchtungen, was den Zustand der Partei betrifft. »Es geht heute um die Existenz der SPD als Mitgliederpartei und als mehrheitsfähige und mehrheitswillige Kraft in unserem Land«, heißt es in einem vierseitigen Schreiben Schäfers an die Fraktion, das dem SPIEGEL vorliegt. Und weiter: »Vor einer solchen Situation haben wir noch nie gestanden.« Schonungslos analysiert der erfahrene Abgeordnete die Lage seiner Partei, die in Umfragen auf 14 bis 16 Prozent abgerutscht ist. Der Zufriedenheit der Bürger mit ihrem eigenen Leben stehe eine »kaum fassbare Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik gegenüber«. Schäfer warnt: »GdL-Streiks, Bauernproteste, ›Umsturzfantasien‹ gegen die Regierung könnten zu einer gefährlichen Mischung werden.« »Defensive, teilweise falsche Kommunikation« Der SPD-Abgeordnete nennt vier Gründe für die Misere: Wesentlich seien »eigene Fehler im Regierungshandeln und die offenen täglichen Streitigkeiten in der Ampel, verbunden mit Infragestellen von Kompromissen, die man gerade unter drei Partnern noch eingegangen« sei. Seit der gescheiterten Abstimmung zur Impfpflicht sei Grünen und FDP klar, »dass die SPD über keine Eskalationsdominanz verfügt«. »Dazu kommt die defensive, teilweise falsche Kommunikation unsererseits.« Die SPD habe nicht einmal versucht, der Koalition ein Image als »fleißigste Regierung in den schwersten aller Zeiten« zu geben. Dabei gäbe es dafür viele Argumente. Auch deshalb hätten die Union, die AfD und Sahra Wagenknecht es geschafft, das Label von der »schlechtesten Regierung aller Zeiten« bei vielen Menschen zu transportieren. Dazu komme »eine schleichende Radikalisierung der Mitte«. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg drohe die AfD stärkste Partei bei den Landtagswahlen zu werden. Die Maßlosigkeit der Kritik sei besorgniserregend, schreibt Schäfer. Er spricht von einer Kampagne der »Bild«-Zeitung, »die an Hetze der Springerpresse vor Jahrzehnten erinnert«. Es gelte, klaren Kopf zu behalten: »Neuwahlen können weder die ›Bild‹-Zeitung herbeischreiben noch Wutbürger herbei schreien. Olaf Scholz hat eine sichere Mehrheit im Parlament, und alle Abstimmungen wurden gewonnen.« Schäfer zitiert aus dem Lied »Der Weg« von Herbert Grönemeyer: »Wir haben versucht, auf der Schussfahrt zu wenden.« Das werde auch die Aufgabe der Ampel in diesem Jahr sein, »weil es abwärts geht: Die SPD, die Regierung und die Demokratie stehen unter enormem Druck.« Abgeordnete erwarten Aussprache mit Scholz Er wünscht sich, dass sich der Kanzler und alle SPD-Abgeordneten am Europawahlkampf beteiligen. Dabei starte die SPD »unter den schlechtesten Bedingungen, die wir je hatten: Weder in der Partei- noch in der Fraktions-Führung sind seit 2018 ernsthafte Anstrengungen unternommen worden, europäische Politik in den Alltag der Arbeit einzubeziehen.« Beim Parteitag im Dezember sei die Beratung der Europapolitik »auf dem Tiefpunkt der Bedeutung angekommen: Ganz am Ende der Tagesordnung und dann verschoben«. Auf der Schussfahrt zu wenden – das sei ein Bild aus dem alpinen Sport, so Schäfer. Wenden könne man auf der Piste nur, »wenn man den Berg wieder mühsam hinaufkraxelt – oder den Sessellift nimmt«. In der Politik gebe es keinen Sessellift zur Macht. »Wir werden viele Schritte nach oben gehen müssen«, schreibt Schäfer. Ab Donnerstagmittag trifft sich Schäfer mit seinen 206 Kolleginnen und Kollegen zur zweitägigen Klausur im Otto-Wels-Saal des Reichstagsgebäudes. Mit Spannung erwarten die Genossen vor allem den vierten Tagesordnungspunkt. Ab 16.30 Uhr stellt sich der Kanzler einer Aussprache mit der Fraktion.