Monday, September 18, 2023
Ein Rätsel namens Baerbock
Sabine Rennefanz
Ein Rätsel namens Baerbock
Die Undiplomatin
Eine Kolumne von Sabine Rennefanz
Wie effizient ist die Außenministerin? Wessen Interessen vertritt Annalena Baerbock? Während sie in den Beliebtheitsumfragen glänzt, ist ihre inhaltliche Bilanz eher gemischt.
24.11.2022, 17.48 Uhr
Wenn in diesen Tagen der Name Annalena Baerbock fällt, folgen meist große Worte. Das amerikanische »Time-Magazine« kürte sie zu den einhundert aufstrebenden Persönlichkeiten der Welt. Der Außenminister der USA, Antony Blinken, schwärmte: »Wenn ich darüber nachdenke, was mich in diesen Zeiten optimistisch stimmt, dann ist es, eine Partnerin zu haben, die so nahtlos Prinzipien und Pragmatismus vermischt.« In Deutschland ist sie nach einem Jahr im Amt laut aktuellem ZDF-Politbarometer die beliebteste Politikerin.
Zur Autorin
Sabine Rennefanz, Jahrgang 1974, betrachtet in ihrer Kolumne »Neue Heimatkunde« die deutsche Politik und Gesellschaft nicht nur, aber auch aus der Perspektive ihrer ostdeutschen Herkunft. Sie ist Politikwissenschaftlerin, war Redakteurin bei der »Berliner Zeitung« und wurde 2012 mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Mitte März 2022 erschien ihr neues Buch »Frauen und Kinder zuletzt« über Gerechtigkeit in gesellschaftlichen Krisen im Ch. Links Verlag.
Doch wie effizient ist die Außenministerin? Wie erfolgreich ist sie als Chefdiplomatin? Was weiß man nach einem Jahr über ihre Ziele, über ihre Prägungen?
In der »Zeit« erschien neulich ein Porträt, in dem die Arbeit der Außenministerin anhand von sechs Bildern untersucht wurde. Darin stand der interessante Satz: »Eine Außenministerin muss keine Gesetze machen, sondern vor allem repräsentieren.« Das ist nicht falsch, aber wäre eine Verzwergung des Amtes. Eigentlich ist die wichtigste Aufgabe des Auswärtigen Amtes die Zusammenarbeit mit den Staats- und Regierungschefs sowie den Außenministern aus Europa und der ganzen Welt. Oder wie es auf der Website des Ministeriums zu lesen ist: »Das Auswärtige Amt vertritt die Interessen Deutschlands in der Welt, es fördert den internationalen Austausch und bietet Deutschen im Ausland Schutz und Hilfe an.« Diplomatie heißt oft, dass man Beziehungen zu anderen Staaten knüpft, ihnen entgegenkommt, um dann im Konfliktfall auch Forderungen stellen zu können. Man muss Kompromisse aushandeln und braucht ein gewisses Taktgefühl, so kann man in Kompendien zu Diplomatie lesen. »Um in einen Aushandlungsprozess mit jemanden zu kommen, muss man die Fähigkeit haben, sich in die Lage des anderen zu versetzen, zu verstehen, was er oder sie will«, sagte einmal die verstorbene Politikerin Madeleine Albright, die als erste Frau das amerikanische Außenamt leitete. Selbst wenn es jemand wie der serbische Machthaber Milosevic ist.
Nach allem, was man von Annalena Baerbock öffentlich hört, vertritt sie eine andere Auffassung von Diplomatie. Oft scheint ihr die eigene Haltung wichtiger zu sein, als Brücken zu bauen. Ihre Bilanz als Verhandlerin, als Aushandlerin von Kompromissen ist gemischt. Sie scheint es in Kauf zu nehmen, andere vor den Kopf zu stoßen. Dem Bundeskanzler Olaf Scholz gab sie vor seiner Reise nach China Anfang des Monats Tipps zum Umgang mit der Führung und forderte ihn wegen Menschenrechtsverletzungen zu einer anderen Chinapolitik auf . China sei zunehmend »systemischer Rivale«, sagte sie. Man fragt sich, wem so eine für maximale Aufmerksamkeit getimte Bekundung dient, den Interessen Deutschlands oder doch eher den Interessen der Politikerin Annalena Baerbock und ihrem heimischen Rivalen namens Robert Habeck . Bei der kürzlich zu Ende gegangenen Klimakonferenz in Scharm-al-Scheich gelang es ihr jedenfalls nicht, die im Vorfeld geäußerten Versprechen einzulösen. Ein Abkommen zur Reduktion der Kohleemissionen kam nicht zustande, auch die Details zum geplanten Entschädigungsfonds für arme Länder sind dürftig, weil sich vor allem die Chinesen weigern. In den Verhandlungen fällt Baerbock die Härte auf die Füße, weil das Vertrauen zu ihr fehlt.
Es wäre unfair, Annalena Baerbock wegen ihrer klaren Haltung zu kritisieren, genau diese wird ja oft von Politikern gefordert. Ein Wertekompass! Allerdings bin ich mir auch nach einem Jahr nicht sicher, worauf Annalena Baerbocks Haltung gründet, was ihre Prinzipien geprägt hat und wie haltbar sie sind. Etwa bei der Ukraine. Als der Grüne Robert Habeck im Sommer 2021 Waffenlieferungen in die Ukraine forderte, unterstützte sie ihn nicht, sondern bekräftigte die ablehnende Haltung ihrer Partei zu Waffenlieferungen in Kriegsgebieten. Noch Anfang Februar – damals führte Russland bereits seit 2014 in der Ukraine Krieg, es gab geschätzt 13.000 Tote – lehnte sie Waffenlieferungen mit einem Hinweis auf die deutsche Geschichte im Zweiten Weltkrieg ab. Welche Geschichte? Die größten Opfer im Zweiten Weltkrieg brachten Ukrainer, Balten, Belarussen. Das hätte eine Außenministerin wissen können.
Es erstaunt, mit welcher Entschlossenheit die Chefdiplomatin Gespräche mit Russland als »sinnlos« abweist.
Nach dem massiven Angriff auf das gesamte Land am 24. Februar schwenkte Baerbock mit großer Vehemenz um und wurde zur größten Befürworterin von Waffenlieferungen in der Regierung. Keine Talkshow, keine Rede, in der sie nicht über Waffen fachsimpelt. »Waffenlieferungen retten Menschenleben«, sagt sie. Nun sind Meinungsänderungen nicht verboten, wer weiß das besser als Kolumnistinnen. Aber es fällt auf, dass die Ministerin offenbar keine Notwendigkeit sah, ihren Gedankenprozess der Öffentlichkeit ausführlicher und tiefer zu erklären. Ihre Forderung, Kampfpanzer in die Ukraine zu senden, konnte sie bisher allerdings nicht durchsetzen.
Nun kann man der Meinung sein, dass man der Ukraine dabei helfen muss, sich zu verteidigen, mit Waffen, aber das schließt diplomatische Bemühungen zur Eindämmung des Konflikts und der fortgesetzten Zerstörung der Ukraine nicht aus. Wie beides geht, zeigt ausgerechnet der türkische Autokrat Erdoğan, dem es gelang, das Getreideabkommen zu vermitteln. Deutschland spielte bei dem Deal keine Rolle. Wenn die Außenministerin die deutschen Interessen vertritt, müsste es nicht im Interesse Deutschlands sein, für Stabilität und Frieden in Europa zu sorgen?
Es erstaunt, mit welcher Entschlossenheit die Chefdiplomatin Gespräche mit Russland als »sinnlos« abweist. Bereits im August schrieb sie mit ihrer französischen Kollegin ein Papier, in dem sie Leitlinien der EU-Russlandpolitik formulierte, es gehe um größtmögliche Schwächung des Landes, »eindämmen«, »isolieren«, »abschrecken« (Die »FAZ« berichtete zuerst darüber.) Das geht wesentlich weiter als das, was der Kanzler bisher formuliert hat.
Forderungen nach Verhandlungen, Gesprächen, auch aus der SPD, weist die Außenministerin stets zurück. Es gehe nicht um Headlines, mit wem die Außenministerin telefoniere, sagte sie bei der Generaldebatte im Bundestag am 7. September. Putin sei nicht Gorbatschow, fügte sie hinzu. Richtig. Und Annalena Baerbock ist nicht Hans-Dietrich Genscher. Was folgt aus dem Vergleich? Dass man nur mit Menschen reden muss, die einem genehm sind? Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó beklagte kürzlich, dass Baerbock gar nicht mit ihm rede. Forderungen nach Verhandlungen mit Putin hält sie für »naiv«, betonte die Ministerin bei einer Rede der Körber-Stiftung Mitte Oktober. Doch wenn sie nicht an Diplomatie glaubt, was sagt das über ihr Rollenverständnis als Außenministerin aus?
Annalena Baerbock spricht mit einer oft sehr emotionalen, ungewöhnlich deutlichen Sprache. »Wir sind hier in einem Krieg«, sagte sie bei Anne Will im September, als erstes Kabinettsmitglied. Bei ihrem Besuch in Butscha im Mai sagte sie angesichts der Gräueltaten: »Diese Opfer könnten wir sein.« Das klingt empathisch, mobilisiert Gefühle. Doch je länger man drüber nachdenkt, desto mehr Fragen wirft der Satz auf. Könnten wir (Menschen in Deutschland) tatsächlich die Opfer der Massaker in dem Kiewer Vorort sein? Oder verwischt diese Identifikation mit den Opfern nicht die historischen und kulturellen Spezifika der Ukraine und erschwert dadurch eine genaue Lageanalyse? Putin hat eben keinen Nato-Staat angegriffen, sondern ein Land, das er historisch, sprachlich und kulturell als Teil der russischen Einflusssphäre begreift. Man kann mit solchen Sätzen wie »Diese Opfer könnten wir sein« Aufmerksamkeit für eine Sache erzeugen, aber die Gefahr besteht, dass man durch die Aneignung fremden Leids vor allem Aufmerksamkeit auf sich selbst zieht.
Das bringt mich zur Kernfrage: Was treibt die Außenministerin an? Was hat sie geprägt? Das ist nach einem aufreibenden Jahr im Amt immer noch erstaunlich unklar. In ihrem 2021 erschienen Buch »Jetzt. Wie wir unser Land erneuern« schreibt sie von der Bedeutung, die ihre Großmutter mütterlicherseits für sie hatte. Ihre Oma Alma war Spätaussiedlerin. Sie kam 1958 mit ihrer Familie aus Oberschlesien nach Hannover, musste neu anfangen. Ihre Enkelin Annalena verbrachte viel Zeit bei ihr. In dem Buch – das sie der Großmutter gewidmet hat – deutet Baerbock an, wie die Erzählungen der Oma von Flüchtlingstrecks zum Ende des Zweiten Weltkrieges, von der Angst vor Vergewaltigung (durch sowjetische Soldaten?) ihre Kindheit mitprägten. Ihre Leidenschaft für Europa- und Völkerrecht schreibt Baerbock rückblickend dem Einfluss der Großmutter zu. Wenn man das liest, betrachtet man ihre Politik noch mal anders. Wie haben die Familienerzählungen, die Flucht aus dem sowjetisch besetzten Polen, die Außenministerin und ihre Überzeugungen geprägt? Wen meint sie, wenn sie von »wir« spricht? Man wüsste es gerne.