Thursday, September 14, 2023

Österreich: Gebäck mit faschistischem Hintergrund? Der Streit um die Kardinalschnitte

ERN Österreich: Gebäck mit faschistischem Hintergrund? Der Streit um die Kardinalschnitte Artikel von lhi • 21 Std. Kardinalschnitte Österreich Gebäck Die Kardinalschnitte, in Österreich ein beliebtes Traditionsgebäck, soll ihren Namen einer umstrittenen Figur verdanken. Ein Zeitungsartikel darüber schlägt in dem Land gerade hohe Wellen. Dass Speisen, deren Namen nicht mehr zeitgemäß sind, umbenannt werden, ist keine Seltenheit mehr. Egal wie weit die Tradition zurückreichen mag – Zigeunerschnitzel und Mohrenkopf sollten heutzutage passé sein. Davon ist die österreichische Kardinalschnitte zwar noch weit entfernt, böse Zungen vermuten aber bereits, dass die aktuelle Debatte in diese Richtung geht. Anlässlich seines 90. Geburtstags hinterfragt "der Standard" die Entstehungsgeschichte des beliebten Gebäcks – und bringt eine kontroverse Figur zur Sprache: den umstrittenen Kardinal Theodor Innitzer. Kardinalschnitte entstand zum Katholikentag Die nach dem Geistlichen benannte Schnitte besteht aus zwei Schichten Biskuit- und Baiserstreifen, die von Marillenmarmelade zusammengehalten werden. Die Farben gelb und weiß sind nicht zufällig gewählt, sondern sollen – je nach Quelle – den heiligen Stuhl (laut dem "Standard") oder die Farben des Vatikans (laut dem "Kurier") repräsentieren. In jedem Fall geben sie einen Hinweis auf den Anlass, zu dem das Gebäck erfunden wurde. 1933 fand in Wien von 7. bis 12. September der Katholikentag statt. Zu der Zeit wurde Ludwig Heiner von der K.u.K. Hofzuckerbäckerei L. Heiner in Wien beauftragt, ein Gebäck zu kreieren, berichtet "der Standard". Mit der Lage zwischen dem erzbischöflichen Palais und dem Stephansdom sei die Konditorei damals das Stamm-Café von Kardinal Innitzer gewesen, der dort ein- und ausgegangen sein soll. Kardinal hatte ein schwieriges Verhältnis zur NS-Zeit Auch deshalb sei das Gebäck nach dem Geistlichen benannt worden. Allerdings fällt die damalige Zeit laut dem "Kurier" in das "dunkelste Kapitel der österreichischen Geschichte". Damals etablierte sich in Österreich ein rechtsextremes, autoritäres Herrschaftssystem, bekannt unter dem Namen Austrofaschismus. Kanzler Engelbert Dollfuß soll den Katholikentag genutzt haben, um den austrofaschistischen Ständestaat zu propagieren. In seiner Vision sollte der Staat – so schreibt es "der Standard" – auf christlichen Grundsätzen beruhen. Die Bischöfe und der Kardinal hätten dies unterstützt. Theodor Innitzer ist außerdem für sein unklares, ambivalentes Verhältnis zur NS-Zeit bekannt. 1938 sollen er und die Bischöfe eine Erklärung an die Bevölkerung unterzeichnet haben, bei der Volksabstimmung für den "Anschluss" an Deutschland zu stimmen. Einen Begleitbrief soll er mit "Heil Hitler!" signiert haben. Später soll er sich vom NS-Gedankengut distanziert haben, indem er Jesus Christus als "einzigen Führer" ausrief. Er soll sogar die Hilfsstelle im erzbischöflichen Palais unterstützt haben, die Juden zur Flucht verhalf. Konditorei sieht die Debatte gelassen "Es ist wichtig, dass man über diese Zeit spricht", sagt die heutige Chefin der Konditorei Heiner, Verena Eissner-Eissenstein, dem Portal "oe24". Man sehe die Diskussion dennoch gelassen. Ludwig Heiner habe im Katholikentag einen Anlass gesehen, ein Produkt zu schaffen. Ob und welche Gedanken er zur damaligen Zeit hatte, sei nicht mehr nachzuvollziehen. Ein Bombeneinschlag im Zweiten Weltkrieg habe alle möglichen Aufzeichnungen vernichtet, so die heutige Chefin. Die Kardinalschnitte hingegen ist geblieben und zählt mittlerweile zu den beliebtesten Desserts des Landes; zum festen Bestandteil eines jeden Konditorei-Menüs. Vermutlich aus diesem Grund hat die Debatte nach dem "Standard"-Artikel schnell Wellen geschlagen. (Noch) ist die Empörung, die viele Menschen in Online-Foren kundtun, jedoch unbegründet. Die Namensänderung des Gebäcks, die in einigen Medien bereits angekündigt wird, steht aktuell nicht zur Debatte.