Thursday, February 20, 2025

Mittel- und Südosteuropa: Die Angst vor Trumps Verrat

DW Deutsch Mittel- und Südosteuropa: Die Angst vor Trumps Verrat Keno Verseck • 15 Std. • 4 Minuten Lesezeit Die mittel- und südosteuropäischen Länder sind mehrheitlich schockiert von Trumps Aussagen über die Ukraine. Sie befürchten, Russland ebenfalls ausgeliefert zu werden. Rumänien sieht gar ein "neues Jalta" kommen. Die verbalen Amokläufe des US-Präsidenten Donald Trump und seine Diffamierungen der Ukraine und ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lösen verständlicherweise vor allem bei den Menschen in dem angegriffenen Land Fassungslosigkeit und einen tiefen Schock aus. Doch auch in mittel- und südosteuropäischen Ländern macht sich die Angst breit, Russland erneut ausgeliefert zu werden. Nahezu alle Völker und Nationen der Region hatten unter der imperialen Politik des russischen Reiches und später der Sowjetunion schwer zu leiden - ein Trauma, das Jahrhunderte zurückreicht und in Westeuropa bis heute selten verstanden wird. Der von Trump angedeutete Verrat an der Ukraine führt deshalb dort nun zu der tiefsten Vertrauenskrise seit den 1980er Jahren, als zunächst nicht klar war, wie die Sowjetunion auf die Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen in der Region reagieren würde. Seit Ende der 1990er Jahre sind die USA im Rahmen der NATO der wichtigste Sicherheitsgarant in Mittel- und Südosteuropa. Nun fürchtet man dort ebenso wie in der Ukraine, allein gelassen zu werden. Die höchste Alarmstufe herrscht derzeit bei der politischen Führung in Rumänien. Der Chef der rumänischen Präsidialkanzlei, Cristian Diaconescu, wirft Russland vor, den USA bei den Verhandlungen im saudischen Riad zwischen den Außenministern beider Länder ein "neues Jalta" und den Abzug der US-Truppen aus Rumänien vorgeschlagen zu haben. Prominente rumänische Intellektuelle, darunter der Politologe Vladimir Tismaneanu, bezeichnen das Treffen von Riad als "Verrat" an der Ukraine und an den westlichen Werten sowie als "neues München". Musk unterstützt rumänischen Rechtextremen Die scharfen Reaktionen kommen aus verständlichem Grund: So wie im Fall der Ukraine beschuldigt die US-Regierung auch Rumänien, ein undemokratisches Land zu sein. Konkret warf US-Vizepräsident JD Vance Rumänien in der vergangenen Woche bei der Münchener Sicherheitskonferenz vor, mit der Annullierung der Präsidentschaftswahl nicht demokratisch gehandelt zu haben. Der Tech-Milliardär und Trump-Intimus Elon Musk wiederum unterstützt den rechtsextremen, prorussischen rumänischen Präsidentschaftskandidaten Calin Georgescu, der für eine Zerschlagung des ukrainischen Staates und seine Aufteilung unter Russland, Ungarn und Rumänien plädiert. Georgescu hatte im November 2024 die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen. Sie war wegen illegaler Wahlkampffinanzierung Georgescus und wegen mutmaßlicher Einmischung aus Russland zu seinen Gunsten annulliert worden. Für ersteres gibt es Beweise, für letzteres nicht. Musk hatte Georgescu am Dienstag (18.02.2025) auf X mit den Worten gelobt: "Rumänien verdient seine eigene Souveränität!" "Souveränisten" gegen Recht auf Landesverteidigung Rumänien ist der wichtigste Stützpunkt für US- und NATO-Truppen in Südosteuropa und beherbergt auf seinem Territorium zugleich den wichtigsten Raketenschutzschirm der Region. Andererseits ist Rumänien gemeinsam mit seinem Nachbarn, der Republik Moldau, durch den russischen Krieg gegen die Ukraine selbst militärisch betroffen: Auf rumänischem und moldauischen Territorium stürzen immer wieder russische Drohnen ab oder explodieren. Auch russische Raketen verletzen den Luftraum beider Länder regelmäßig. Rumänien verabschiedete am Mittwoch (19.02.2025) ein Gesetz, das den Abschuss derartiger Drohnen erlaubt. Die drei rechtsextremen Parlamentsparteien, die sich in ihrer Propaganda vorrangig des rechten Kampfbegriffs der "nationalen Souveränität" bedienen, stimmten gegen das Gesetz. Rumäniens Interimspräsident Ilie Bolojan und der Regierungschef Marcel Ciolacu reagieren in ihren Äußerungen derzeit zwar zurückhaltender. Allerdings verknüpft Bolojan das Schicksal Rumäniens mit dem der Ukraine: "Die Sicherheit der Ukraine ist auch die Sicherheit Europas und Rumäniens", so Bolojan. "Wir stehen nicht nur aus humanitären Gründen an der Seite der Ukraine, sondern auch, weil es im strategischen Interesse unseres Landes ist." Dramatische Botschaften von Tusk Auch die Führungen anderer mittel- und südosteuropäischer Länder reagieren derzeit mit Erklärungen uneingeschränkter Solidarität an die Adresse der Ukraine. Der polnische Premier Donald Tusk schreibt auf X fast täglich dramatische Appelle. Trumps Verhandlungen mit Russland kommentiert er mit den Worten: "Eine erzwungene Kapitulation der Ukraine würde eine Kapitulation der gesamten westlichen Gemeinschaft bedeuten." Anlässlich der Münchener Sicherheitskonferenz postete er: "Als Tourist mag ich die Stadt. Als Historiker und Politiker kann ich heute nur sagen: MÜNCHEN. NIEMALS WIEDER." Und er erinnert daran, dass die Worte des Papstes Johannes Paul II. - "Habt keine Angst!" - eine "Ermutigung der Polen in ihrem Kampf gegen die russische Herrschaft" waren. Der tschechische Staatspräsident Petr Pavel schrieb am Mittwoch auf X, den Präsidenten der Ukraine als Diktator zu bezeichnen, erfordere "eine gehörige Portion Zynismus". Der litauische Staatspräsident Gitanas Nauseda wiederum forderte auf X: "Wir müssen jetzt handeln, um die Ukraine zu unterstützen und Europas Sicherheit zu stärken. Kein Gequatsche mehr - Zeit zu handeln." Nauseda hat einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt, der den Weg zu größerer europäischer Eigenständigkeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik und bei der Hilfe für die Ukraine ebnen soll. Der Plan sieht unter anderem Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie und konsequentere antirussische Sanktionen vor. Auch aus anderen Ländern der Region kommen Forderungen nach mehr Investitionen in eine gemeinsame europäische Verteidigung. Drei Länder gegen Unterstützung der Ukraine Anders sind erwartungsgemäß die Stimmen der politischen Führungen in Bulgarien, der Slowakei und Ungarn. In Bulgarien amtiert mit Rumen Radew ein prorussischer Präsident, der zwar nicht so vehement kremlfreundlich ist wie beispielsweise der ungarische Premier Viktor Orban, der aber die russische Aggression in der Ukraine dennoch immer wieder kleinredet und sich gegen die Unterstützung der Ukraine ausspricht. Radew begrüßt Trumps "Friedensinitiative" vorsichtig und fordert die Regierung und das Parlament auf, Entschlüsse gegen die Entsendung bulgarischer Soldaten in die Ukraine zu verabschieden - ein Thema, das derzeit weder in Bulgarien noch in der EU konkret auf der Tagesordnung steht. Bisher unterstützten bulgarische Regierungen die Ukraine militärisch immer wieder. Unklar ist, welche Positionen die seit Mitte Januar amtierende neue Koalitionsregierung künftig vertreten wird, da zwei ihrer drei Mitgliedsparteien prorussisch bzw. isolationistisch eingestellt sind und die Regierung in Ukraine-Fragen gespalten ist. Im Falle der Slowakei und Ungarns hingegen dürfte klar sein, dass sie keinerlei Solidaritätsinitiativen für die Ukraine oder Initiativen für eine bessere eigenständige europäische Verteidigung unterstützen. Der slowakische Premier Robert Fico sagte dazu klipp und klar, dass sein Land auf Gipfeltreffen wie jüngst in Paris nichts zu suchen habe. Dort träfen sich die "Freunde des Krieges", so Fico, und "wir haben damit nichts zu tun".