Thursday, September 14, 2023
Faeser im Interview: „Grenzkontrollen - in allen Richtungen“
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Faeser im Interview: „Grenzkontrollen - in allen Richtungen“
Artikel von Jasper von Altenbockum •
11 Std.
Nancy Faeser, Spitzenkandidatin der SPD für die hessische Landtagswahl und Bundesinnenministerin.
Frau Bundesministerin, Ihre Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten in Hessen wird überschattet von der Kritik an der Absetzung von Arne Schönbohm als Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Würden Sie heute anders vorgehen, wenn es um die gleiche Sache ginge?
Wir sind mit einem Krieg in Europa konfrontiert, der auch die Bedrohungslage für die Cybersicherheit enorm verändert hat. Es ging im Oktober 2022 um die Frage, ob ich noch das Vertrauen in die Führung des BSI habe. Das hatte ich nicht und musste daher handeln. Ich habe das BSI neu aufgestellt. Herr Schönbohm hat eine gleichwertige andere Funktion übertragen bekommen, wie das bei Beamten vorgesehen ist.
Der Eindruck entstand, dass sie auf Jan Böhmermanns Sendung „ZDF Magazin Royale„ reagierten. War das so glücklich?
Für den Vertrauensverlust gab es mehrere Gründe, wozu die damals von vielen Medien thematisierten Vorwürfe mit Russlandbezug zählten. In diesen Zeiten durfte es keinerlei Zweifel geben.
Sie haben die Vorwürfe als Wahlkampfmanöver kritisiert. Manche Ihrer Vorstöße wirken ähnlich: Messerverbot, Vorratsdatenspeicherung, Clan-Kriminalität, Begrenzung von Migration. Das waren neue Töne aus dem Mund einer SPD-Politikerin. Wollten Sie sich ein neues Image zulegen?
Das war schon immer meine klare Linie. Ich war zum Beispiel immer der Überzeugung, dass die Sicherheitsbehörden die notwendigen Befugnisse brauchen. Als Oppositionsführerin im hessischen Landtag habe ich meine Fraktion etwa bei der Vorratsdatenspeicherung davon überzeugt, als die SPD im Bund noch darüber stritt. Wir sehen einen Anstieg furchtbarster Kriminalität gegen Kinder, bei deren Aufklärung IP-Adressen eine zentrale Rolle spielen. Ich habe mich auch, als es um die Angriffe auf Polizisten im Dannenröder Forst ging, klar an die Seite der Polizei gestellt. Mich hat überrascht, welches Zerrbild teilweise von mir gezeichnet wurde, als ich Innenministerin in Berlin wurde. Ich war schon immer eine pragmatische Sozialdemokratin der Mitte.
„Ich möchte der deutschen Bevölkerung übrigens nochmal mein Kompliment aussprechen.“
Wie bewerten Sie die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die anlasslose Vorratsdatenspeicherung dem Europarecht widerspricht?
Entscheidend bleibt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach die Speicherung von IP-Adressen unter engen Vorgaben ausdrücklich erlaubt ist. Darauf nimmt auch das Bundesverwaltungsgericht Bezug.
Wie ist denn die Stimmung zwischen Ihnen und Justizminister Marco Buschmann von der FDP, der sich ausdrücklich gegen die Speicherung von IP-Adressen ausgesprochen hat?
„Wir räumen mit Fehlern der Vergangenheit auf.“
Wir pflegen einen sehr engen und guten kollegialen Austausch. Das ist ein Punkt, wo wir unterschiedliche Perspektiven haben, aber wir bemühen uns um eine Lösung, die dem Datenschutz genauso gerecht wird wie meinem Anliegen in der Verbrechensbekämpfung.
Wie steht es um die Einigung?
Ich bin zuversichtlich, dass wir sie bald erzielen.
„Ich staune über die Debatte über Grenzkontrollen.“
Bei der Migration entstand über Monate der Eindruck, Sie nähmen die Sorgen der Kommunen nicht ernst. Wieso hat es so lange gedauert, bis sich das änderte?
Ich habe das Thema direkt nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sehr ernst genommen und viel unternommen. Die Belastung der Bundesländer war sehr schnell sehr hoch. Teilweise sind am Tag 15.000 Ukrainer nach Deutschland gekommen. Das war eine große Herausforderung. Heute diskutieren wir die Migration in einer Schärfe, die vor einem Jahr, als eine Million Menschen zu uns kamen, nicht da war. Ich möchte der deutschen Bevölkerung übrigens nochmal mein Kompliment aussprechen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben ukrainische Flüchtlinge bei sich zuhause aufgenommen, viele haben geholfen. Unser Land hat gezeigt, was Mitmenschlichkeit bedeutet.
Aber schon Ende vergangenen Jahres begannen die Kommunen zu protestieren.
Zu dem Zeitpunkt ist die Zahl der Geflüchteten vor allem aus Syrien und Afghanistan, die über die Mittelmeer- und Balkanroute kamen, wieder gestiegen. Manche waren während der Corona-Zeit hängen geblieben, andere machten sich erst auf den Weg. Und in den Unterkünften in Deutschland lebten teilweise noch Menschen, die 2015 und 2016 zu uns gekommen waren. Um die Probleme anzugehen, habe ich die Kommunen als erste Innenministerin direkt mit an den Tisch geholt, was die Länder lange Zeit nicht wollten. Das heißt auch, dass ich mir Kritik ins Haus geholt habe und mich ihr gestellt habe. Das gehört sich aus meiner Sicht so. Gleichzeitig haben wir ein Paket von Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, das unserem Ziel folgt, Ordnung und Steuerung in der Migration zu schaffen. Wir räumen mit Fehlern der Vergangenheit auf.
„Ich habe keine Probleme damit, Fehler zuzugeben.“
Was meinen Sie?
Wenn ein IT-Experte nach Deutschland einwandern wollte, musste auch sein Partner Deutsch sprechen. Das leistet sich kein anderes Einwanderungsland, das wie wir dringend Fachkräfte braucht. Außerdem haben wir die Zahl der sicheren Herkunftsländer erhöht, für schnellere Abschiebungen gesorgt und Asylverfahren beschleunigt.
Sie setzen in der Migrationspolitik sehr große Hoffnungen auf die EU. Jetzt zeichnet sich ab, dass ein Eckpunkt des Migrationspakts, das Rückführungsabkommen mit Tunesien scheitert. Setzen Sie auf die falsche Karte oder sind Sie in der EU einfach dazu verdammt?
Die Migrationsfrage kann nicht national gelöst werden, sondern muss europäisch gelöst werden. Sie werden niemanden in unseren Nachbarländern finden, der das anders sieht. Das heißt aber nicht, dass man national nicht alles tut, was man kann. Ich staune deshalb über die Debatte über Grenzkontrollen. Natürlich kontrollieren wir unsere Grenzen, und zwar ganz stark und in alle Richtungen.
In alle Richtungen?
Ja, natürlich, an allen Grenzen.
Das haben Sie doch mehrfach abgelehnt, oder nicht?
Nein, ich habe abgelehnt, stationäre Grenzkontrollen einzurichten. Deshalb sollte man nicht so tun, als gehe es um die Frage: Grenzkontrollen ja oder nein. Und diejenigen, die sie fordern, wissen auch, dass das nur Scheinlösungen sind. Wir sind zur Zeit sehr erfolgreich darin, unerlaubte Einreisen zu erkennen und zu unterbinden, zum Beispiel an der deutsch-schweizer Grenze, weil wir eine sehr gute Kooperation mit den schweizer Behörden haben. Wir haben gemeinsame Polizeidienststellen, mit Tschechien und mit Polen machen wir gemeinsame, personell stark intensivierte Schleierfahndung in den gesamten Grenzgebieten. Das ist mit Sicherheit der erfolgreichere Weg als Kontrollen an wenigen Straßenübergängen.
Inwiefern haben die Probleme in der Migrationspolitik dazu beigetragen, dass die AfD einen solchen Höhenflug erlebt?
Es gibt viele Gründe, wieso die AfD stark geworden ist, das ist ein Baustein. Sie bietet vermeintlich einfache Lösungen an für komplexe Probleme, in einer Zeit, in der viele Menschen krisenmüde sind. Demokratische Parteien haben deshalb eine besonders große Verantwortung. Nehmen Sie die Debatte um das Heizungsgesetz. Die CDU hätte eine echte Chance gehabt, Alternativen zu präsentieren, stattdessen hat sie sich ausschließlich verunglimpfend zum Thema geäußert. Die AfD profitiert davon.
Obwohl viele Flüchtlinge ins Land kommen, will die Bundesregierung bei Erstorientierungskursen sparen, die schon heute überlastet sind. Wie kann das sein?
In meinem Ressort wird heute so viel Geld für Integrationskurse ausgegeben wie nie zuvor. Im letzten Jahr haben 340.000 Menschen an Integrationskursen teilgenommen, fast so viele wie in den drei Jahren zuvor zusammen. Manche anderen Angebote laufen aber über die Bundesagentur für Arbeit, die Kommunen oder die Länder. Alle Beteiligten müssen mal an einen Tisch, um zu klären, was effizient ist und gut funktioniert. Ich habe mir fest vorgenommen, mich in die Kurse reinzusetzen und zu gucken, was erfolgreich ist und hilft. So könnte ich mir gut vorstellen, Deutsch- und Integrationskurse noch stärker zu verzahnen.
Sie machen den Fachkräftemangel zu einem Kernthema Ihres Wahlkampfes. Mehr Pfleger, mehr Erzieher, mehr Lehrer. Woher sollen die kommen? Muss nicht mehr, dass heißt: länger gearbeitet werden?
Heute sind die Anforderungen an Schulen vielfältiger als noch vor Jahrzehnten. Wir haben unterschiedlichste Familien. Die Kinder kommen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule, haben verschiedene sprachliche Fähigkeiten. Im sozialdemokratischen Hamburg hat man große Bildungserfolge erzielt, das ist ein Vorbild. Ich will auch in Hessen dafür sorgen, dass es mehr Lehrerinnen und Lehrer und kleinere Klassen gibt. Wir brauchen außerdem mehr Berufsorientierung, auch in Gymnasien. Das ist ein wesentlicher Bereich, den ich verändern möchte.
Sie haben kürzlich gesagt, Hessen sei in der Bildungspolitik immer vorne gewesen und liege jetzt im hinteren Mittelfeld. In den Neunziger Jahren unter der SPD war Hessen aber ein Abstiegskandidat unter den Ländern.
Davor waren wir vorne, auch unter SPD-Regierungen. Ich habe aber keine Probleme damit, Fehler zuzugeben. Wir haben in den Neunziger Jahren Fehler gemacht.
Die Ampelkoalition in Berlin ist offenbar so unpopulär, dass die CDU im Wahlkampf damit wirbt, Hessen „ampelfrei“ zu halten. Haben Sie Boris Rhein einen Gefallen getan, als Sie ankündigten, in Hessen eine Ampel anzustreben?
Mein Ziel ist, dass die SPD so stark wie möglich wird, um eine SPD-geführte Landesregierung zu schmieden. Ich schließe nur eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Dass Boris Rhein in Hessen einen Wahlkampf im Oppositionsstil führt, obwohl seine Partei seit 25 Jahren regiert, ist schon bemerkenswert.
Sie haben bislang darauf verzichtet, ein Schattenkabinett zu bilden. Weil sie nicht genug zugkräftige Politiker haben?
Nein, der Bundeskanzler hat das ja auch nicht getan. Übrigens macht es auch Boris Rhein nicht. Er macht kein Angebot für einen neuen Innenminister, obwohl alle wissen, dass Peter Beuth aufhört. Er macht kein Angebot für einen neuen Sozialminister, der auch aufhört. Wie auch die Umweltministerin. Wir haben in der SPD viele kluge Köpfe in der Landtagsfraktion und eine Menge sehr guter Oberbürgermeister und Landräte in Hessen, die bewiesen haben, dass sie gut regieren können.
Können Sie Namen nennen? Dann können wir das Schattenkabinett jetzt doch noch schnell aufstellen.
Nein, ich nenne keinen Namen. Aber glauben Sie mir: Wir sind besser aufgestellt als die CDU.
Sie kommen jetzt wieder häufiger nach Hessen, in Ihre schöne Heimat. Können Sie sich nicht doch vorstellen, zurückzukehren, auch wenn Sie die Wahl verlieren?
Hessen ist für mich ein Herzensanliegen. Ich möchte meinem Heimatland als Ministerpräsidentin dienen und Hessen sozialer und moderner machen. Das ist mein Angebot an die Wählerinnen und Wähler. Oppositionsführerin im Landtag war ich schon. Ich will weiter Verantwortung tragen und gestalten.