Saturday, September 16, 2023
Skandalstück in Wiesbaden: Dreck auf die Ministerin
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Skandalstück in Wiesbaden: Dreck auf die Ministerin
Artikel von Eva-Maria Magel •
1 Std.
Sagt eine der Figuren auf der Bühne wirklich, da gingen im Staatstheater „zwei Egomanen“ aufeinander los? Der Text blieb vor der Uraufführung geheim – wegen der „hohen Erwartungshaltung“ an „Das Ministerium“, hieß es vom Theater.
Das Skandalstück mit Ansage, das das Staatstheater Wiesbaden bei David Gieselmann und Clemens Bechtel in Auftrag gegeben hat, zitiert auch wörtlich aus jenem offenen Brief, den erst am Tag vor der Uraufführung zwei leitende Mitarbeiter über die Zustände am Staatstheater verschickt hatten. Nur ein Punkt auf der Wut-Liste, die das „Political“ offenbar abarbeiten muss.
Früher hat die Ministerin Kröten gesammelt, jetzt muss sie Kröten schlucken
Eine Liste von Wut
Die Wut auf die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die die Inszenierung schon zu Beginn mit Fragen ins Publikum beschwört, ist offenkundig vor allem die Wut auf eine junge Frau, die sich in einem hohen politischen Amt aufreibt – vermeintlich ohne jegliche Sachkenntnis. An ihre Vergangenheit als Krötenretterin erinnert die Aufschrift „Toad Bag“ auf ihrer Handtasche. Das ist Annika Grohn-Kamp von den Grünen, Kunstministerin in Rheinland-Pfalz, deren Kröten die anderen schlucken müssen.
Die Figur, die trotzig an ihrer Karriere in der Partei bastelt, auch wenn es für Berlin „bei Robert“ nicht reicht, soll Angela Dorn (Die Grünen) darstellen, als hessische Kunstministerin zusammen mit der Stadt Wiesbaden Dienstherrin des Staatstheaters. Die Eckdaten ihrer Biographie sind so lässig verfremdet, wie man es wohl nur tun kann, wenn man sich der Kunstfreiheit sicher ist.
Dass es um die aber schlecht bestellt ist, weil Politiker ein Theater untergehen lassen, das sich immer und immer wieder über die Zustände beklagt hat, ist eine der Behauptungen des Stücks, das den Documenta-Skandal, die Zustände am Staatstheater Wiesbaden, das Schicksal der Grünen-Politikerin Anne Spiegel, alte weiße Männer, alte weiße Frauen, junge Politik-Aktivisten, die Zukunft der Printmedien und des Lokaljournalismus und noch ein paar Themen mehr verknetet. Ach ja, der Netrebko-Skandal der Wiesbadener Maifestspiele scheint auch ein bisschen auf, aber ohne Namen.
Kraftlos trotz Kraftausdrücken
Zum Ausgleich wird hier und da auch die Kunst, das hehre Opfer der Politik, satirisch hochgenommen. In Gestalt des Leiters der Kunsthalle Mainz, der Ausstellungen über „Das Nichts“ kuratiert und – mal passiv, mal aktiv – aggressiv über Kunstfreiheit schwadroniert. Seine „ungehaltene Rede“ über den „untergehenden Staat“ ist im Programmheft abgedruckt. Er trägt Seidenschal, wie der Wiesbadener Intendant es gerne tut, und beschmiert erst einen unliebsamen Rezensenten mit Hundekot, dann die ganze Bühne. Dann ist es Kunst.
Dreckbesudelt stakst schließlich die Ministerin, gescheitert als Ehefrau, Mutter und Politikerin, davon, überzeugt von ihrer Unfehlbarkeit: Ideale verraten, die Generation der Tochter auch. Immerhin nähert sich das Bühnenbild am Ende der an F-Worten reichen Sprache an, deren Kraftausdrücke aber nicht dazu beitragen, auch dem Stück Kraft zu verleihen. Wut scheint, anders als im Stück behauptet, halt doch nicht gar so viel kreative Energie freizusetzen.
Niederungen der Politik
Angeblich hat es den politischen Zeitgeist, die Niederungen der Politik und den Druck der Selbstdarstellung satirisch darstellen sollen. Davon ist außer einigen kleinen Pointen nicht mehr viel zu merken in einer ebenso zähen wie plumpen Handlung ohne rechten Höhepunkt, deren Darsteller Mühe haben, diese papiernen Figuren mit ihren klischeehaften Sätzen irgendwie lebendig zu machen: Marie Luisa Kerkhoff als hölzerne Annika, Tobias Lutze als ihr vernachlässigter Mann Siegfried, Lena Hilsdorf als Journalistin und einstige Freundin Annikas, Martin Plass als gescheiterter Enthüllungsjournalist, Evelyn Faber als wetterwendische Lokaljournalistin, Rosa Klischat und Klara Bollendorf als aktivistische Politikertöchter, Nils Willers als Museumsleiter, Felix Strüven als aalglatter Pressesprecher und „Erfinder“ der Politikerin Annika Grohn-Kamp.
Diese fungiert als Spitze eines politischen Eisbergs aus Karrieregier, Untätigkeit, Unwissen, während die Kunst bedroht wird – behauptet der herbeigedichtete Skandal in aller Freiheit.