Monday, September 18, 2023

Komplizierte Lage - CDU kämpft gegen Grüne und ignoriert dabei zwei bittere Wahrheiten

FOCUS online Komplizierte Lage - CDU kämpft gegen Grüne und ignoriert dabei zwei bittere Wahrheiten Artikel von FOCUS Online • 1 Std. Dass die CDU nicht sonderlich gut dasteht, hat mit einem sich immer noch suchenden Parteichef Friedrich Merz zu tun. Aber sie steht mittlerweile vor Dilemmata, die auch ganz anderen Vorsitzenden größte Probleme bereiten würden. Die Partei ist gespalten im Umgang mit der AfD. Und sie ist zerrissen im Umgang mit den Grünen. Bestandsaufnahme einer Volkspartei, die um ihren inneren Kompass kämpft. Dammbruch! Einsturz der Brandmauer! Demokratie in Gefahr! Nach der Entscheidung der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, einen Gesetzentwurf zur Senkung der Grundsteuer einzubringen und am Ende mit den Stimmen von FDP und AfD durchzusetzen, hagelt es Kritik. Gegen die CDU vor Ort und noch mehr gegen die CDU-Spitze in Berlin. Das Wort von der Kooperation mit der AfD steht im Raum. Und es lässt sich kaum leugnen, dass das Ganze im Ergebnis genau so aussieht: Die CDU hat mit Hilfe der AfD etwas durchgesetzt, was ohne die in Thüringen besonders radikale AfD unter Björn Höcke nicht möglich gewesen wäre. Sind die Christdemokraten weich geworden? Ist auch Friedrich Merz endgültig eingeknickt, nachdem er vor wenigen Wochen bei der eher theoretischen Diskussion, wie man mit gewählten AfD-Bürgermeistern umgehen sollte, wieder zurückgerudert war? Die Überschriften und Fragen sind alarmierend. Sie werden drängender und sie verlangen nach Antworten. Und die erste ist anders ausgefallen als noch vor wenigen Wochen. Sowohl Parteichef Friedrich Merz als auch Generalsekretär Carsten Linnemann haben das Vorgehen verteidigt. Dabei haben sich beide allerdings sehr um einen kleinen Unterschied bemüht: Der Schritt sei keine Kooperation gewesen, sondern das Bemühen, CDU-Politik einzubringen. Dass die AfD dem dann zugestimmt habe, sei politisch misslich, aber nicht der Fehler der CDU gewesen. Entscheidend sei mithin: Die CDU dürfe sich nicht davon abbringen lassen, eigene Vorschläge zu entwickeln. Sonst könne sie gerade in einer Situation wie in Thüringen mit einer Minderheitenregierung einpacken. Sprich: Sie dürfe dann nie etwas Eigenes einbringen, weil die AfD immer geneigt sei, dem zuzustimmen. Wie agieren zwischen Minderheitsregierung und AfD? Dieses Argument ist eines, das sich nicht einfach wegreden lässt. Tatsächlich steckt die CDU in Thüringen genau in dieser Zwickmühle. Will sie als Opposition vorkommen, muss sie eigene Themen setzen. Einwickelt sie eigene Projekte und bringt diese ein, wird sie immer Gefahr laufen, dass die AfD zustimmt, um genau den Eindruck zu erzeugen, der nun entstanden ist: Seht her, wir gehören dazu, wir stimmen mit, mit uns kooperieren CDU und FDP. Zugleich allerdings, und das bleibt für die CDU so heikel: Sie hätte die Forderung stellen und dann mit der Minderheitsregierung über Wege reden können, wie sich das gleiche Ziel erreichen lässt. Aus der Erfurter Staatskanzlei wird seit Donnerstag verbreitet, dass es exakt diese Möglichkeit gegeben hätte. Allerdings lässt sich im Nachhinein kaum mehr exakt klären, was wirklich als Chance bestand und was nur hinterher als Möglichkeit beschrieben wurde. Das Ergebnis bleibt im Raum stehen, auch durch das Argumentieren von Merz und Linnemann: Wir müssen solche Vorschläge machen und wir werden sie auch wieder machen. Damit macht die Berliner Parteispitze klar, dass sie sich fürs Erste für einen Weg entschieden hat – und der hat das Potenzial, die Partei dauerhaft zu zerreißen. Nicht nur der ehemalige Generalsekretär Ruprecht Polenz spricht jetzt vom Einsturz der Brandmauer. Auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther nennt das Vorgehen einen schwerwiegenden strategischen Fehler. Und man muss davon ausgehen, dass vom Südwesten bis zum hohen Norden eine erkleckliche Zahl prominenter Christdemokraten diese Einschätzung teilen. Auch wenn sie sich zur stillen Genugtuung der Parteispitze bislang nicht sehr zahlreich öffentlich geäußert haben. Die Stimmung im Osten ist dramatisch Wer nun allerdings glaubt, dass die Parteispitze gegen eine große liberale Mehrheit in der gesamten CDU steht, hat die Stimmung im Osten außer Acht gelassen. Dort nämlich, insbesondere in Sachsen und Thüringen, aber nicht nur dort, sind Haltung und Einschätzung der meisten Christdemokraten eine ganz andere. Bei AfD-Umfragewerten von mehr als 30 Prozent haben dort viele das Gefühl, dass ihnen das Reden von der Brandmauer gar nichts bringt, dagegen die AfD von Woche zu Woche mehr stärkt. Sie wünschen sich eine härtere eigene Linie unter anderem im Umgang mit Flüchtlingen. Und sie haben einen anderen zentralen Gegner entwickelt, mit dem sie immer weniger zu tun haben wollen: die Grünen. Dass der Klimawandel voranschreitet, auch auf den Äckern und bei sinkendem Grundwasserspiegel in Sachsen und Thüringen, ficht sie dabei immer weniger an. Heizungsgesetz und Gender-Debatten konterkarieren auf dramatische Weise alle Überlegungen, vielleicht doch nochmal mit den Grünen zu kooperieren. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Es mag an der Distanz zwischen Berlin und den Regionen liegen; es kann viel damit zu tun haben, dass unter dem Druck der AfD-Umfragewerte der Mut schwindet, gegen das Trommelfeuer der Rechtsnationalen für eine Klima-rettende Politik einzutreten. Und es kann bei manchen auch damit zu tun haben, dass sie unter dem Eindruck von Corona-Krise, Ukraine-Krieg und Flüchtlingsängsten ganz grundsätzlich auf Ampel, Grüne und Hauptstadt keine Lust mehr haben. Nur: Egal, wie dieses anti-grüne Gefühl entstanden ist – es vermengt sich immer stärker mit der Debatte über den Umgang mit der AfD. Von der AfD will man sich nicht länger lähmen lassen und von den Grünen nicht länger bevormunden. Dabei gerät jenen in der CDU, die diese Gefühle teilen, nur aus dem Blick, dass es im Westen vier nicht ganz unwichtige Landesverbände gibt, die mit den Grünen regieren. Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Aus deren Sicht sind jene harschen Töne gegen die Grünen, wie sie aus dem Osten, aus der CSU und zuletzt auch von Friedrich Merz kamen, zwangsläufig Gift im eigenen Alltag. Nicht nur Daniel Günther stört sich dran, auch Hendrik Wüst, Boris Rhein oder dem Stuttgarter Duo aus Thomas Strobl und Manuel Hagel kann das nicht gefallen. Auch sie kritisieren grüne Fehler, aber sie vermeiden es, dabei grundsätzlich zu werden. Bitte Wahrheiten: Der Klimawandel bleibt – und die Grünen bleiben auch Hört man sich um, dann hängt das mit zwei Erkenntnissen zusammen, die von den harschen Grünen-Kritikern zur Zeit geflissentlich ignoriert werden. Zum einen wird der Klimawandel nicht verschwinden, Günther und auch Wüst erinnern daran immer wieder. Sie wissen und nehmen ernst, dass jede Regierung, die aktuelle wie alle künftigen, darauf immer entschiedenere Antworten geben müssen. Zum anderen lässt sich an den jüngsten Umfragen ablesen, dass in der Ampel zwar SPD und FDP massiv an Zustimmung verloren haben, die Grünen sich nach der Delle rund um die Fehler beim GEG aber wieder erholen. Anders ausgedrückt: Sie haben aktuell nicht nur die stabilste Wählerschaft: Sie werden auch als möglicher künftiger Partner für die Union wichtig bleiben. Für Merz könnte die Lage komplizierter kaum sein. Die eine Hälfte der Partei, insbesondere aus dem Osten, zieht an ihm, wettert gegen die Grünen und ruft mit Nachdruck nach einem anderen Umgang mit der AfD. Die andere Hälfte in den großen westlichen Landesverbänden ist entsetzt über das Thüringer Manöver und mahnt laut und leise, sich im Umgang mit den Grünen nicht in eine Blockade hinein zu wüten. Man muss daran erinnern: Schon seine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist nicht zuletzt an genau diesem Dilemma politisch zerbrochen. Dazu kommt aus Bayern ein Ministerpräsident Markus Söder, der sich so sehr in eine Ecke manövriert hat, dass ihm nach der Wahl am 8. Oktober eine erneute Koalition mit dem hochumstrittenen Hubert Aiwanger droht. Wo bei alledem Friedrich Merz steht, weiß er womöglich nicht mal selber. Ob er will oder nicht, er wird sich nicht dauernd durchlavieren können – ein Vorwurf, der intern immer häufiger zu hören ist. Dabei wird es für ihn kein Trost sein, dass jüngst ein prominenter Christdemokrat erklärt hat, dass in dieser Gemengelage auch Angela Merkel keine einfache Lösung parat gehabt hätte. Analyse von Stefan Braun