Thursday, February 20, 2025
„Russland hat die Karten in der Hand“: Die USA wenden sich gegen die Ukraine – Chronologie einer Wortschlacht
Tagesspiegel
„Russland hat die Karten in der Hand“: Die USA wenden sich gegen die Ukraine – Chronologie einer Wortschlacht
20 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Zwischen Washington und Kiew kracht es. Trump beschuldigt die Ukraine, selbst am Krieg schuld zu sein. Dem Kreml gefällt das. Selenskyj versucht, zu deeskalieren, Europa reagiert empört. Ein Überblick.
Es wirkt wie verkehrte Welt: Nach drei Jahren Ukraine-Krieg holt US-Präsident Donald Trump den Angreifer Russland aus der Isolation und setzt das angegriffene Land unter Druck. Nach einem Treffen der Außenminister in Saudi-Arabien feuerte Trump von seinem Wohnsitz in Florida eine Breitseite gegen den bisherigen US-Schützling Ukraine ab.
Sie sei selbst schuld, den Krieg nicht gestoppt zu haben. Und wenn die Ukraine einen Sitz am Verhandlungstisch wolle, solle sie einen neuen Präsidenten wählen.
Europa zeigte sich daraufhin bestürzt und irritiert, während die Ukraine es mit Zurückhaltung versucht. Der Kreml hingegen hat nur Lob für die US-Regierung übrig. Ein Überblick über die Reaktionen auf Donald Trumps Aussagen.
US-Präsident Trump bezeichnet Selenskyj als „Diktator“
US-Präsident Trump sieht Russland bei Verhandlungen zum Kriegsende in der Ukraine im Vorteil. „Ich denke, die Russen wollen, dass der Krieg endet“, sagte Trump am Mittwoch vor Reportern im Präsidentenflugzeug Air Force One. „Aber ich denke, sie haben ein bisschen die Karten in der Hand, weil sie viele Gebiete eingenommen haben, also haben sie die Karten in der Hand“, sagte er.
Trump hatte zuvor seinen Ton gegenüber der Ukraine verschärft und den ukrainischen Präsidenten Selenskyj in seiner Onlineplattform Truth Social als „Diktator ohne Wahlen“ bezeichnet. Er erklärte, Selenskyj solle „sich besser beeilen, oder er wird kein Land mehr haben“. Am Dienstag hatte Trump faktisch Selenskyj für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verantwortlich gemacht. Selenskyj bezeichnete den US-Präsidenten daraufhin als Opfer russischer Desinformation.
Trump stellte am Dienstag zudem ein baldiges Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Aussicht. Er werde sich „wahrscheinlich“ noch vor Ende des Monats mit dem Kreml-Chef treffen. Nach den Gesprächen in Riad sei er „sehr zuversichtlich“, sagte der Rechtspopulist.
US-Sondergesandter versteht „Notwendigkeit von Sicherheitsgarantien“
Trumps Sondergesandter für die Ukraine, Keith Kellogg, begann in Kiew unterdessen Gespräche über einen möglichen Friedensprozess. Er wolle zuhören, sagte er und bemühte sich, die barschen Worte seines Chefs abzufedern. Sein Bericht an Präsident Donald Trump solle den USA helfen, die Lage richtig einzuschätzen. „Wir verstehen die Notwendigkeit von Sicherheitsgarantien“, sagte er vor Fernsehkameras.
Selenskyj versucht, zu deeskalieren
Die ukrainische Regierung ist bemüht, die Beziehungen mit Washington trotz der heftigen Anwürfe von US-Präsident Donald Trump möglichst intakt zu halten. Selenskyj hielt sich am Abend in seiner Videoansprache an den Ratschlag von US-Vizepräsident J.D. Vance, Trump nicht zu widersprechen und legte im Streit nicht noch einmal nach. Kiew sei weiter an guten Beziehungen zu Washington interessiert, machte er deutlich.
Auch im Vorfeld des Treffens mit Trumps Ukraine-Sondergesandtem Kellogg bekräftigte Selenskyhj seinen Wunsch nach konstruktiver Zusammenarbeit mit den USA. „Es ist sehr wichtig für uns, dass (dieses) Treffen und unsere Zusammenarbeit mit den USA im Allgemeinen konstruktiv sind“, sagte er in seiner Videoansprache.
An sein Volk gerichtet, und vor dem Hintergrund von Trumps jüngsten Äußerungen, sagte Selenskyj: „Unsere Einheit ist das, was unsere Zukunft am besten schützt, und unsere Zukunft liegt nicht bei Putin, sondern beim Frieden. Und es ist eine Entscheidung für alle – auch für die Mächtigen –, ob man auf der Seite Putins oder des Friedens sein will.“
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha, fuhr hingegen etwas schärfere Töne auf und schrieb auf X, niemand könne sein Land zum Aufgeben zwingen. „Wir werden unser Recht auf Existenz verteidigen.“
Russlands Präsident Putin zeigt sich zufrieden
Putin zeigte sich mit den Gesprächen zwischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem Amtskollegen aus den USA, Marco Rubio, zufrieden. Putin sei über den Verlauf informiert worden. „Ich schätze sie hoch ein, es gibt Ergebnisse“, zitiert die Nachrichtenagentur Interfax den russischen Präsidenten.
Die US-Delegation habe ohne Vorurteile agiert, sagt er der Nachrichtenagentur Tass zufolge. Zweck der Gespräche sei die Stärkung des Vertrauens gewesen. Wann ein Treffen mit Trump stattfinden könne, sagt Putin nicht. Er freue sich darauf, aber es müsse vorbereitet werden.
„Wir stimmen vollständig mit der amerikanischen Regierung überein“, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow daraufhin am Donnerstag. Die Position der amtierenden Regierung in Washington sei „für uns günstiger als die der vorherigen“, sagte Peskow.
Olaf Scholz: „Schlicht falsch und gefährlich“
International lösten Trumps Äußerungen Empörung aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisierte es als „schlicht falsch und gefährlich“, dass Trump den ukrainischen Staatschef Selenskyj als „Diktator“ schmähte.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte nach der zweiten Beratungsrunde mit Ukraine-Verbündeten in Paris binnen weniger Tage: „Wir stehen an der Seite der Ukraine und werden all unsere Verantwortung wahrnehmen, um Frieden und Sicherheit in Europa zu gewährleisten.“
Der britische Premierminister Keir Starmer stärkte nach Angaben seiner Regierung dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj bei einem Telefonat den Rücken. Es sei in Kriegszeiten durchaus angemessen, Wahlen auszusetzen, sagte Starmer einer Erklärung seines Büros zufolge. Großbritannien habe dies während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls getan.
Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland appellierte an die Verbündeten der Ukraine, in ihrer Unterstützung nicht nachzulassen. Es liege „in unserem gemeinsamen europäischen Interesse, dass wir Europäer unsere Kräfte zusammenbündeln und einem Diktatoren und Autokraten wie Putin auch klare Kante zeigen“, sagte Makeiev am Mittwochabend in den ARD-„Tagesthemen“.
Über den Besuch von Trumps Ukraine-Sondergesandtem Kellogg sagte Makeiev: „Möglicherweise kommt er näher zum Geschehen an der Frontlinie.“ Einen Besuch an der Front empfehle er allen Politikern, „um zu begreifen, was es heißt, im 21. Jahrhundert unter Luftalarmsirenen, Drohnen und Raketenangriffen weiter demokratisch regieren zu können und Freiheit schützen zu müssen“. (AFP, dpa, Reuters)