Monday, September 4, 2023
Haushalt: Christian Lindner plant massive Kürzungen – der Überblick
DER SPIEGEL
Haushalt: Christian Lindner plant massive Kürzungen – der Überblick
Artikel von Marc Röhlig •
46 Min.
Demokratieförderung, Radwege, Pflege, Elterngeld – Finanzminister Lindner will die Schuldenbremse einhalten. Das bedeutet auch: an vielen Stellen fließt künftig weniger Geld. Der Überblick.
Im Bundestag beginnt die erste Sitzungswoche nach der Sommerpause – und auf dem Programm steht die erste Lesung zum Haushaltsentwurf für 2024. Mit einer Neuverschuldung von 16,6 Milliarden Euro will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach Jahren krisenbedingter Ausnahmen die Schuldenbremse das zweite Jahr in Folge einhalten. Das bedeutet auch: Einschnitte, Kürzungen, Einsparungen.
Lindner hatte den Ressorts generelle Sparvorgaben übermittelt, doch an den Kürzungen gibt es teils heftige Kritik. Die Linke, aber auch Grüne und Sozialdemokraten werfen Lindner vor, sich gegen Steuererhöhungen, zum Beispiel bei Besserverdienenden, zu sperren, um so den Haushalt zu stemmen. Die Haushaltsdebatte im Bundestag dauert bis Freitag. Der Etat soll im Dezember verabschiedet werden.
Hier plant Lindner Kürzungen
Der Bundeszuschuss für die gesetzliche Pflegeversicherung soll komplett entfallen. Um dennoch Leistungskürzungen zu vermeiden, werden in gleicher Höhe Zahlungen in den Vorsorgefonds vermieden, der eigentlich für langfristige Beitragsstabilität sorgen soll. Zudem dürften Mehrkosten etwa aktuell durch die Anhebung des Pflege-Mindestlohns die ohnehin hohen Eigenanteile der Pflegebedürftigen weiter in die Höhe treiben.
Gekürzt wird auch der Bundeszuschuss für die Rentenkassen. Zwar gibt es dort noch Rücklagen, auch diese hätten jedoch eigentlich dazu beitragen sollen, Beiträge länger stabil zu halten. Der Zuschuss für die Krankenkassen bleibt zwar formal stabil. Da es hier in den vergangenen Jahren aber Sonderzuschüsse gab, steht den Krankenkassen tatsächlich weniger Geld zur Verfügung. Zudem werden Kosten aus dem Bundeshaushalt zur Bundesagentur für Arbeit verschoben.
Beim Elterngeld wird die Einkommensgrenze, bis zu der die Leistung gezahlt wird, auf 150.000 Euro halbiert. Der Wert für Alleinerziehende bleibt auf dieser Höhe. Das Finanzressort hatte stattdessen Leistungskürzungen ins Gespräch gebracht, die so aber vermieden werden.
Nominal kleiner wird der Etat des Entwicklungsministeriums. Allerdings argumentiert die Regierung, dass dort mehr Ausgaben eingeplant sind als ursprünglich in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen. Für humanitäre Krisenhilfe steht jedoch weniger Geld zur Verfügung.
Auch an vielen »kleinen« Posten soll gespart werden: So fehlen Mittel für Freiwilligendienste, wodurch tausende Stellen wegfallen könnten, für Beratungsstellen für Geflüchtete, die Förderung neuer Radwege sowie für das Programm »Demokratie leben« zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen. Sogar Sachmittel für Polizei und Nachrichtendienste sowie für Digitalisierungsprojekte werden zusammengestrichen. Zusätzliches Personal soll es generell nicht geben.
Es gibt jedoch auch Posten, die vom Spardiktat verschont werden – der Verteidigungshaushalt beispielsweise. Gleichwohl reicht das Geld im Wehretat nicht aus, um den von Ressortchef Boris Pistorius (SPD) angemeldeten Bedarf zu decken. Zwar werden Lücken teilweise mit Geld aus dem Bundeswehr-Sondervermögen geschlossen, dieses war jedoch eigentlich für größere, zusätzliche Investitionen vorgesehen. Auch die dauerhafte Umsetzung der Zwei-Prozent-Quote der Nato ist finanziell bislang nicht gesichert.
Formal stabil bleibt auch die Bafög-Ausbildungsförderung. Eigentlich geplante Reformen sind damit jedoch ebenso zunächst vom Tisch wie ein Ausgleich der hohen Inflation. Keine Änderung soll es auch bei den bislang zugesagten Mitteln des Bundes für das Deutschlandticket geben. Länder und Kommunen verweisen jedoch auf steigende Kosten und fordern für die Zusatzausgaben eine hälftige Beteiligung des Bundes.
Festhalten will Lindner auch am Aufbau eines Kapitalstocks für die von ihm geplante Aktienrente. Nach zehn Milliarden Euro im laufenden Jahr will der Finanzminister die Einzahlungen in den kommenden Jahren steigern. Dies erfolgt auf Kredit, was nicht auf die Schuldenbremse angerechnet wird, weil den Schulden ein Kapitalaufbau gegenübersteht.
Lindner pocht auf die Einhaltung der Schuldenbremse nach den massiven Ausgabenprogrammen in der Coronazeit und infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Zugleich gibt es massive Mehrkosten wegen steigender Zinsen, der hohen Inflation und als Folge relativ hoher Tarifabschlüsse sowie weiterhin durch Kosten wegen des Ukrainekriegs.