Saturday, September 16, 2023

Zum 80. Geburtstag von Oskar Lafontaine: Der Getriebene

Frankfurter Allgemeine Zeitung Zum 80. Geburtstag von Oskar Lafontaine: Der Getriebene Artikel von Jasper von Altenbockum • 15 Std. In der politischen Landschaft Deutschlands ist Oskar Lafontaine, auch wenn man seine Ansichten nicht teilt, einer der interessantesten Politiker. Nicht umsonst machte er gleich mehrere Karrieren. Nur wenige Monate nach dem Regierungswechsel von 1998 – Gerhard Schröder hatte Helmut Kohl geschlagen und das „rot-grüne Projekt“ möglich gemacht – trat Oskar Lafontaine vom Amt des Bundesfinanzministers zurück und legte auch den SPD-Parteivorsitz nieder. Schröder war geworden, was Lafontaine immer werden wollte. Das ging nicht gut. Anlass war aber auch, dass sich schon damals ankündigte, was zur zweiten Karriere Lafontaines führte: die steuer- und sozialpolitische Agenda-Politik Schröders, die in dessen zweiter Regierungszeit die SPD spaltete. Lafontaine wurde – 2005 trat er aus der SPD aus – zum Kopf der Gegen-SPD, der nach Westen ausgedehnten SED-Nachfolgepartei „Linke“, die zugleich verhinderte, dass entstehen konnte, was sich Lafontaine immer wünschte, eine geeinte linke Bewegung in Deutschland. Angesichts der Kämpfe, Debatten und Gegensätze, die in jener Zeit mit dem Namen Lafontaine verbunden sind, muss man über Bemerkungen lächeln, wir lebten in einer außerordentlich polarisierten Republik. Selbst Schröder stellte er in den Schatten Lafontaine ist als Populist, als Spalter, als Volkstribun bezeichnet worden. Er trägt all das, wenn es auch Schablonen sind, die ihm nicht gerecht werden, in der Tat weit mehr in sich als andere SPD-Größen, die zu den „Enkeln“ Willy Brandts gerechnet werden. Selbst Gerhard Schröder stellte er damit in den Schatten. Erst recht Parteiführer wie Hans-Jochen Vogel oder Rudolf Scharping, dem Lafontaine auf dem Mannheimer Parteitag 1995 staatsstreichartig den Parteivorsitz entriss. Lafontaines Waffe ist die Rede. Die Partei führte er mit harter Hand. Der Zuchtmeister und Wortgewaltige wurde aber zum Opfer ihrer Sprunghaftigkeit. Früh erkannte Lafontaine zwar die Attraktivität ökologischer Themen, die ihn – zusammen mit einer utopisch anmutenden, gegen die NATO gerichteten Friedenspolitik – zum Widersacher Helmut Schmidts hatte werden lassen. Sein politischer Instinkt verließ ihn aber vor und nach der Wiedervereinigung, die er dogmatisch ablehnte. Die Linie setzt sich bis heute in einer russlandfreundlichen, antiamerikanischen, gegen das westliche Bündnis gerichteten Einstellung fort, die nur in einem Punkt nationale bis nationalistische Töne zulässt, in der Sozialpolitik. Als Kanzlerkandidat gegen Kohl gescheitert Die Quittung war damals das klägliche Scheitern seiner Kanzlerkandidatur 1990 gegen Helmut Kohl, der es besser verstand, finanz- und sozialpolitische Risiken, auf denen Lafontaine herumritt, hinter europa- und nationalpolitischen Visionen verschwinden zu lassen. Überschattet war diese Niederlage von einem Attentat im Wahlkampf. Lafontaine entkam nur knapp dem Tod. Die Linkspartei war, nicht anders als die SPD, für Lafontaine eine enttäuschte Hoffnung. Die Partei, die er auf einen harten Linkskurs festlegte, hatte ihm viel zu verdanken. An der Seite von Lothar Bisky führte er sie zunächst von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. 2009 zog er sich wegen einer schweren Krankheit zurück, in den Jahren danach auch aus der Parteispitze und dem Bundestag. Der Rückzug endete mit dem Parteiaustritt, weil auch diese Partei seinen Traum vom linken Großprojekt nicht mitträumen konnte oder wollte. Begleitet wurde sein Rückzug von Intrigen und Machtkämpfen in der Parteiführung, die bis heute nicht aufgehört haben, und von schweren Wahlverlusten, die im Saarland, in Lafontaines Heimat, wo er einst als Oberbürgermeister und Ministerpräsident begonnen hatte, besonders augenfällig waren. Geblieben ist ihm auf seiner Wanderschaft – Sahra Wagenknecht. In ihr erkennt man bisweilen die Talente Lafontaines, und es würde nicht überraschen, wenn die Idee einer neuen Partei von ihm stammte oder zumindest unterstützt wird. Dass Lafontaine sich außerdem mit Gerhard Schröder aussöhnte, hat sicher nicht nur damit zu tun, dass er an diesem Samstag seinen 80. Geburtstag feiert.