Tuesday, September 12, 2023
Eine Analyse von Ulrich Reitz - Ampel bekommt doppeltes Lob – der Bürger wird dabei einfach ignoriert
FOCUS online
Eine Analyse von Ulrich Reitz - Ampel bekommt doppeltes Lob – der Bürger wird dabei einfach ignoriert
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz •
48 Min.
Die Ampel verabschiedet viele Gesetze, lobt die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie. Sie regiert „am Limit“, sagt eine ARD-Doku. Aber noch nie hatte eine Regierung schlechtere Umfragen. Wenn Bürger und Experten so unterschiedlicher Meinung sind - wer hat recht?
Noch nie hatte eine Bundesregierung nach ihrer ersten Halbzeit so schlechte Akzeptanz-Zahlen. Angefangen vom Bundeskanzler, dem eine Mehrheit der Bevölkerung die von ihm selbst behauptete Führung nicht mehr abnimmt. Große Gesetzesvorhaben sind umstritten oder werden, wie das Heizungsgesetz, von der Bevölkerungsmehrheit für übergriffig gehalten. Doch jetzt kommt Erleichterung für die Ampel. Eine politische Entlastung gleich von zwei Seiten.
Lob von Studie und ARD-Doku
Fall Eins: „Koalition setzt trotz Streits viele Versprechen um“, lautet die Schlagzeile über einer Bertelsmann-Studie. Die Erläuterung: „Zur Halbzeit dieser Legislaturperiode hat die Ampel bereits zwei Drittel (64 Prozent) ihres ambitionierten Koalitionsvertrags entweder umgesetzt (38 Prozent) oder mit der Umsetzung ihres Vertrages begonnen (26 Prozent).“ In absoluten Zahlen habe die amtierende Regierung sogar mehr umgesetzt als ihre Vorgängerin.
Fall Zwei: Mit „Ernstfall – Regieren am Limit“ hat der Dokumentarfilmer Stefan Lamby der Ampelregierung, vor allem ihrem grünen Teil, und hier Robert Habeck und Annalena Baerbock, ein Heldenepos geschenkt. Eine Regierungs-Bestätigungserzählung. Zwei Jahre Mitfliegen im Regierungsjet – eine derartige Nähe hat sich auch auf die Richtung dieser ARD-Dokumentation ausgewirkt. Gezeigt wird eine Regierung im Ausnahmezustand. Verzichtet wird auf die Dokumentation einer Bevölkerung im Ausnahmezustand – als Folge dieser Regierung an deren Limit.
Keine differenzierte Auseinandersetzung mit Ukraine
Zum Fall Eins, Bertelsmann: Angesichts unseres politischen Systems, das auf Wahlen basiert: Was ist wohl wichtiger, die Gesetzesarbeit der Bundesregierung oder das Urteil der Bürger darüber? Abgesehen davon hat es auch etwas Bevormundendes, der Regierung gute Arbeit zu bescheinigen, der Bevölkerung aber mittelbar ein mangelndes Verständnis derselben.
Zum Fall zwei: Lambys Dokumentation ist nicht einmal eine zutreffende Ausleuchtung dessen, was ist. Es gibt darin keine differenzierte, schon gar keine distanzierte Auseinandersetzung mit dem Ukrainekrieg. Was im deutschen Interesse liegt und was womöglich nicht, erfährt der Zuschauer in diesem Film nicht. Auch nicht, ob oder wie die bevorstehende US-Wahl die Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung beeinflusst. Was nicht heißt, dass es nicht auch erhellende Momente in Lambys Film gäbe.
Einer ist die entwaffnende Antwort von Christian Lindner auf die Frage, wie wahrscheinlich eine Wiederwahl der Ampelkoalition wäre. Das hänge davon ab, ob sie die Wirtschaft nach vorne bringe, sagt der FDP-Finanzminister. Stand jetzt wäre damit das Schicksal dieser Regierung besiegelt. Ältere Zeitgenossen werden sich an das Ende der sozialliberalen Koalition erinnern, an das Lambsdorff-Papier, das der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt den Todesstoß versetzte. Auch damals war für die FDP die Wirtschaft der Maßstab. Wiederholt sich am Ende diese Geschichte gut 40 Jahre später?
Bertelsmann-Stiftung hat Ampel schon mal geholfen
Wer Politik machen will, macht erst einmal Studien. Die Bertelsmann-Stiftung hat es in diesem Metier zur Meisterschaft gebracht. Zuletzt half sie den drei Ampelparteien bei der Wahlrechtsreform, indem sie diese auf den Aspekt der – formalen – Bundestagsverkleinerung reduzierte. Und sich mit der kritischen Begleiterscheinung – der Entwertung von Direktmandaten – gar nicht erst beschäftigte. Die Bertelsmänner hätten auch fragen können, wie die Bürger die partielle Entwertung ihrer Wahlstimmen empfinden. Nun springt die Stiftung der Ampel wieder bei – indem sie zählt, wieviel aus dem Koalitionsvertrag diese Regierung umgesetzt hat. Aber wie aussagekräftig ist das überhaupt?
Die Regierung hat ein Heizungsgesetz gemacht. Das zur weltweiten CO-2-Verringerung wenig beiträgt, aber in den nächsten 20 Jahren viele Milliarden Euro verschlingen wird. Und in die Lebensplanung fast aller Menschen in Deutschland gravierend eingreift – indem es ihr Leben verteuert. Vergessen wird oft, dass die so genannten Entlastungen von den Bürgern selbst bezahlt werden müssen. Denn eine Regierung verfügt nicht über eigenes Geld, sie verwaltet das Steuergeld der Bürger und Unternehmen.
Die Bertelsmann-Stiftung sagt, die Koalition mache durch Streit ihre Leistungsbilanz kaputt. Tatsächlich sind sehr viele Bürger ausweislich aller Umfragen der Meinung, dass die Leistung der Regierung an sich schlecht ist. Die Bürger regen sich vielleicht auf, dass sich Grüne und FDP über das Gebäudeenergiegesetz streiten, noch mehr allerding beschäftigt sie die Frage, wie sie sich die Folgen dieses Gesetzes leisten können.
Ampel hält Versprechen ein - was ist das wert?
Die Regierung ist auch aus der Kernenergie ausgestiegen, wie sie es versprochen hat. Aber womöglich war es unterkomplex, in Zeiten von Gasknappheit und Klimawandel ausgerechnet aus einer CO-2-freien Technologie auszusteigen. Anstatt, wie andere europäische Länder, wieder in die Kernenergie einzusteigen. Auch in die Forschung neuer Atomkraftwerke.
Auch bei der Migration hat die Ampel Versprechen eingehalten. Sie erleichtert die Einwanderung von Fachkräften, sie beendet Kettenduldungen, sie erleichtert die Einbürgerung. Gegen die unkontrollierte Einwanderung über das Asylrecht unternimmt sie allerdings so gut wie nichts – der versprochenen „Rückführungsoffensive“ zum Trotz.
Weil dieser Zusammenhang ignoriert wird: Für die meisten Bürger ist kontrollierte Einwanderung willkommen bis erträglich, unkontrollierte Einwanderung in die Sozialsysteme, wie aktuell Christian Lindner beklagt, aber nicht. Die Menschen sehen, ihre Städte füllen sich mit Migranten, von denen nur jeder Zweite ein Recht hat, sich in Deutschland weiter aufzuhalten. Ihre Freude über die erleichterte Einwanderung anderer ausländischer Gruppen dürfte sich in Grenzen halten.
Gesetze erhöhen Kosten
Lamby argumentiert in seiner Dokumentation, der Ukraine-Krieg habe alles verändert für die Regierung. Das aber ist nur eine Teil-Wahrheit. Die Regierung verändert mit der Migration auch sehr viel, für dieses Jahr zeichnen sich Rekordzahlen ab. Die Regierung löst ein weiteres Versprechen ein – beim Familiennachzug. Und so addieren sich die mehr als 300.000 nicht-ukrainischen Migranten zu den rund 100.000 Familiennachzügen. Versprochen- gehalten - aber: War es ein gutes und nützliches Versprechen?
Aus dem bloßen Abarbeiten eines Koalitionsvertrages auf die Qualität einer Regierung zu schließen, ist nicht einmal wissenschaftlich valide. Es fehlen Kostenabschätzungen, denn so etwas wie ein Gratismahl, ein „free lunch“, gibt es nicht. Es fehlen Aussagen über die sozialen Folgewirkungen, wozu ein verringertes Sicherheitsgefühl gehört. Auch über die Folgekosten, die durch die ungeordnete Migration im Gesundheitswesen entstehen, oder auf dem Wohnungsmarkt, gibt es keine belastbaren Daten.
Andere Gesetze erzeugen womöglich keine materiellen Kosten, dafür aber Immaterielle. Um einer verschwindend geringen Minderheit von Transmenschen auf dem Standesamt ihre Umbenennung zu erleichtern, wird der Mehrheit auferlegt zu glauben, es gebe mehr als zwei biologische Geschlechter und ein jeder könne sein Geschlecht frei wählen.
Ein höheres Bürgergeld mögen die Empfänger dieser Sozialleistung begrüßen, aber lohnt sich für Geringverdiener dann überhaupt noch die Lohnarbeit, fragt nicht nur die Ampelpartei FDP. Die steigenden Sozialkosten, dies an die Adresse von Lamby, haben wenig bis nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun. Sie sind die politisch gewollte Entscheidung einer Regierung, die von zwei sozial-spendablen Parteien, SPD und Grünen, getragen wird.
Schon gar nicht lassen sich Stilfragen mathematisch messen. Ob der Bundeskanzler überzeugen kann oder nicht, hängt nicht am Kanzleretat. Sehr wohl am Haushalt hängt allerding der Neubau des Kanzleramts und die stete Aufstockung von Regierungsbeamten. Vielleicht wäre es eine lohnende Aufgabe für die Bertelsmann-Stiftung, die Bürger nach ihrer Meinung zu dieser Art von Regierungsarbeit zu befragen. Etwa so: Zahlen Sie dem Bundeskanzler gerne sein neues Amtsgebäude?