Tuesday, September 5, 2023
Wie die Bildung in Deutschland an Wert verliert
WELT
Wie die Bildung in Deutschland an Wert verliert
Artikel von Hannah Bethke •
3 Std.
In Berlin ist der Mangel an Lehrern so groß, dass die Schulen notfalls Pflichtstunden kürzen können. Doch die Bildungsmisere ist nicht nur das Ergebnis fehlgeleiteter Politik. Es mangelt auch in der Gesellschaft an Wertschätzung für das hohe Gut der Bildung.
Pünktlich zum neuen Schuljahr kommt aus Berlin mal wieder eine Notstandsmeldung. Der desaströse Zustand der Schulen in der Hauptstadt ist allseits bekannt, der Mangel an Lehrern ein Dauerproblem, die absinkenden Leistungsbilanzen gehören fast schon zur Berliner Bildungstradition.
Nun aber ist die Verzweiflung so groß, dass die Berliner Schulen notfalls Pflichtstunden kürzen dürfen. Das reguläre Unterrichtsangebot darf also bedingt eingeschränkt werden, mit Ausnahme der Kernfächer wie Mathematik und Deutsch. Das berichtete der „Tagesspiegel“.
Die Berliner Bildungsverwaltung stellt auf Anfrage von WELT klar, von einer generellen Kürzung der Pflichtstundenzahl könne keine Rede sein. Um angesichts der Lehrkräfteknappheit „auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein“, habe man in einem Informationsschreiben an die Schulaufsicht darauf hingewiesen, „wie in einzelnen Fällen möglicherweise und gegebenenfalls eine Reduzierung der Stundentafel temporär und verhältnismäßig organisiert werden könnte“.
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Doch selbst als letzte Möglichkeit ist das Antasten der Stundentafel ein neuer Tiefpunkt der Berliner Bildungsmisere. Dies ist allerdings kaum der Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) anzulasten, die erst im April das Amt angetreten hat. Über zwei Jahrzehnte stand die Berliner Bildungsverwaltung unter SPD-Führung. Das Ergebnis ist katastrophal.
Da reicht es nicht, auf widrige Umstände oder Bildungsnotlagen in anderen Bundesländern zu verweisen. Günther-Wünsch muss nun den Mangel verwalten, ohne die schulische Ausbildung weiter zu verschlechtern – eine Quadratur des Kreises, wie man an den legitimierten Abstrichen im regulären Unterrichtsangebot sehen kann.
Bildung ist kein Garant mehr für Anerkennung
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Verfehlungen der Bildungspolitik gesellschaftlich bedingt sind. Eltern wollen zwar stets die beste Schule für ihre Kinder.
In der gesellschaftlichen Praxis aber zeigt sich, wie wenig Bedeutung ihr noch beigemessen wird. Ob jemand gebildet und belesen ist, interessiert in der Regel deutlich weniger als Konsum, digitale Sichtbarkeit und individueller Erfolg. Der Status des Gebildetseins ist kein Garant mehr für Achtung und Anerkennung. Das bekommen auch Lehrer zu spüren, deren Autorität immer stärker angezweifelt wird – einer der Gründe, warum der Lehrerberuf so unbeliebt ist.
Neben einer klugen Bildungspolitik, die nicht nach ideologischen Prämissen handelt, sondern pragmatisch Probleme löst, braucht es daher zur Stärkung der Schulen vor allem eines: mehr gesellschaftliche Wertschätzung für Bildung.