Saturday, September 16, 2023

Berliner (48) war lange für die Grünen: „Warum ich auch die AfD wählen könnte“

Berliner Zeitung Berliner (48) war lange für die Grünen: „Warum ich auch die AfD wählen könnte“ Artikel von Alexander Schmidt* • 16 Std. Menschen entspannen sich bei den Gärten auf dem Tempelhofer Feld. Kürzlich las ich, dass Deutschland seinen fünften Platz in der Liste der stärksten Volkswirtschaften der Weltbank an Russland verloren hat. Ich musste unwillkürlich schmunzeln und fragte mich, wie es dazu kommen konnte und mit wem „Wladimir“ schlafen musste, um das zu erreichen. Ich habe mir vorgestellt, wie Deutschland vielleicht bei einem internationalen Wirtschaftswettbewerb mit einem riesigen „Made in Germany“-Schild stand und dann plötzlich von einem russischen Bären umgeschubst wurde. Aber ganz gleich, was in diesen Listen, Umfragen und Rankings stet: Ein Otto Normalverbraucher, der täglich einkaufen geht, weiß selbst, wie die Preise zuletzt explodiert sind. Man muss auch keine langen Analysen lesen, um einzusehen: Deutschland steigt ab. Dieser Abstieg ist keineswegs überraschend. Experten hatten bereits im Vorfeld davor gewarnt, doch scheinbar half nichts – wir machten einfach so weiter. Die Liste der Fehler der Volksparteien ist lang, und es ist fast selbstverständlich, dass wir in dieser wirtschaftlichen Schieflage stecken. Natürlich ist dann auch der Aufstieg einer Partei wie der AfD verständlich. Doch bevor wir über die Gründe für ihren Aufstieg sprechen, lasst mich etwas über mich erzählen. Ich kam Anfang der Neunzigerjahre mit meiner recht konservativen Familie aus der Sowjetunion nach Deutschland. Meine Mutter ist Russin, mein Vater, ein „waschechter Deutscher“, wurde in einem sowjetischen Arbeitslager in einer deutschen Familie geboren und verbrachte die Hälfte seines Lebens damit, seine deutsche Identität mit den Folgen des Nationalsozialismus und dem sowjetischen Multikulturalismus in Einklang zu bringen – womit er genauso erfolgreich war wie ein Jongleur mit einem Ei. Natürlich wurden wir, wie alle Russlanddeutschen, politisch bei der Christlich Demokratischen Union (CDU) angesiedelt. Mein Interesse an der Politik entwickelte sich erst gegen Ende der Neunzigerjahre. Im Vergleich zu meiner Familie war ich mehr von der Politik der Sozialdemokraten angezogen, aber ihre Spießigkeit konnte ich nicht ignorieren. Deshalb wandte ich mich den Grünen zu. Ja, ich war stolz darauf, grün zu sein – grün zu denken und, ja, grün zu wählen. Das war eine Mischung aus Protest, linken Ideen und Umweltbewusstsein, was damals noch als äußerst progressiv galt. Das hat mich inspiriert, man könnte sagen, das war „das grüne Ich“. Mit der Zeit wurde diese Bewegung jedoch zu einer Art „Ironie der Geschichte“ und verblasste wie ein schlecht gelüfteter Raum. Es wurde zu einer Imitation, die nach Staub roch. Was ich damit meine? Nun, man kann über das Mobilitätsgesetz sprechen, das im Grunde genommen eine großartige Initiative ist. Aber die Umsetzung führt in Berlin zu so vielen Staus, dass es weder im Interesse der Berliner noch im Interesse des Klimaschutzes liegt. Es ist so, als würden wir versuchen, einen Marathon auf einem überfüllten Bürgersteig zu laufen, und niemand gewinnt dabei. Und was die Fahrradwege betrifft, die geschützten Radfahrstreifen fühlen sich auf den Fahrradwegen manchmal eher so an, als würden sie für Radfahrer mehr Gefahr darstellen als die Autos. Und was ist mit dem Lausitzer Platz in Kreuzberg? Die Straßenabsperrungen haben nicht zu mehr Lebensqualität geführt, sondern eher zu einem Labyrinth, das an eine Hochsicherheitszone erinnert. Manche Straßeneinfahrten sind mit massiven Stellbolzen gesperrt, als ob sie den Eingang zu einem Geheimversteck schützen würden. Gleichzeitig haben Drogendealer und Obdachlose Zeltstädte errichtet, als wären sie zu einem ewigen Straßenfest eingeladen. Ich frage mich manchmal, ob diejenigen, die solche Ideen ausbrüten, einen Crashkurs in Prioritätenmanagement nötig hätten. In solchen Stadtvierteln sollte Kriminalitätsbekämpfung ganz oben auf der Liste stehen, bevor wir uns auf die Jagd nach den „schlimmsten Verbrechern in der Autofahrerwelt“ begeben. Und nicht zu vergessen ist die Diffamierung Andersdenkender, die während der Corona-Pandemie ihren Höhepunkt erreichte und während des Ukrainekrieges weiterhin besteht. Ja, und dass Initiativen wie das Berliner Register, die ein Klima der Verdächtigung und des Misstrauens schaffen, letztendlich zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. Die Initiative wurde zwar nicht von der Regierung ins Leben gerufen, spiegelt für mich jedoch alles wider, wofür die heutige Ampel-Koalition steht. Tatsächlich könnte man sagen, dass das, was in Berlin passiert, auch auf Bundesebene stattfindet. All das ließ mich spüren, dass Veränderungen notwendig sind. Aber ich fürchte, mit den etablierten Parteien wird kaum etwas Neues passieren. Daher begann ich, über Alternativen nachzudenken. Die Auswahl ist begrenzt – es gibt Parteien wie „Die Basis“ oder „die Partei“ und natürlich die AfD, die wie keine Deutschland spaltet. Zuerst war ich schockiert, als ich merkte, dass ich in Erwägung gezogen hatte, sie zu wählen. Ja, genau, schockiert von mir selbst, denn die Art und Weise, wie die AfD bisher versucht hat, rechtsextreme Gesinnungen aufzuarbeiten, ist keineswegs überzeugend. Es sind noch zwei Jahre bis zur Bundestagswahl, also habe ich Zeit zu entscheiden, welcher Partei ich meine Stimme geben werde. Ich glaube, dass unter anderen die Punkte, die ich oben erwähnt habe, dazu beitragen, dass sich die Menschen von den Volksparteien entfernen und über Alternativen nachdenken. Welche Partei wird die Funken der Inspiration erneut entzünden und die Bürger ermutigen, gemeinsam unser Land zu gestalten? Welche Partei endlich die notwendigen Reformen für Deutschland umsetzen wird, werden wir sehen. Ich bezweifle, dass die AfD dazu in der Lage ist, aber es ist wichtig, den etablierten Parteien eine klare Botschaft zu senden: SO KANN ES NICHT WEITERGEHEN! Wie werden sie diese Botschaft sonst verstehen, wenn sie weiterhin an der Macht bleiben?