Saturday, September 16, 2023
Massenandrang auf Lampedusa: Was Meloni mit den Bootsflüchtlingen vorhat
Tagesspiegel
Massenandrang auf Lampedusa: Was Meloni mit den Bootsflüchtlingen vorhat
Artikel von Dominik Straub •
4 Std.
Tausende Migranten kamen in der vergangenen Woche in Italien an. Regierungschefin Meloni plant nun, neue Abschiebehaftlager zu bauen – und setzt so auf Abschreckung.
Gestrandete Migranten auf Lampedusa: Die Dauer der Abschiebehaft soll auf 18 Monate verlängert werden.
In Italien gibt es nur wenige Menschen, die so schnell reden können wie Giorgia Meloni. Die rechtsnationalistische Regierungschefin tut das immer dann, wenn sie unter großer Anspannung steht und dem Land, oder vielmehr der „Nazione“, etwas Wichtiges mitzuteilen hat.
Am Freitagabend war es wieder so weit: In einem atemlosen, mehr als sechs Minuten langen Wortschwall kündigte Italiens Ministerpräsidentin gleich mehrere, zum Teil harte neue Maßnahmen gegen die illegale Einwanderung an. In dem veröffentlichten Video wandte sie sich auch direkt an die Migranten aus Afrika: „Es lohnt sich nicht, wenn ihr euch den Schleppern anvertraut. Denn wenn ihr illegal nach Italien kommt, werdet ihr festgesetzt und dann abgeschoben“, erklärte Meloni.
Die Dauer der Abschiebehaft, sagte Meloni, solle auf 18 Monate verlängert werden – das ist das Maximum, was gemäß EU-Recht möglich ist. Die neuen Lager sollen vom Verteidigungsministerium „in abgelegenen, möglichst dünn besiedelten Gebieten“ gebaut werden und gut überwacht werden.
Ob die Flüchtlinge, die in der Regel außer dem illegalen Grenzübertritt nichts verbrochen haben, gegen die lange Inhaftierung Rechtsmittel ergreifen können, ließ Meloni offen. Auch über die Größe der neuen Abschiebelager machte sie keine Angaben. Die neuen Maßnahmen sollen am Montag an einer Kabinettssitzung beschlossen werden.
In ihrer Videobotschaft richtete Meloni auch den Appell an die europäischen Partner, Italien in dieser schwierigen Situation nicht alleine zu lassen. Sie forderte insbesondere einen EU-Einsatz zur Blockade der Mittelmeer-Route, „notfalls mit Marineschiffen“.
Mit dem Einsatz sollen die Migranten und Flüchtlinge daran gehindert werden, die Hoheitsgewässer der nordafrikanischen Länder in Richtung Italien und Europa zu verlassen, in Absprache mit den Regierungen der betroffenen Staaten. Ob eine Person in Europa eine Asylperspektive habe, müsse auf afrikanischem Boden abgeklärt werden, nicht nach der lebensgefährlichen Überfahrt nach Lampedusa.
Meloni lud EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein, nach Lampedusa zu kommen, „um sich dort zusammen mit mir ein Bild des Ernstes der Lage zu machen“. Der Migrationsdruck, den Italien seit Anfang dieses Jahres erlebe, sei „unhaltbar“.
Meloni drängt darauf, EU-Gelder an Tunesien freizugeben
Von der Leyen ließ daraufhin mitteilen, dass sie bereits am Samstag in Rom eintreffen werde. Bei den Gesprächen mit der Kommissionspräsidentin will Meloni darauf drängen, dass Brüssel die 250 Millionen Euro freigibt, die dem tunesischen Machthaber Kais Saied im Rahmen eines Memorandums in Aussicht gestellt wurde.
In dem Abkommen verpflichtet sich Tunesien, die Flüchtlinge am Ablegen zu hindern. Von den 250 Millionen ist bislang kein Cent nach Tunis überwiesen worden – und in Rom ist man der Meinung, dass genau dies ein wichtiger Grund dafür sei, dass derzeit so viele Flüchtlingsboote in Lampedusa ankommen.
Die kleine italienische Insel, die südlicher liegt als Tunis, ist in der vergangenen Woche mit Bootsflüchtlingen förmlich überspült worden: Allein am Dienstag waren innerhalb von 24 Stunden über 5000 Migranten angekommen. Viele von ihnen mussten im Freien übernachten; Verpflegung und Wasser wurde knapp.
Obwohl die Ankünfte ununterbrochen weitergehen, hat sich die Lage am Samstag etwas entspannt: Nach Angaben des Roten Kreuzes, das auf Lampedusa das Erstaufnahmezentrum führt, befinden sich derzeit noch 2800 Menschen in dem für 450 Personen ausgelegten Lager. Am Donnerstag waren es 7000 gewesen. Tausende Flüchtlinge sind in der Zwischenzeit mit großen Fähren nach Sizilien und auf das italienische Festland gebracht worden.
Die Opposition kritisierte die angekündigten neuen Maßnahmen scharf: Innerhalb der Regierungskoalition sei „ein Wettstreit ausgebrochen, wer gegen die Flüchtlinge härter vorgehen will“, sagte die Chefin des sozialdemokratischen PD, Elly Schlein. Sie spielte darauf an, dass Meloni, Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia, jeden Tag neue Attacken von ihrem rechtspopulistischen Koalitionspartner, Lega-Chef Matteo Salvini, abwehren muss, der ihr in der Flüchtlingspolitik Versagen vorwirft.
Elly Schlein bezeichnet Melonis neues Paket als „Propaganda“ – und tatsächlich haben die meisten der Maßnahmen eines gemeinsam: Sie sind kaum realisierbar. So scheitern Seeblockaden und Asylzentren auf afrikanischem Boden am Widerstand der betroffenen Staaten sowie an internationalem Recht.
Das Gleiche gilt auch für die regelmäßig angekündigten und nie durchgeführten Abschiebungen: Wenn die Herkunftsstaaten nicht mitmachen, dann bleiben die Migranten dort, wo sie sind – in Italien.