Saturday, September 16, 2023

EU „lockert“ Einfuhr-Sanktionen für Russland: An Peinlichkeit nicht zu überbieten

Berliner Zeitung EU „lockert“ Einfuhr-Sanktionen für Russland: An Peinlichkeit nicht zu überbieten Artikel von Liudmila Kotlyarova • 3 Tag(e) Eine Gepäckkontrolle wird am 03.12.2012 im Flughafen von Frankfurt am Main von einer Zollbeamtin durchgeführt. Die Klarstellung der EU-Kommission vom 8. September sorgte für viel Aufruhr. Ja, russische Staatsbürger dürfen laut Sanktionsverordnung gegen Russland Nr. 833/2014 keine Autos zum kommerziellen Zweck in die EU einführen, gab die Behörde bekannt. Auch eine Einfuhr für touristische Zwecke sei untersagt, und zwar nicht nur von Autos, sondern von vielen persönlichen Gegenständen, zu denen auch Handys, Laptops, Reisekoffer und sogar Kosmetik bis hin zum Toilettenpapier gehören, wie die Berliner Zeitung zuvor berichtete. Die Klarstellung war nötig, weil der nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine aktualisierte Text der Sanktionsverordnung einen Spielraum für verschiedene Interpretationen ließ. Bedeutet das Importverbot nur den Handel oder auch die Einfuhr für persönliche Zwecke, zum Beispiel, wenn ein russischer Tourist mit Einreisepapieren vorübergehend nach Deutschland mit seinem Auto einreist und dann ausreist? Ebenfalls für Schlagzeilen sorgten in den letzten Monaten Berichte darüber, dass der deutsche Zoll mehrere private Autos mit russischen Kennzeichen beschlagnahmt habe. Die Behörde argumentierte unter Verweis auf das EU-Dokument damit, dass die Einfuhr von russischen Autos in die EU grundsätzlich verboten sei; Juristen vermuteten jedoch einen Missbrauch der EU-Norm, zudem es einem in Hamburg lebenden Russen gelungen ist, sein Auto zurückzubekommen. Die EU-Kommission schwieg lange dazu, bis die erwähnte Klarstellung am 8. September folge: Ein Explosivstoff und Wasser auf die Mühlen der Großmachtchauvinisten in Moskau, die sich in ihrer Meinung, Europa hasse alles Russische, nun bestätigt fühlen. Weitere Kommentare der EU-Vertreter sorgten für Spott. „Wenn jemand die Grenze überquert und seine Kleidung auf der [Einfuhrverbots-]Liste steht, dann ist klar, dass er die Sanktionen wahrscheinlich nicht umgehen wird, und das muss nicht berücksichtigt werden“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission auf einem Briefing dazu. Ausziehen sollen sich Russen also nicht, aber was tun mit dem Reisekoffer? Diese Verbote betreffen schließlich nicht nur russische Touristen, sondern grundsätzlich auch russische Staatsbürger, die legal in Europa leben und zu ihren Verwandten in Russland reisen – Ausnahmen von den Verboten gelten nach Angaben der EU-Kommission nur für Staatsbürger der EU-Länder und ihre „unmittelbaren Familienangehörigen“. Nun sorgt ein weiterer Schritt der EU-Kommission für Aufsehen. Die Behörde hat am Dienstagabend ein angepasstes Merkblatt für nationale Behörden veröffentlicht. Das kategorische Nein zur Einfuhr anderer persönlicher Gegenstände wurde weggelassen. Sanktionen müssten weit ausgelegt werden, um deren Wirksamkeit sicherzustellen und die Umgehung zu vermeiden, argumentiert die Behörde und schlägt nationalen Behörden als Kompromiss vor, sich vor allem auf die Autos zu konzentrieren. „Kraftfahrzeuge sind eine Warenkategorie, die anfällig für Umgehungen ist, weshalb die zuständigen nationalen Behörden ihnen besondere Aufmerksamkeit widmen müssen“. Weiter heißt es: „Für Waren, bei denen nur geringfügige Bedenken hinsichtlich einer Umgehung bestehen, wie z. B. persönliche Hygieneartikel oder Kleidung, die Reisende tragen oder in ihrem Gepäck enthalten und die eindeutig für den rein persönlichen Gebrauch während ihrer Reise bestimmt sind, sollten die zuständigen nationalen Behörden das Verbot in verhältnismäßiger und angemessener Weise anwenden.“ Das neue Merkblatt gilt also wohl als offizielle Erlaubnis für die Zollbehörden, die harten Einreisekontrollen etwas zu lockern. Doch grundsätzliche Verbote für persönliche Gegenstände bleiben. Dieses ständige Hin und Her sorgt für den Eindruck, dass die EU-Behörden wahrscheinlich selbst nicht wissen, wie sie ihre Sanktionen durchsetzen müssen. Die Verordnung bleibt so formuliert, dass jeder sie interpretieren kann, wie er will. „Es scheint so, dass die Eltern meiner russischen Frau nicht mal über die Türkei normal reisen können, wenn es Koffer und Handys weggenommen werden“, schrieb ein besorgter Deutscher der Berliner Zeitung am Dienstag. „Meine Frau will jetzt auswandern. Es können Familien, wie unsere zerrissen werden.“ Ob der Gesetzgeber das als Ziel hatte oder es ein Nebeneffekt ist, erscheine ihm fragwürdig. Dass jeder gesetzestreue Russe sich dreimal überlegen soll, was er in die EU mitnimmt, zeigt auch die Antwort des deutschen Zolls. Die Berliner Zeitung wollte wissen, wie viele private Autos aus Russland bisher beschlagnahmt wurden. Auf diese Fragen ging der deutsche Zoll nicht ein – man führe dazu keine gesonderten Statistiken, erwiderte die Generalzolldirektion am Dienstagnachmittag. Die Behörde erinnert, dass EU-Verordnung Nr. 833/2014 „ein verbindlicher Rechtsakt“ sei, den die Mitgliedstaaten der EU „vollständig umsetzen müssen“, und behält sich das Recht vor, alle betroffenen Gegenstände zu konfiszieren. Auf die erneute Nachfrage der Berliner Zeitung, ob die Russen damit auch bei privaten Handys oder Laptops rechnen müssen, verwies die Generalzolldirektion erneut auf die Liste der zur Einfuhr verbotenen Waren. Zuständige Staatsanwaltschaften könnten zudem Ermittlungen aufnehmen, wenn Bezug auf mögliche strafrechtlich relevante Verstöße obliege, legte sie nach. Die Erklärungen der EU haben bereits rechtliche Folgen auf nationaler Ebene. Litauen und Lettland haben am Dienstag als erste EU-Länder zusätzlich zur EU-Sanktionsverordnung die Einfuhr aller russischen Autos verboten. Ausnahmen gelten lediglich für den Transit der russischen Lkw nach Kaliningrad.