Tuesday, January 16, 2024
20 Milliarden für einen Schuldenberg: Kauft Deutschland sein Stromnetz zurück?
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20 Milliarden für einen Schuldenberg: Kauft Deutschland sein Stromnetz zurück?
Artikel von Tobias Stahl •
5 Std.
Deutschland diskutiert aktuell mit dem niederländischen Netzbetreiber Tennet über den Rückkauf des deutschen Tennet-Stromnetzes.
Schon seit Herbst 2022 diskutiert der staatliche niederländische Netzbetreiber Tennet mit der deutschen Bundesregierung über ein milliardenschweres Geschäft. Tennet möchte seine deutschen Geschäftsaktivitäten an Deutschland zurückverkaufen. Es geht um knapp 14.000 Kilometer Stromleitungen, die laut einem Bericht der Franfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) bis 2010 im Besitz des Düsseldorfer Versorgers E.on waren.
Die Niederlande möchten ihre deutschen Geschäftsaktivitäten verkaufen, weil das Geschäft einerseits dringend benötigtes Geld für den Ausbau des überlasteten niederländischen Netzes einbrächte. Andererseits würde es die Niederlande vom hohen Investitionsbedarf in den deutschen Teil der Stromnetze befreien. Der Wert der Transaktion soll laut Insidern bei rund 20 Milliarden Euro liegen.
Klimafonds-Urteil des Bundesverfassungsgerichts erschwert den Deal
Eigentlich sollte das Geschäft schon im Oktober vergangenen Jahres über die Bühne gehen. Drei mit der Angelegenheit vertraute Personen erklärten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass der Deal mit hohem Tempo abgeschlossen werden soll, weil dann das niederländische Parlament in die Pause gehe. Anderenfalls könnten die zum 22. November angesetzten Wahlen in den Niederlanden und der mögliche Regierungswechsel die Gespräche verzögern, heißt es.
Bislang ist das jedoch nicht passiert. Stattdessen diskutiert das geschäftsführende Kabinett in Den Haag laut FAZ einen Kredit über 25 Milliarden Euro, der zur Verfügung gestellt werden soll, um Investitionen zu sichern. Der Kredit werde einerseits dezidiert als Überbrückungskredit dargestellt, "in Erwartung des Ergebnisses der Verhandlungen über den Verkauf von Tennet Deutschland an den deutschen Staat", zitiert die FAZ das niederländische Finanzministerium. Tennet brauche die Mittel dringend bis zum Ende des ersten Quartals, so der kommissarische niederländische Finanzminister Steven van Weyenberg. Andererseits wappnet man sich in Den Haag auch für ein mögliches Scheitern der Verhandlungen.
Das Zögern rühre dabei inzwischen von deutscher Seite her. Das Urteil des Verfassungsgerichts zum Klimafonds erschwert die Verhandlungen. "Wenn 60 Milliarden Euro fehlen: Hält Berlin dann an dem Kauf noch fest?", zitiert die FAZ aus niederländischen Regierungskreisen. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium habe dies damals bejaht. Das Urteil des Verfassungsgerichts erschwere eine Kaufentscheidung aber erheblich, erklärten Personen, die mit den Verhandlungen vertraut waren, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Der Deal ist für die Niederlande und Deutschland gleichermaßen wichtig
Laut einem Bericht der Wirtschaftswoche von September 2023 läge der geplante Eigenkapitalanteil eines Deals jedoch nur bei etwa einem Fünftel des Unternehmenswerts. Die Summe, die über die staatliche Förderbank KfW beschafft werden soll, liege also lediglich im mittleren einstelligen Milliardenbereich. Die Aufnahme der Mittel über die KfW würde außerdem bedeuten, dass man die deutsche Schuldenbremse umgehen könne. Die deutschen Aktivitäten der Tennet sind mit über 21 Milliarden an Verbindlichkeiten belastet. Eine Einigung sei jedoch keine ausgemachte Sache, zitiert die Wirtschaftswoche Insider. Der Deal könne immer noch scheitern.
Für Deutschland und die Bundesregierung ist der deutsche Teil von Tennet ein zentrales Element der Energiewende. Das Netz ist dringend investitionsbedürftig, allerdings können die notwendigen Investitionen von den derzeitigen niederländischen Eigentümern nach Ansicht zahlreicher Experten nicht gestemmt werden. Das Stromnetz muss allerdings überholt werden, wenn Deutschland bis 2045 Klimaneutralität erreichen will: Anders kann die wichtige Offshore-Windproduktion im Norden nicht mit den Industriestandorten im Süden Deutschlands verbunden werden.