Wednesday, February 19, 2025
Trump vs. Selenskyj: „Diktator”-Beschimpfung, Spott und ein „unseriöses“ Angebot
Oberhessische Presse Marburg
Trump vs. Selenskyj: „Diktator”-Beschimpfung, Spott und ein „unseriöses“ Angebot
Sven Christian Schulz • 2 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist stinksauer. „Das Treffen zwischen den USA und Russland in Saudi-Arabien kam für uns völlig überraschend. Wir waren zu den Gesprächen nicht eingeladen“, erklärte er. Friedensverhandlungen ohne die Ukraine über die Ukraine? Das sei alles andere als zielführend, wies der sichtlich frustrierte Präsident das Treiben der USA scharf zurück.
Die Antwort aus Washington ließ nicht lange auf sich warten. „Ich habe heute gehört: Oh, wir waren nicht eingeladen“, sagte Trump spöttisch in seiner Residenz Mar-a-Lago und grinste. Dann legte er nach: Seit drei Jahren führe die Ukraine nun schon diesen Krieg, hätte ihn längst beenden sollen und überhaupt seien die Ukrainer selbst schuld, wo sie doch diesen Krieg begonnen hätten, behauptete der Republikaner wahrheitswidrig: „Ihr hättet ihn nie anfangen sollen“, sagte er in Richtung Selenskyj. „Ihr hättet einen Deal machen können“, fügte er noch hinzu.
Nach Trumps Amtsantritt hatte Selenskyj noch versucht, den US-Präsidenten mit Komplimenten für den Kampf um einen gerechten Frieden und eine starke Ukraine für sich zu gewinnen. Doch spätestens seit der Geschäftsmann im Weißen Haus seinen Finanzminister mit einem unterschriftentauglichen Entwurf eines Wirtschaftsabkommens nach Kiew geschickt hatte, herrscht Eiszeit. Nach einem Bericht des britischen „Telegraph“, der den Vertragsentwurf einsehen konnte, will Trump die Ukraine regelrecht zu einer amerikanischen Wirtschaftskolonie machen. Das Abkommen geht offenbar weit über die Kontrolle aller kritischen Mineralien der Ukraine hinaus, umfasst sogar Häfen und andere Infrastruktur, Öl und Gas. Die Bedingungen seien gar härter, als sie Deutschland und Japan nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten aufgezwungen bekamen, so das Blatt. Mit dem Unterschied, dass Deutschland den Krieg begonnen und verloren hatte. Trumps Forderungen seien „unseriös“, sagte Selenskyj am Mittwoch. Er sei bereit für ein ernsthaftes Dokument, an dem offiziellen Vertragstext werde noch gearbeitet. Trump lebe in russischem „Desinformationsraum“, so Selenskyj. Doch wie soll so ein gerechter Frieden möglich sein?
Trump: Selenskyj ist ein „Diktator ohne Wahlen“
In seiner Residenz macht sich Trump auch über eine angeblich geringe Zustimmungsrate von Selenskyj in der Bevölkerung lustig und forderte ukrainische Wahlen als Teil eines Friedensabkommens. Später bezeichnete er Selenskyj auf seiner Plattform Truth Social als „Diktator ohne Wahlen.“ Damit griff der Republikaner gleich eine ganze Reihe von russischen Propagandabehauptungen auf. Dabei zeigen Umfragen auch nach drei Jahren des Krieges, dass weiterhin mehr als die Hälfte der Ukrainer Selenskyj unterstützt. Überdies ist die Besorgnis groß, dass Russland Einfluss auf Wahlen in der Ukraine nehmen könnte, um eine kremlhörige Marionetten-Regierung in Kiew zu installieren.
Es sind Tage, in denen in europäischen Hauptstädten die Telefone heißlaufen. Binnen Tagen werden so viele Gespräche zwischen Staats- und Regierungschefs geführt wie selten zuvor. Nach dem Paris-Treffen der großen EU-Staaten am Montag stand Präsident Emmanuel Macron mit Trump und Selenskyj in Kontakt. Seine Botschaft an die USA: Russland müsse seine Angriffe beenden und die Ukraine mit „starken und glaubwürdigen Sicherheitsgarantien“ ausgestattet werden. „Das ist der Schlüssel für dauerhaften Frieden.“ Mit kleineren EU-Staaten, Norwegen und Kanada hielt Macron am Mittwoch ein weiteres hochrangiges Treffen ab. Nicht dabei: der ungarische Regierungschef Viktor Orban, bekannt für Störfeuer und Blockaden bei der europäischen Unterstützung der Ukraine. Sein Außenminister Peter Szijjarto hatte den Gipfel zuvor bereits als ein Treffen von „Kriegsbefürwortern“ bezeichnet, bei dem „Trump-feindliche und frustrierte europäische Politiker versuchen, ein Friedensabkommen mit der Ukraine zu verhindern“.
EU erwägt Sondergipfel wegen Trumps Ukraine-Kurs
Hinter den Kulissen laufen bereits Gespräche über einen möglichen EU-Sondergipfel aller 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel, um sich auf eine endgültige Position zur Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu einigen. Ein solches Gipfeltreffen sei keinesfalls ausgeschlossen, aber derzeit gebe es noch keine konkreten Pläne, sagte ein hochrangiger EU-Diplomat. „EU-Ratspräsident Antonio Costa berät derzeit in einem systematischen Prozess mit allen Staats- und Regierungschefs über Fragen, wie die der weiteren EU-Hilfe für die Ukraine und der Ausgestaltung konkreter Sicherheitsgarantien.“
Die EU-Verteidigungspolitikerin Hannah Neumann (Grüne) erinnert Trumps Vorgehen an die Afghanistan-Verhandlungen und warnt vor einem ähnlich dramatischen Ausgang. 2020 hatten US-Vertreter mit den Taliban ein Abkommen unterzeichnet, das letztlich zum Zusammenbruch der afghanischen Regierung und der Machtübernahme der Taliban führte. „Wenn ich könnte, würde ich sagen: ,You are fired‘ – aber das müssen Senat und Kongress in den USA tun“, so Neumann. Die EU müsse nun konsequent tun, was in ihrer Hand liege und die Ukraine so stärken, dass sie einen schlechten Deal ablehnen könne.
Konkrete Maßnahmen werden bereits vorbereitet: Der Auswärtige Dienst hat einen Vorschlag für ein Militärhilfspaket im Umfang von 6 Milliarden Euro erarbeitet, um die Position der Ukraine bei Verhandlungen zu verbessern. Es umfasst unter anderem 1,5 Millionen Artilleriegeschosse und Luftverteidigungssysteme und wäre eines der größten Pakete der EU seit Beginn des Krieges. Am Montag wollen die EU-Außenminister über den Vorschlag beraten. Dann sollen auch neue Sanktionen gegen Russland verabschiedet werden, die den Druck auf den Kreml erhöhen sollen.
Bereits am Mittwoch einigten sich die Botschafter der EU-Staaten in Brüssel auf das neue Sanktionspaket. Vorgesehen ist der Ausschluss 13 weiterer russischer Finanzinstitute aus dem Bankensystem Swift und das Verbot von acht russischen Propagandamedien in der EU. Russisches Aluminium soll künftig nicht mehr in die EU importiert werden dürfen und mehr als 70 weitere Schiffe der russischen Schattenflotte sollen zur Sanktionsliste hinzugefügt werden.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hofft darauf, dass EU und USA bei Friedensverhandlungen doch noch zusammenfinden. „Russland wird versuchen, uns zu spalten“, warnte sie. „Lassen Sie uns nicht in ihre Fallen tappen.“